Berlin. Der Senat schaut zu, wie Berlin mit Billigrädern geflutet wird. Müller denkt lieber über Martin Schulz nach, meint Christine Richter.

Räder, wohin man schaut. Grüne, gelbe, orangefarbene, silberne, blaue, dazwischen welche mit Lidl-Aufklebern. In Prenzlauer Berg, dort, wo ich wohne, kann man nicht mehr aus dem Haus treten, ohne über eines dieser Billigräder zu stolpern. Achtlos abgestellt, vom Wind umgeweht oder von irgendjemandem umgestoßen, mal zwei, mal drei Räder. Rund um den Helmholtzplatz, am Mauerpark, am Wasserturm, aber auch am Alexanderplatz, am Gendarmenmarkt, in Friedrichshain oder in Kreuzberg – überall in der Innenstadt stehen die Leihräder der inzwischen acht Anbieter herum. Die meisten Unternehmen, die meinen, Berlin mit Leihrädern beglücken zu müssen, kommen aus Asien. Man sieht es den Rädern an, die offensichtlich für andere Nutzergrößen hergestellt wurden.

Es ist wieder eine von diesen typischen Berliner Geschichten. Eigentlich eine gute Idee. Vor einigen Jahren bot die Deutsche Bahn solche Leihräder an. Solide, mit festen Stationen, an denen sie Berliner oder Touristen ausleihen konnten. Stationen gab es am Hauptbahnhof, an U- und S-Bahnhöfen, aber auch am Helmholtzplatz, wo viele junge Menschen leben und noch mehr Touristen unterwegs sind. Eine gute Sache, um flexibel durch die Stadt zu kommen, gut für den Verkehrsmix in Berlin. Ein interessantes Geschäft, natürlich kamen schon bald andere Wettbewerber hinzu. Ebenfalls mit soliden Rädern, meist in Silber mit entsprechendem Firmenaufdruck. Der Senat vergab den Auftrag schließlich an das Unternehmen Nextbike, das auch mit festen Stationen arbeitet – mehr als 700 sollen es berlinweit sein, mehr als 5000 Räder insgesamt will Nextbike bereitstellen. Und der Senat zahlt jährlich 1,5 Millionen Euro dafür.

Doch dann tauchten all die anderen Anbieter auf, die ihre Räder in den innerstädtischen Bezirken aufstellten. Diese Räder sind einfach zu mieten – und werden einfach wieder abgestellt, wenn man sein Ziel erreicht hat und das Rad nicht mehr braucht. Die Unternehmen sind eigentlich verpflichtet, die Fahrräder zu warten und defekte Räder einzusammeln. Auch in Grünanlagen und Parks dürfen sie nicht abgestellt werden. Eigentlich. Aber mal ganz ehrlich: Hat wirklich jemand damit gerechnet, dass sich die Radfahrer daran halten? Bei rund 16.000 Leihrädern in der Stadt?

So wurde aus einer guten Idee ein Ärgernis. Weil 16.000 Räder schon zu viel für die Innenstadt sind. Weil es noch bis zu 30.000 werden könnten – sagt der Senat. Weil die Räder in knalligen Farben nicht nur hässlich sind, sondern Gehwege und Plätze zumüllen und sich niemand dafür verantwortlich fühlt. Mehr noch – inzwischen landen die Räder schon mal auf einem Altglascontainer oder einem Autodach, weil jemand das witzig findet.

Christine Richter
Christine Richter © Reto Klar | Reto Klar

Den Senat kümmert das – wie das so ist in Berlin – bislang wenig, die Bezirke sollen das Problem lösen. Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) immerhin hat sich jetzt an die Sache herangewagt und vorgeschlagen, von den Anbietern eine Sondernutzungsgebühr zu verlangen. Das von ihm vorgeschlagene System ist ein bisschen kompliziert, außerdem müssten die Mitarbeiter der Ordnungsämter, die sowieso schon viele Aufgaben zu erledigen haben, die Leihräder kontrollieren. Aber immerhin – ein Anfang ist gemacht, nun müssten Senat und Bezirken diskutieren, wie die Leihräderflut wirklich effektiv eingedämmt werden kann. Da reden wir übrigens noch nicht über die Leihmotorroller, die auch auf immer mehr Gehwegen und Plätzen in Berlin herumstehen.

Wenn Sie sich fragen, was wohl der Regierende Bürgermeister Michael Müller zu dem Thema sagen würde, so kann ich Sie aufklären. Müller macht sich über andere Dinge Gedanken – über Martin Schulz, den gescheiterten Kanzlerkandidaten und SPD-Chef, beispielsweise. Die SPD solle Schulz zum Spitzenkandidaten für die Europawahl 2019 machen, so Müller im neuen „Spiegel“. Es ist doch immer wieder interessant, was führende SPD-Politiker so unter Erneuerung verstehen.

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