Rolf Schneiders letzte Veröffentlichung erschien im Aufbau-Verlag. Kurz darauf meldete das einst in der DDR angesehenstes Buchhaus Insolvenz an. Die letzte Rate seines Honorars hat er schon nicht mehr erhalten, dennoch hält er dem krisengeschüttelten Verlag die Treue.
Die letzte meiner Buchveröffentlichungen enthielt eine Zusammenstellung von Naturgedichten Rainer Maria Rilkes. Ich hatte die Auswahl getroffen und eine Einführung verfasst. Der Band erschien dieses Frühjahr, im Aufbau-Verlag. Kurz darauf meldete das Haus Insolvenz an. Die letzte Rate meines Honorars habe ich nicht mehr erhalten. Sie muss nun aus der Konkursmasse beglichen werden, reduziert vermutlich, wenn überhaupt.
Mit diesem Verlag, einst der DDR angesehenstes Buchhaus, verbindet mich manches. Als junger Mensch habe ich drei Jahre lang dort gearbeitet. Mein erstes Buch ist dort erschienen. Ich habe den Aufstand gegen Walter Ulbrichts stalinistisches Regime, getragen von Verlagsleiter Walter Janka und dem Lektor Wolfgang Harich, dort hautnah miterlebt. Der nächste Chef wurde dann Klaus Gysi, nachmals Kulturminister und Kirchenstaatssekretär, und jedenfalls Gregors Vater; ich habe ihn als ebenso witzig wie fahrig erlebt.
Als ich eingangs der Neunzigerjahre Birgit Breuel traf, damals Leiterin jener Treuhandanstalt, die das staatliche Wirtschaftsvermögen der DDR privatisieren sollte - sie residierte in jenem Gebäudekomplex, der inzwischen das Bundesfinanzministerium beherbergt -, erklärte sie mir, dass sie alles daran setzen wolle, den Aufbau-Verlag zu erhalten. Dies ist ihr tatsächlich gelungen. Dass sie gar nicht berechtigt war, über das Haus zu befinden, wusste sie nicht oder wollte sie nicht wissen. Es ist dies einer der Gründe für die existenzielle Krise, in der sich das Unternehmen nunmehr befindet.
Hastig besprühte weiße Tücher
Zu den mehreren Mitteilungen, die von Mitarbeitern des Hauses gemacht werden und die man, zum Teil, auch auf hastig besprühten weißen Tüchern vor der Hausfassade lesen kann, gehört die, dass wichtigstes Kapital eines Verlages seine Autoren seien. Dies ist eine etwas gemeinplätzige Feststellung. Ohne Autoren gibt es keine Bücher, ohne Bücher gibt es keinen Buchverlag. Allerdings ist die Liste jener, deren Buchrechte dem Haus gehören, recht beachtlich.
Der Aufbau-Verlag wurde unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs gegründet, auf Initiative des aus der Sowjetunion heimgekehrten kommunistischen Lyrikers Johannes R. Becher, der später auch DDR-Kulturminister war. Zu den ersten Publikationen zählten die Bücher von Hitler-Emigranten wie Anna Seghers, Arnold Zweig und Becher selber, doch auch der unter den Nazis zuletzt verfemte Hans Fallada wurde gedruckt. In seiner DDR-Blütezeit war das Haus, anders als die übrigen DDR-Verlage, nicht auf einen bestimmten Themenkreis festgelegt, sondern durfte er sich das (nach seinen Überzeugungen) Feinste aus allen editorischen Angeboten küren, was schließlich seinen Ruhm machte.
Wichtige DDR-Autoren wie Hermann Kant und Erwin Strittmatter erschienen hier ebenso wie Thomas Mann, dessen Bruder Heinrich und dessen Sohn Klaus. Ausgezeichnete Klassiker-Ausgaben wurden ediert, von Lessing und Kleist, von Keller und Storm. Aufbaus große von Goethe- und Schiller-Editionen konnten es mit den gleichartigen westdeutschen Vorhaben von Hanser in München und Suhrkamp zu Frankfurt am Main aufnehmen. Der einstige Verlag Rütten & Löning (dessen allererstes Buch einst Hoffmanns "Struwwelpeter" war) wurde zu einem Imprint von Aufbau.
Nach der deutschen Wiedervereinigung schien man als einziges Verlagshaus problemlos in der neuen Zeit angekommen. Zwar, es musste auf vieles verzichtet werden, da es sich entweder um Lizenzen bundesdeutscher Häuser für die DDR gehandelt hatte oder weil ostdeutsche Autoren den Verlockungen westdeutscher Verleger erlagen. Auch die einst beträchtliche Zahl der Angestellten wurde drastisch zurückgefahren. Aber es blieb ein immer noch ansehnlicher Personalstamm, und es gab manch neuen Erfolg.
Klemperers Tagebücher waren wichtig
Einer der ersten Dauerseller wurde der historische Reißer "Die Päpstin" der Amerikanerin Donna Cross, der die Vorlage eines gegenwärtig produzierten aufwendigen Spielfilmes ist. Mit dem Suhrkamp-Verlag teilte man sich in die große Bertolt-Brecht-Ausgabe. Aufsehen machte die Herausgabe der Tagebücher des Dresdner Romanisten Victor Klemperer, die das dramatische Schicksal eines deutschen Juden unter Hitler auf ergreifende Weise dokumentierten.
Ebenso spektakulär war die Edition der frühen Berlin-Feuilletons des Theaterkritikers Alfred Kerr. Eine umfängliche, von Gotthard Erler vorzüglich betreute Theodor-Fontane-Ausgabe begann zu erscheinen. Die Bücher des in der DDR populären Erwin Strittmatter wurden weiterhin heftig nachgefragt, zumal nach der ausgezeichneten Verfilmung des autobiografischen Romans "Der Laden".
Wichtige Wieder- oder Neuentdeckungen waren Brigitte Reimann und Werner Bräunig. Von der Reimann erschienen postum die Tagebücher aus DDR-Zeiten, die ein hochproblematisches Schicksal erzählten. Bräunigs "Rummelplatz", ein in der DDR spielendes und von der DDR-Zensur verbotenes Romanbuch, wurde von Kritikern als außerordentliche Entdeckung gefeiert. Die französische Kriminalautorin Fred Vargas verkaufte sich blendend. Dass man die Memoiren des skandalumwitterten Fußballstars Stefan Effenberg druckte, war ein etwas dubioses Zugeständnis an den raschen Umsatz. Neue Autoren wurden gewonnen, darunter Österreicher, wie Barbara Frischmuth, und Schweizer, wie Zoë Jenny. Aufbau hat am so genannten literarischen Fräulein-Wunder mitgewirkt, mit der Autorin Tanja Dückers.
Neue Autoren kamen zum Verlag
Es gab hübsche Erfindungen wie die Taschenbuch-Reihe, die populäre Einführungen in Werk und Leben bedeutender Intellektueller brachten, von Shakespeare bis Marx, von Luther bis Verdi, von Marcel Proust bis Richard Wagner. Das alles ist nunmehr gefährdet. Man kann nicht sagen wie sehr. Als die beantragte Insolvenz des Hauses öffentlich wurde, haben sich Autoren spontan mit dem Verlag solidarisiert, sie gelobten öffentlich, Aufbau in jedem Fall die Treue zu halten.
Unser Autor Rolf Schneider gehörte 1976 mit zu den Unterzeichnern der Protestresolution gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Er schrieb Bücher wie "Tucholskys Berlin" und "Berlin, ach, Berlin". Er lebt in Schöneiche.