Mein Berlin

Warum der Weihnachtsmarkt am Alexanderplatz die Hölle ist

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Nina Paulsen
Glühweinbuden rund um das Karussell – gut, wenn das alles bald wieder vorbei ist

Glühweinbuden rund um das Karussell – gut, wenn das alles bald wieder vorbei ist

Foto: HANNIBAL HANSCHKE / REUTERS

Klebrige Glühweinbecher, absurde Daunenjacken, zu viel Alkohol: Am Alexanderplatz ist es derzeit nicht schön, findet Nina Paulsen.

In der Cocktailbar meines Vertrauens gibt es jetzt Cream Cheese Margarita. Also Frischkäse auf Eis mit Tequila und Zitronensaft gemischt. Ich habe mich noch nicht getraut, den Drink zu probieren, aber ich kann nur hoffen, dass möglichst viel Tequila drin ist.

In dem kleinen Teegeschäft um die Ecke stachen mir wenig später die Sorten „Blueberry Muffin“ und „Caramel Apple Pie“ ins Auge. Hurra, darauf hat die Welt gewartet: heißes Wasser, das nach Kuchen schmeckt! Und bei Rossmann gibt es ein Deo-Spray in der Duftrichtung „It’s Pool Time“ – wobei ich wirklich nicht verstehe, wer freiwillig nach Schwimmbad riechen will.

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Berlin ist im Moment völlig geschmacksverirrt. Überall. Aber das passiert ja irgendwie immer, wenn das Jahr sich Richtung Ende neigt. Mit hochgezogenen Schultern, Kapuze und Tunnelblick stapfen die Menschen durch die Straßen. Die Bäume haben mittlerweile all ihr Laub verloren. Selbst die Sonne gammelt meist nur schlecht gelaunt unter einer Wolldecke auf dem Sofa rum.

Jeder Berufstätige sieht wie ein Zombie aus, weil er morgens im Dunkeln aus dem Haus geht und abends im Dunkeln wiederkommt. Ist ja kein Wunder, dass der Mensch da plötzlich komisch wird.

Der Alex ist einer meiner liebsten Orte in Berlin

Man sieht das auch auf dem Alexanderplatz. Ich mag den ja eigentlich richtig gerne, ich würde sogar so weit gehen und sagen: Der Alexanderplatz ist einer meiner liebsten Orte in Berlin. Ich mag es, unten zu stehen, den Kopf in den Nacken zu legen und zum Fernsehturm hinaufzuschauen. Ich mag die Bratwurst- und Pelzmützenverkäufer, ich mag die Weltzeituhr und wie im spritzenden Wasser des Brunnens im Sonnenlicht ein Regenbogen entsteht.

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Ich gehe oft, wenn ich von der U2 in die S-Bahn wechseln will, mit Absicht oben auf dem Platz entlang, statt unten durch die Katakomben zu schleichen. Übrigens auch, weil dieser Weg einfach schneller ist.

Jetzt gerade mag ich den Alexanderplatz aber nicht. Weil er voller unangenehmer Menschen ist. Da krallen sich wurstglänzende Finger an klebrigen Glühweinbechern fest, da trägt das Partyvolk absurd dicke Daunenjacken in Pink und Grün als ginge es zum Skifahren nach Garmisch. Daneben feiert der Junggesellinnenabschied aus Brandenburg, die blinkenden Rentiergeweihhörner aus Plastik, die sich die Mädels auf die Köpfe gesetzt haben, leuchten mit den Lampions und der Lichtorgel zwischen Buden und Partypyramide um die Wette.

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Besinnungslose Weihnachten statt besinnliche Weihnachten. „Hölle, Hölle, Hölle“, ruft Wolfgang Petry aus den Boxen. Danach geht es zum Rummel neben das Alexa, bis sich im Überkopfkarussell der Magen umdreht.

Berlin hat einen Ruf zu verlieren

Ich wünsche mir, dass wenn irgendwann Außerirdische auf der Erde landen, sie bitte nicht im Dezember auf dem Alexanderplatz ankommen. Berlin hat als eigentlich coole Stadt einen Ruf zu verlieren, außerdem würden uns die kleinen grünen Männchen sofort mit ihren Laserstrahlen ausradieren, wenn sich ihnen so die Menschheit präsentiert. Wer könnte es ihnen übel nehmen?

Vielleicht landen die Aliens aber auch auf einem der Plattenbau-Balkone hinter dem Alex an der Mollstraße, die schon zum ersten Advent mit Weihnachtsschmuck völlig überladen waren. Da hat einer auf seinen anderthalb Quadratmetern überdachter Loggia gefühlte drei Kilometer blauer LED-Lichtleiste verbaut, dazwischen blinken Elfen, Weihnachtsmänner und anderes Getier. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass die Lichtsignale dieses Balkons bis ins Weltall reichen und am Ende eine Art kosmischer Leitstrahl für Raumschiffe sind.

Bis zur unheimlichen Begegnung der dritten Art mache ich es wie die Sonne und verschwinde unter der Decke auf dem Sofa. Und dann, irgendwann Ende Dezember wenn Advent und Weihnachten überstanden sind, geht es bergauf – und dann ist auch der Alex wieder der, der er mal war. Noch ein bisschen abwarten und Teetrinken. Aber bitte ohne Kuchen- und Frischkäsegeschmack.


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