Meine Woche

Warum man sich in Tegel als Berliner fremdschämt

| Lesedauer: 4 Minuten
Christine Richter

Foto: Maurizio Gambarini / Montage: BM

Am Flughafen sollte man sich besser nicht als Berliner zu erkennen geben. Christine Richter hofft dennoch auf 2020.

Es hat nicht sollen sein: Auch ich habe Berlin über die Weihnachtstage verlassen und bin nach Frankfurt am Main geflogen. Und ich hoffte, dass der Flieger pünktlich ist, denn zum einen war es ein Abendflug, zum anderen wollte mich mein Mann in Frankfurt abholen. Und zum Dritten hatte ich in diesem Jahr schon so häufig und so viele Verspätungen erlebt – ob mit dem Flugzeug, der Deutschen Bahn oder der S-Bahn – inklusive Flug- und Zugausfällen, dass ich wirklich auf ein kleines Weihnachtsgeschenk hoffte. Es war, Sie ahnen es, vergeblich.

Die Lufthansa-Maschine an jenem Sonnabendabend, kurz vor Weihnachten kam mit 20 Minuten aus Frankfurt verspätet an. „Geht ja noch“, dachte ich. Mit 20 Minuten Verspätung waren wir dann auch alle an Bord, doch dann ging nichts mehr. Grund: Die Koffer waren noch nicht eingeladen. Die Pilotin meinte, es werde noch 15 bis 20 Minuten dauern, dann aber werde sie uns schnell nach Frankfurt fliegen. Nun, die Zeit verging, wir standen immer noch in Berlin. Nach 20 Minuten meldete sich die Pilotin wieder und erklärte: „Es wird leider jetzt erst mit dem Beladen des Flugzeugs begonnen, es war kein Personal da.“

Das sei ja wohl ein Grundproblem in Tegel, das fehlende Personal, sagte sie. So könne sie auch gar nicht bei uns Passagieren „um Verständnis“ werben, denn sie verstehe das auch nicht, sie könne nur „um Geduld bitten“. Die Menschen, die in der ausgebuchten Maschine um mich herum saßen, lachten kurz, ein bisschen hämisch, auf und machten sich dann, noch ein bisschen hämischer, über Berlin lustig. „Das nennt sich Hauptstadt“, lästerten sie. Und natürlich fielen auch die drei Buchstaben: BER ... Ich habe mich geschämt – und besser nicht zu erkennen gegeben.

Wir flogen dann mit mehr als einer Stunde Verspätung nach Frankfurt.

Fragt man in Berlin, wer verantwortlich für die Situation ist, so hört man immer die ähnlichen Antworten. Die Flughafengesellschaft, die Tegel und Schönefeld und irgendwann einmal auch den BER betreiben wird, verweist auf den Dienstleister. Der Dienstleister, der das Personal stellt, verweist auf die Flughafengesellschaft, auf die schlechten Bedingungen in Tegel, auf die alten Anlagen wie die Kofferbänder, auf die bauliche Situation, die beispielsweise die Sicherheitskontrollen so umständlich mache – und auf den hohen Krankenstand, der eben auch aus den schlechten Arbeitsbedingungen resultiere. Die Fluglinien, die ja das größte Interesse an einem reibungslosen Ablauf haben müssten, wiederum sehen die Flughafengesellschaft und die Dienstleister in der Pflicht.

Ich frage mich öfter mal, warum Tegel noch nicht kollabiert ist

Kommt Ihnen das bekannt vor? Seit den schlimmen Monaten bei Air Berlin, die mitten in ihrer Krise den Dienstleister wechselte, ähneln sich die Argumente. Und geändert hat sich kaum etwas – oder anders: Das ganz große Koffer- und Abfertigungscha­os aus Air-Berlin-Zeiten, das ist überwunden. Aber heute noch warten Menschen, die in Tegel ankommen, häufig eine Stunde und länger auf ihren Koffer. Von den langen Schlangen beim Check-in ganz zu schweigen. An den Weihnachtstagen empfahl die Flughafengesellschaft allen Reisenden, zwei bis drei Stunden vor Abflug am Airport zu sein. Das ist lustig, wenn man nur einen 45-Minuten-Flug nach Frankfurt vor sich hat.

Leider wird sich an dieser schlechten Flughafensituation auch 2019 wenig ändern. Und wenn, dann wahrscheinlich zum schlechteren. Ich frage mich schon öfter mal, warum Tegel angesichts der großen, der zunehmenden Zahl an Passagieren noch nicht kollabiert ist. Und zwar nicht nur an Weihnachts- oder Ferientagen, wenn es besonders voll am Flughafen ist, sondern an jedem normalen Tag. Und so bleibt uns allen nur eins: durchhalten bis zum Jahr 2020. Genauer: bis zum Herbst 2020. Das sind noch fast zwei Jahre, aber dann wird, so verspricht es Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup in jedem Interview, der BER eröffnet werden. Ganz sicher.

Ich habe beschlossen, ihm zu glauben.

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