Berlin. Was für eine Woche, ich bin wieder einmal aus dem Staunen nicht herausgekommen. Zum Beispiel am Dienstag, als die Kita-Erzieherinnen ihre Arbeit für einige Stunden niederlegten, um für bessere Arbeitsbedingungen und eine höhere Bezahlung zu demonstrieren. Ich habe für diesen Protest vollstes Verständnis, denn die Bedingungen in den Horten und Kitas müssen dringend verbessert werden. Gleiches gilt übrigens für die Pflegeeinrichtungen.
Gestaunt habe ich aber, als ich erfuhr, dass auch Politiker der rot-rot-grünen Regierung zu der Protestkundgebung gingen. Wie der SPD-Fraktionschef Raed Saleh oder die Grünen-Fraktionsvorsitzende Silke Gebel. Saleh sagte von der Bühne in die Menge: „Ich find’s gut, dass Ihr heute hier steht und streikt.“ Die Forderungen und eine höhere Eingruppierung seien längst überfällig. „Es ist eine Frage des Anstands, eine Frage der Menschenwürde, dass Sie gut bezahlt werden“, meinte Saleh.
Silke Gebel von den Grünen kam mit ihrem Kind zur Kundgebung und fand ebenfalls markige Worte. Man lasse nicht zu, dass die Erzieherinnen wieder leer ausgingen, man werde so lange hier stehen, bis es eine bessere Bezahlung gebe, so die Grünen-Frau. Und die Grünen-Landesvorsitzende Nina Stahr schickte noch eine Presseerklärung hinterher, in der sie schrieb: „Aktuell fehlen in der Hauptstadt bis zu 5000 Kitaplätze. Das ist ein untragbarer Zustand für Eltern und Kinder.“
Ist das zu glauben? Wer regiert denn in Berlin? Rot-Rot-Grün – und das seit Ende 2016. Ich finde es bemerkenswert, dass diese Parteien in der Lage sind, gegen sich selbst zu demonstrieren. Das gelingt nicht jedem. Den Eltern, die keinen Kitaplatz finden, nutzt das allerdings gar nichts. Es ist doch ein untragbarer Zustand, dass sich viele Familien schon auf die Suche nach einem Kitaplatz machen, kaum dass die Schwangerschaft bestätigt wurde. Dass sie sich auf die Suche machen müssen.
Gestaunt habe ich dann auch – wieder einmal – über unsere Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke). Dass das nichts wird mit der Zahl der neuen Wohnungen, die sich die rot-rot-grüne Koalition vorgenommen hatte, das war uns allen schon länger klar. Auch wenn es vonseiten des Senats immer wieder hieß, dass man aber mehr Genehmigungen als in der Vergangenheit erteilt habe, dass man auf gutem Weg sei.
Am Donnerstag nun lud Lompscher zur Pressekonferenz und teilte mit, dass das Ziel von 30.000 Wohnungen klar verfehlt wird. Es werden wohl nur 25.000 fertig. Ihre Ausrede: Die Regierungskoalition habe sich „schlicht überschätzt“. Und dann erklärte sie uns noch, dass viele Wohnungsbauprojekte sehr komplex seien und länger dauerten als ursprünglich geplant. Man weiß nicht, ob man weinen oder lachen soll. Ich habe mich mal fürs Staunen entschieden.
Am Freitag überraschte uns die Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) dann noch mit dem Rauswurf ihres Staatssekretärs Henner Bunde (CDU). Aus parteipolitischen und persönlichen Karrieregründen. „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan“, sagte ein Freund. Bitter, aber wahr. Bunde, ein CDU-Mann, durfte nach dem Regierungswechsel als Staatssekretär im Amt bleiben, weil er so viel Erfahrung hat und die anderen Senatsverwaltungen sehr gut kennt.
Nun hat Pop andere Pläne und meint, da passe eine Staatssekretärin, die den Grünen sehr nahesteht, besser. Also weg mit Bunde. Henner Bunde, den ich auch persönlich sehr schätze, verabschiedete sich übrigens per Mail von den Mitarbeitern der Senatsverwaltung: „Eines der wesentlichen Merkmale von Demokratie ist, dass politische Ämter immer nur auf Zeit vergeben werden – dieser Grundsatz gilt auch für politische Beamte.“ Kein böses Wort über die Senatorin, sondern noch der Appell an alle, „die Hausleitung“ weiterhin „kritisch konstruktiv“ zu beraten, denn man habe ein gemeinsames Ziel: „Berlin voranbringen!“
Ein schönes Ziel – ob das auch für den Senat gilt, da bin ich mir nicht so sicher.
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