Berliner Schätze

Wie Alma Mahler mit Walter Gropius um die Tochter stritt

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Susanne Leinemann

Foto: IMAGNO / picture alliance / IMAGNO/Austri

Die Ehe zwischen dem Architekten Walter Gropius und seiner Muse Alma Mahler hielt nur ein paar Jahre. Dann begann ein zäher Krieg um das Sorgerecht für das gemeinsame Kind.

Eine Ehe geht kaputt, ein Kind bleibt bei der Mutter, der Vater kämpft ums Umgangsrecht – am Ende steht die ganz normale Patchwork-Katastrophe. „Nirgends habe ich gefordert, dass Du mir unser Kind allein geben solltest“, schreibt der Berliner Architekt Walter Gropius 1920 aus Weimar, wo er gerade das Bauhaus gründet. „Aber ich erinnere abermals an Dein eigenes Versprechen im Sommer, Du würdest mit Mutzi zu mir kommen, so oft und so lange ich es nur wolle und sie mir auch allein überlassen, so oft und so lange ich sie haben wolle. Und jetzt – nachdem Du mir das Kind trotz meiner erfolglosen Bitten Jahr und Tag fern hältst, wagst Du es, mir jeder Rechte an ihr abzustreiten!!?“

Mutzi ist der Kosename der Tochter – eigentlich heißt sie Manon, geboren 1916, ein Jahr nach der Hochzeit ihrer Eltern Walter Gropius und Alma Mahler, der Muse etlicher berühmter Männer, ja einer ganzen Epoche. Als die beiden sich trennen, ist Mutzi drei Jahre alt.

Ein müder Krieger kommt heim

Nur vier Jahre hat die Ehe gehalten, die meiste Zeit hat man getrennt gelebt. Walter Gropius kämpfte als Offizier im Ersten Weltkrieg, lag vor Verdun, erlebte Grauenhaftes. Einmal findet er sich stundenlang unter den Leichen toter Kameraden lebendig begraben. Der Krieg verursacht Gropius lebenslange Schlafstörungen. Von seiner Frau erhofft er sich Heilung. Ein müder Krieger kehrt heim – in die Arme einer fürsorglichen Frau. Aber so eine ist Alma Mahler nicht, die Frau, die Gropius wegen ihres „scharfen Verstandes“ schätzt. Er verheimlicht seine Kriegstraumata, und sie gibt sich wenig Mühe, ihn aus seinem Schweigen zu erlösen. Das wirft er ihr nun vor. „Unsere Ehe war niemals eine Ehe“, schreibt Gropius 1919 in seinem Trennungsbrief. „Die Frau fehlte in ihr. Eine kurze Zeit warst du mir herrliche Geliebte und dann gingst Du fort, ohne die Krankheit meiner Kriegsverdorrung mit Liebe und Milde und Vertrauen überdauern zu können – das aber wäre eine Ehe gewesen.“

Und Alma? Die will begehrt werden. „Willst Du mich? Und brauchst Du mich!!??“ Wenn Alma Mahler schreibt, dann in expressiver Handschrift und mit lila Tinte. Fotos von ihr irritieren – sie wirkt aus heutiger Sicht nicht wie ein Vamp, eher etwas matronig. Das Schönheitsideal einer anderen Zeit. Aber sie hatte offenbar die Gabe, berühmten Männern den Kopf zu verdrehen. Der Komponist Gustav Mahler ist ihr erster Mann, der Maler Oskar Kokoschka ihr Liebhaber, dann kommt Walter Gropius als zweiter Mann und zuletzt der Dichter Franz Werfel. Aus jeder Kunstsparte einer.

Was für eine seltsame Ehe ich führte

Die Fern-Ehe mit Gropius ist nicht ihr Ding, mal trifft man sich in Berlin, mal in Wien. „My marriage to Walter Gropius was the oddest I could imagine“, schreibt sie später in ihrer Autobiographie. Heißt: Meine kurze Ehe mit ihm war mehr als sonderbar, komisch, nicht passend. Mit seinen Ideen einer neuen, modernen Architektur kann sie auch nicht viel anfangen. Bauhaus interessiert sie nicht. „Was! Bis ans Ende meiner Tage mit Walter Gropius in Weimar dahinvegetieren?“, notiert sie 1919 in ihr Tagebuch. Sie liebt Wien, dort will sie bleiben. Zumal sie in Wien längst einen neuen Liebhaber hat – Franz Werfel.

