Das sind keine guten, schon gar keine entspannten Tage für die Politiker in Berlin. Siemens will rund 900 Stellen in der Stadt abbauen, das trifft die Mitarbeiter hart, aber auch die politisch Verantwortlichen wie den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). Die beraten sich mit Wirtschafts- und Verbandsvertretern zwar regelmäßig im „Steuerungskreis Industriepolitik“, von dem massiven Stellenabbau bei Siemens wurden aber auch sie überrascht. Und auch wenn sich Müller und Pop am Montag in die Menschenkette rund um das Siemenswerk einreihten, verhindern werden sie den Jobverlust wohl kaum.
Interessanterweise kritisierte Müller in einer Presseerklärung nicht nur Siemenschef Joe Kaeser, sondern auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und forderte von ihr mehr Engagement für Berlin und die ostdeutschen Länder. Merkel? Hieß der Wirtschaftsminister der vergangenen Jahre nicht Sigmar Gabriel und heißt die amtierende Wirtschaftsministerin nicht Brigitte Zypries? Aber die SPD-Kollegen will Müller nicht angreifen. Ach, wenn die politische Welt doch so einfach wäre.
Dass das Gegenteil der Fall ist, mussten wir alle in der Nacht zu Sonntag erleben. Wohl die wenigsten haben damit gerechnet, dass die Jamaika-Sondierungen von der FDP abgebrochen werden könnten. Die SPD, im Bund als auch in Berlin, sicherlich nicht. Die Sozialdemokraten wollten sich in der Opposition regenerieren – und sich dann in vier Jahren, wenn die Merkel-Ära wohl endgültig beendet wäre, wieder zurück in die Regierung kämpfen. So der Plan. Doch nun müssen sie sich anders verhalten: doch wieder eine große Koalition – oder gar Neuwahlen? Nur wie will man dann Wahlkampf machen? Mit dem Ziel, in eine Regierung unter Merkel einzutreten? Das können die Sozialdemokraten auch jetzt schon haben, ganz ohne Neuwahlen. „Die SPD steckt in der Falle“, heißt es in der Berliner SPD. Und weil die Lage der Berliner Sozialdemokraten noch miserabler ist als im Bund – der Machtkampf zwischen Michael Müller und Fraktionschef Raed Saleh ist ja offen ausgebrochen, spaltet die Fraktion und die Partei –, duckten sich in diesen Tagen zunächst alle weg. Bloß nicht festlegen auf eine große Koalition, bloß nicht für Neuwahlen positionieren, bloß keinen Fehler machen. Müller schlug immerhin eine Mitgliederabstimmung nach etwaigen Sondierungsverhandlungen und vor möglichen Koalitionsverhandlungen mit der CDU vor. Mut, gar Mut zu Verantwortung, den muss offenbar das Parteivolk aufbringen.
Immerhin, das eint alle, von SPD bis CDU: Über Neuwahlen will am liebsten keiner nachdenken. So ein Wahlkampf kostet eine Menge Kraft und Aufwand und Geld und viel Zeit. 2016 erst wurde das Abgeordnetenhaus neu gewählt, im September 2017 dann der Bundestag. Die Wahlkämpfe stecken den meisten noch in den Knochen. Und die, die es knapp in den Bundestag geschafft haben, die hoffen, dass ihnen eine neue Abstimmung erspart bleibt. Eva Högl, die Berliner SPD-Spitzenkandidatin, hatte sich in Mitte nur mit Mühe gegen den Linke-Kandidaten durchgesetzt, die Grünen-Frau Canan Bayram wäre in Friedrichshain-Kreuzberg fast von den Linken überholt worden, der CDU-Abgeordnete Klaus-Dieter Gröhler schlug in Charlottenburg-Wilmersdorf nur knapp den SPD-Kandidaten Tim Renner – soll das alles, nur wenige Wochen nach der Entscheidung, wiederholt werden? Nur die Unterlegenen können sich wohl mit einer zweiten Chance anfreunden.
Und als ob die Woche mit all den politischen Irrungen noch nicht schwierig genug gewesen wäre, erreichte die nächste Hiobsbotschaft die Berliner am Ende der Woche vom BER. Laut einem Tüv-Bericht gibt es nach wie vor erhebliche Mängel. Eine Eröffnung des BER im Jahr 2019 – ausgeschlossen. 2020 – vielleicht, 2021 – nun auch möglich. In diesem fernen Jahr soll eigentlich auch die nächste Abgeordnetenhauswahl und die nächste Bundestagswahl stattfinden. Eigentlich.
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