Berlin. Klaus Wowereit war die Diskussion irgendwie zu abgehoben. Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister saß diese Woche im Bürgerbüro des SPD-Abgeordneten Frank Jahnke in Charlottenburg und lauschte Raed Salehs Worten. Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus las aus seinem Buch „Ich deutsch. Die neue Leitkultur“. 30 Genossen und SPD-Anhänger füllten den Raum an der Goethestraße.
Saleh hatte sein Sakko ausgezogen, die Ärmel seines Hemdes aufgekrempelt. Er dozierte über Leitkultur und die deutsche Sprache. Es sei doch eine Bereicherung, wenn Kinder aus Haushalten von Migranten mehrere Sprachen sprechen könnten, sagte Saleh. Bilingualität sei ein hoher Wert. Da reichte es Wowereit. Bilingualität dürfe man nicht missverstehen, in dem Sinne, dass „man von zwei Sprachen keine richtig kann“, so der ehemalige Regierende Bürgermeister.
Auch den Untertitel des Buches stellte Wowereit infrage. Er würde den Begriff Leitkultur zurückhaltend benutzen, sagte er und schilderte anschließend, um was sich die Politik eher kümmern sollte. Er fahre jetzt mehr U-Bahn als früher, erzählte der Politiker. Und da sei ihm ein Mann mit einem Brecheisen in der Hand auf dem Bahnsteig begegnet. Da habe man schon ein mulmiges Gefühl. Oder als er Drogendealer vor einem Kinderspielplatz in einem bürgerlichen Bezirk gesehen habe. „Das findest du dann nicht mehr so lustig“, so Wowereit.
Jetzt war es an diesem Abend nicht so, dass Wowereit bewusst die Konfrontation mit Saleh suchte. In vielen Thesen unterstützte er den Fraktionschef. Aber Wowereit hatte immer schon eine gewisse Aversion gegen allzu theoretische Debatten. Salehs Buch erschien ihm offenbar zumindest an manchen Stellen zu theoretisch.
Es läuft in diesen Tagen nicht rund für den SPD-Fraktionsvorsitzenden. In den eigenen Reihen ist Saleh gewaltig unter Druck geraten. Er sei zu häufig auf Werbetour für sein Buch, kümmere sich zu wenig um die SPD-Fraktion, so die Kritiker. Vor Kurzem gab es sogar eine mehrstündige Aussprache, die den Anschein hinterließ, Saleh habe zurzeit keine Mehrheit in der Fraktion. Der Spandauer, dessen Stärke eigentlich das Einbinden vieler ist, ist seitdem angeschlagen. Seine Machtbasis im Streit mit dem ewigen Konkurrenten, dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller, war immer eine geschlossene SPD-Fraktion. Doch nun bröckelt diese Macht.
Diese Woche schrieb Raed Saleh einen zweiseitigen Brief an die „lieben Genossinnen und Genossen“ seiner Fraktion. Mit dem Titel: „Wie wir gemeinsam weiter nach vorne kommen – Impulspapier“. Darin machte er einige Vorschläge, wie die Fraktion besser arbeiten könne. So schlug er „teambildende Maßnahmen“ vor, wie Tagesseminare oder ein Teamwork-Training mit einem professionellen Trainer oder auch regelmäßige Stammtische der Fraktion und eine „andere Geburtstagskultur“.
Klaus Wowereit verfolgt in diesen Tagen die Diskussion um Saleh aus der Distanz. Öffentlich hält er sich mit Ratschlägen zurück. Aber eine kleine Anspielung machte er bei der Lesung in Charlottenburg dann doch. Saleh war gefragt worden, wie seine erste Begegnung als neuer Fraktionschef mit dem damaligen Regierenden Bürgermeister gewesen sei. Saleh schmunzelte, nahm sein Buch und las vor, wie Wowereit ihn gefragt habe, was er denn von Beruf sei.
Sozialpädagoge? Wowereit wusste natürlich, dass Saleh kein Sozialpädagoge war, sondern ein Unternehmer aus Spandau, der sich hochgearbeitet hatte. Wowereits Frage zielte auf etwas anderes. „Wenn man Fraktionsvorsitzender wird, dann kann eine sozialpädagogische Ausbildung nicht schaden“, so Wowereit mit Blick auf die Befindlichkeiten. Der Regierende in Rente fügte mit Blick ins Publikum schnell noch hinzu, damit es keine Missverständnisse gebe: Das solle natürlich nicht auf jüngste Ereignisse anspielen.
Natürlich nicht.
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