Walter Gropius, der gehörnte Ehemann, braucht eine ganze Weile, bis er kapiert, was da läuft. Frau und Tochter besuchen ihn 1919 ein letztes Mal in Weimar, danach ist beiden klar, dass diese Ehe am Ende ist. Gropius‘ Entwürfe für den Trennungsbrief an Alma sind Zeugnisse heftiger Emotionen. Mal übt er die Trennung mit dem Bleistift auf hauchdünnem Pergamentpapier, mal auf einem Schmierblatt, mal trägt er seine bittere Liebesbilanz in die Spalten von Buchhaltungsformularen ein – sie steht dann unter „Einnahme“, „Mark“ und „Pfennig“.

Die Briefe wurden immer wütender

Er schreibt sich in Rage. Schreibt Sätze hin, streichst sie durch, streicht ganze Absätze, setzt neu an, unterstreicht einzelne Wörter, manchmal doppelt, schreibt andere in Großbuchstaben, umrahmt das finale Wort „SCHEIDUNG“ mit einem Kasten aus Tinte. Manche Sätze wiederholen sich in den diversen Fassungen, sie tauchen immer wieder auf. „Du warst mir alles – Wunder, Kraft, Sieg, warst mir Mutter, Schwester und Geliebte, mein Kosmos – und gab es denn etwas, was ich Dir nicht gegeben hätte??“

Walter Gropius ist gekränkt und doch nicht nachtragend. Vielleicht, weil ihn die neue Bauhaus-Welt so sehr erfüllt. Nur seine Tochter will er nicht verlieren. „Ich liebe sie und vermisse sie unausgesetzt, ich gebe mein Recht auf sie nie aus der Hand.“ Doch Alma Mahler vertröstet ihn, sagt kurzfristig ab, taucht nicht mit Mutzi auf.

Patchwork war schon immer schwierig

Es gibt Streit. Von Wien nach Weimar ist es weit, die Kriegswirren wirken nach, reisen ist nicht so einfach. Mutzi wird zum Faustpfand. Denn obwohl Alma Mahler ihren Mann mit Werfel betrogen hat, will sie doch nicht so einfach weggeschieden sein. Sie will weiter angeschmachtet werden. Sie ist doch die Muse, und eine Muse entsorgt man nicht! Als Gropius Jahre später wieder heiratet, ist sie verbittert. Sie lebt nun zwar mit Franz Werfel zusammen, hat ihn aber nicht geheiratet. Gropius kegelt Alma mit seiner zweiten Heirat endgültig aus seinem Leben. Das verzeiht sie schwer. „Dies ist ein Abschiedsbrief für immer!“ So beginnt ihr undatierter handschriftlicher Brief, wieder in expressiver lila Tinte und mit bekanntem Schwung. Der gemeinsamen Tochter sei Werfel ein „Freund und Onkel“, mehr nicht. „Aber in Weimar war ihr Vater – Du!“ Nun aber habe Gropius neu geheiratet. „Und zwar schnell und ohne allzu viel Skrupel. Eine zweite Mutter darf diesem überaus empfindsamen Kind nicht octroiert werden.“ Ihre Forderung: Ein Treffen von Vater und Kind könne es ab jetzt nur noch „an einem dritten Ort“ geben, ohne Beisein von ihr, Alma, und Gropius‘ neuer Frau. Was schon schwierig genug war, wird nun noch schwieriger. Gropius sieht seine Tochter nur noch selten.

1935 stirbt Manon Gropius an Kinderlähmung, als junge Frau von 18 Jahren. Das Verhältnis zu ihrem Vater blieb immer verhalten. Patchwork – das war schon in den wilden Zwanzigern eine schwierige Sache.

Dank an das Bauhaus-Archiv