Endlich ist in Berlin wieder mehr los als in Plön. In Tempelhof steppt der Bär, und ich bin zum Glück mittendrin.
Ich komme ja leider nicht gebürtig aus Berlin. Bin nur zugezogen. Und das auch erst vor zwei Jahren. Aber Schwamm drüber, ich muss sagen, die meisten Berliner, die ich bisher kennengelernt habe, haben sehr tolerant auf mich reagiert. Auch dass ich zur Begrüßung meistens „Moin“ sage, stört wohl niemanden. Als ich mich bei der Morgenpost bewarb, fielen mir zwei Dinge an ihr besonders positiv auf: Einmal das Datum der Erstausgabe – mein Geburtstag. Nur das Jahr stimmt natürlich nicht. Und die tägliche Seite-1-Kolumne „Kasupke sagt, wie es ist“, die in Berlin ja schon lange Kultstatus hat.
Wer ist eigentlich Kasupke? Diese Frage stellte ich dann prompt an meinem ersten Arbeitstag in der Redaktion. Da war ich gerade von der Ostseeküste nach Berlin gekommen; hauptsächlich der Liebe wegen, aber eigentlich vor allem, um mal so richtig was zu erleben. Dazu später mehr. Die Antwort des Kollegen, der mich damals einarbeitete, lautete jedenfalls mit ernster Miene so: „Das ist die meistgefragte Frage unserer Leser und das bestgehütete Geheimnis der Redaktion.“ Ende der Antwort. Staunend sah ich ihn an. Betriebsgeheimnis also. Ich notierte mir nur: Kasupke ist ein Berliner Urgestein mit Berliner Schnauze, mehr muss man nicht wissen.
Mit dem Hochdeutsch blamiere ich mich in Berlin manchmal
„Berliner Schnauze“ kann ich leider gar nicht. Als geborene Niedersächsin bin ich sowieso dialektneutral aufgewachsen, oder wie man so schön sagt: hochdeutsch. Mit diesem Hochdeutsch blamiere ich mich in Berlin manchmal, zum Beispiel beim Bäcker, wenn ich statt Pfannkuchen „Berliner” bestelle. „Bitte zwei Berliner – äääh! – Pfannkuchen – mit Marmelade“, so verhaspele ich mich leider regelmäßig. Gefolgt von dem Versprecher „Und zwei helle Brötchen – äääh! – Schrippen“. Es braucht wohl noch ein paar Jahre, bis mir das Berliner Bäcker-Vokabular in Fleisch und Blut übergeht.
Bevor ich zur Morgenpost kam, war ich übrigens Lokalredakteurin im Kreis Plön. Autokennzeichen PLÖ, sonstige Kennzeichen ständiger Wind, der von den Bewohnern als „schön frisch“ glorifiziert wird, volle Strände im Sommer, gähnende Leere zu jeder anderen Jahreszeit. Im Großen und Ganzen war es schön in Plön, vor allem aber schön ruhig, um nicht zu sagen: ganz schön öde. In Berlin, nahm ich mir vor, wollte ich dann voll krasse Sachen erleben und freute mich schon auf endlos lange Kreuzberger Nächte und alles andere, wofür Berlin in der Welt bekannt ist. Und dann? Pandemie. Lockdown. Ich zog im Frühjahr 2020 um – und alles war dicht. Weniger los hier als in PLÖ am Volkstrauertag. Die Millionenstadt voll lahm. Und ich leider mittendrin.
Beim allerersten Reporter-Einsatz geriet ich in einen Eierhagel
Immerhin passierte dann aber mehr als gedacht. So geriet ich gleich beim allerersten Reporter-Einsatz in einen Eierhagel. Das war in Neukölln im Juni 2020 und – erinnert sich noch jemand daran? – der dortige Gesundheitsstadtrat hatte für einen Häuserblock mit 1000 Menschen Corona-Quarantäne angeordnet. Eine drastische Maßnahme. Die Bewohner waren wütend, die Stimmung kochte – und plötzlich flogen Eier aus den oberen Stockwerken und zerplatzten nur wenige Zentimeter neben mir auf dem Gehweg. Im Vollsprint rannte ich zum Auto und fuhr mit quietschenden Reifen empört in die Redaktion zurück. Dort wurde mein Erlebnis aber nur mit einem: „Dit ist eben Berlin“ quittiert. Kurz vermisste ich mein ödes Plön.
Jetzt haben wir die Lockdowns ja zum Glück vorerst hinter uns. Und ich konnte endlich auch mal großstädtisch abfeiern, nämlich beim „Tempelhof Sounds“-Festival auf dem Tempelhofer Feld. In der Masse mit 30.000 anderen. Beim umjubelten Auftritt von „Florence and the Machine“ konnten auch einige Frauen neben mir ihre Freudentränen nicht mehr zurückhalten und weinten ungehemmt auf dem Betonfeld. Und stampften und trampelten, so wie Tausende andere auch. Und am nächsten Tag meldeten die Medien in ganz Deutschland: „Konzertbesucher lösen Erdbeben in Berlin aus“. Wie schön! Berlin bebt – darauf hatte ich gewartet.