Late Night

Markus Lanz und die Geißel von Gladbeck

| Lesedauer: 4 Minuten
Maike Jansen

Vor 20 Jahren geschah ein Verbrechen, das heute noch unter dem Begriff „Gladbecker Geiseldrama" bekannt ist. Markus Lanz nahm das zum Anlass, noch einmal an den Schrecken zu erinnern. Mit Zeitzeugen, Einfühlungsvermögen aber leider auch vielen schrecklichen Bildern. Obwohl er die doch eigentlich verteufeln wollte.

Ines Falk schaut sich die Bilder nicht an. Die wackeligen Aufnahmen im Bus, den betrunkenen Entführer mit der Waffe an ihrem Hals. Vielleicht sind die Bilder in ihrem eigenen Kopf noch zu präsent. Denn Ines Falk war 18 Jahre alt, als eine überflüssige Busfahrt sie mitten in eine der spektakulärsten Geiselnahmen aller Zeiten hineinzog. Ein Verbrechen, das zum Medienereignis wurde und Bilder hervor brachte, die wir bis heute mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen betrachten.

Viele Dokumentationen hat es zum Gladbecker Geiseldrama gegeben, zu jedem Jubiläum wurden die Bilder wieder hervorgeholt. Auch Markus Lanz hat seine Redaktion im Archiv kramen lassen, schildert in einem ausführlichen Beitrag noch einmal die Schreckensstationen. Und tappt damit in dieselbe Falle, in die schon alle vor ihm fielen, die über Gladbeck berichten wollten: Wer anprangern will, welche Rolle die Medien in dem Geiseldrama spielten, der darf nicht ihre Bilder zeigen. Den tödlich am Kopf getroffenen Jungen, die verängstigte Geisel im Auto.


Allemal dann nicht, wenn die Bilder so verzichtbar sind, wie an diesem Abend bei Markus Lanz. Schließlich hat er mit Ines Falk und dem ehemaligen "Express"-Chefredakteur Udo Röbel Augenzeugen zu Gast, die diese Bilder durch Schilderungen ersetzen könnten.


Ihre Erzählungen sind der zweifellos stärkste Teil der Sendung. Röbel, der damals in der Kölner Fußgängerzone zu den Entführern ins Auto stieg, weil er eine „gute Story“ witterte, hat die Geisel Ines Falk seit 20 Jahren nicht gesehen. Nur kurz haben sich ihre Lebenswege damals im Auto gekreuzt, danach hat jeder selbst versucht, mit den schrecklichen Erlebnissen umzugehen.

Weit weg geschoben haben sie es beide, sagen sie. Markus Lanz holt die Erinnerungen noch einmal nah heran. „Was empfinden Sie, wenn Sie Udo Röbel jetzt wieder sehen?“ will er von Ines Falk wissen und die schaut ähnlich verängstigt wie damals im Fluchtfahrzeug, als ein Journalist ihr fast dieselbe Frage stellte: Was empfinden Sie? „Man schaltet da alles aus“, sagt Falk, völlig taub habe sie die Fragen beantwortet, statt die Reporter um Hilfe zu bitten.

Interview mit Geiselnehmerin

Auch jetzt sitzt sie nur still da und schaut sich an, wie Marion Löblich, eine Komplizin und damalige Freundin eines Geiselnehmers im Interview von ihren Erinnerungen an Gladbeck erzählt. „Ich war dabei“, sagt sie immer, und: „Ich kann das heute nicht mehr nachvollziehen.“ Sechs Jahre hat sie im Gefängnis gesessen, ist jetzt wieder frei. Ines Falk hat auch sie 20 Jahre lang nicht gesehen – diesmal trifft die Erinnerung sie härter. Ihre Stimme ist brüchig, die Augen ein bisschen feucht, als sie Lanz wiederholte Frage nach ihrem Empfinden beantwortet.

„Warum lassen einen die Instinkte in so einer Situation im Stich?“, hatte der Moderator zuvor vom Journalisten Röbel wissen wollen. Doch auch Lanz Sendung zeigt: Der journalistische Instinkt sagt eben draufhalten statt ausschalten. Falk bleibt im Fokus der Kamera, auch wenn sie sich vielleicht gern weggeduckt hätte. Natürlich kann man entgegnen, dass sie eben dieses Scheinwerferlicht freiwillig aufgesucht hat. Anders als damals. Auch sind Lanz Fragen nicht so bedrohlich, wie die Waffe eines Geiselnehmers an der Schläfe – kurz: Die Situationen sind nicht vergleichbar.

Wer anprangern will, muss zuerst bei sich selbst schauen

Dennoch: Berichten über Gladbeck bedeutet auch, jeden Teil der Sendung genau zu überdenken. Wer anprangern will, wie sich Medien damals unreflektiert auf die Geiselnehmer und ihre Opfer stürzten, muss selbst reflektieren, ob er höheren Ansprüchen genügt. Ob er frei ist von Sensationslust und der Gier nach guten Bildern.

Über Gladbeck wird auch deshalb so gern berichtet, weil es viele Bilder gibt. Spektakuläre Aufnahmen von Gewalt, Angst und Blut. Der moralische Anspruch das damalige Verbrechen als abschreckendes Beispiel in Erinnerung zu rufen, kommt erst an zweiter Stelle. Wer aus Gladbeck lernen will, muss die Berichterstattung darüber anders anpacken. Markus Lanz hatte dafür einen guten Ansatz: Er hat die Menschen sprechen lassen, Opfer wie Täter. Dennoch hat auch er sich verführen lassen. Von der Macht der Bilder.