Berlin. Gregor Gysi soll zum Jahrestag der ostdeutschen Revolution eine Festrede halten. Ehemalige DDR-Bürgerrechtler wehren sich. Zu Recht.

Es geschehen merkwürdige Dinge in diesem Land: In wenigen Monaten, am 9. Oktober dieses Jahres, soll Gregor Gysi in der Peterskirche zu Leipzig eine Festrede halten. Zum 30. Jahrestag der ostdeutschen Revolution. Denn am 9. Oktober 1989 gingen in Leipzig mehr als 70.000 Menschen auf die Straße, um gegen die SED-Diktatur zu demonstrieren. Es war eine Massendemonstration, die vielen heute als letzter Auslöser für den Sturz des SED-Regimes gilt.

Die Frage damals war: Würde die SED die Demonstration mit militärischer Gewalt niederschlagen? Die Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA), Polizisten und die Stasi standen schon zum Einsatz bereit. Doch die DDR-Staatsmacht, durch die Massenflucht der DDR-Bürger in den Wochen zuvor und durch die dramatische wirtschaftliche Lage sowieso schon destabilisiert, gab auf und ließ die Menschen demonstrieren.

Zum Glück: Nur einen Monat später fiel die Mauer nach 28 langen Jahren. Und dieser Umsturz ging als friedliche Revolution in unsere Geschichte ein. In diesem Jahr erinnern wir uns – und feiern 30 Jahre Mauerfall.

Gysi war der letzte SED-Vorsitzende

„Ausgerechnet Gysi“, dachte ich auch, als dieser vor wenigen Wochen in Berlin bei einer Veranstaltung zu den Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 öffentlich auftrat. Damals, Sie erinnern sich, hatten die Bürgerrechtler in der DDR den Mut, die Kommunalwahlen zu begleiten. Durch ihre Anwesenheit bei den Auszählungen konnten sie nachweisen, dass die Wahlen gefälscht waren. Sie ließen sich nicht von der Stasi einschüchtern, sie gingen von diesem Tag an immer montags in Ost-Berlin auf die Straße, um gegen den Wahlbetrug zu demonstrieren. Ausgerechnet Gysi sprach über diesen historisch so wichtigen Tag.

Gysi, der heutige Linken-Politiker, war zu DDR-Zeiten Anwalt, seine Rolle und Nähe zur Stasi ist bis heute nicht endgültig geklärt, gegen entsprechende Vorwürfe wehrte er sich viele Jahre vor Gericht. Aber sicher ist, dass Gysi der letzte SED-Vorsitzende war. Oder wie die Bürgerrechtler jetzt in einem offenen Brief anmerkten: „Er verhinderte die Auflösung der DDR, um Vermögen, Einfluss und Macht zu retten.“

Gysi blieb seiner Partei treu, auch als die sich dann PDS nannte, heute kennen wir sie unter dem Namen Linke. Er ist ein talentierter Rhetoriker und wurde nach 1989 zu einem gern gesehenen Talkshow-Gast. Wir haben ihn in Berlin einige wenige Monate als Wirtschaftssenator erlebt – und die ganzen Jahre als aktiven Linken-Politiker. Er profitierte also von der Freiheit, die die mutigen Menschen in der DDR im Jahr 1989 erkämpften – von der Meinungs- und Pressefreiheit, aber auch von der Tatsache, dass in einer Demokratie viele Parteien möglich und sogar gewünscht sind.

Festredner Gysi? Das völlig falsche Zeichen

Ich weiß nicht, was die Veranstalter bewogen hat, Gregor Gysi als Festredner für den 9. Oktober einzuladen. Es ist das völlig falsche Zeichen, denn es geht an diesem Tag nicht um Versöhnung, sondern um die Würdigung der mutigen Menschen von 1989. Gysi stand auf der Seite derjenigen, die die Diktatur am Leben halten und die deutsche Einheit verhindern wollten.

Völlig richtig also, dass die rund 420 Frauen und Männer in einem offenen Brief gegen seinen Auftritt protestieren. Unter ihnen der Liedermacher Wolf Biermann, Roland Jahn und Marianne Birthler, der Leiter und die ehemalige Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde, die Autorin Freya Klier oder auch Hubertus Knabe, der kürzlich auf Betreiben des Linken-Kultursenators Klaus Lederer entlassene Leiter der Stasiopfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen. Ich bin froh, dass sie die Geschichte nicht vergessen haben und uns alle immer wieder daran erinnern.