9. April

Unschuldig verurteilte Berlinerin freigesprochen

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Michael Mielke

Fast zweieinhalb Jahre saß eine Berlinerin im Gefängnis, wegen Mordes an ihrem kranken Vater zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Mann war im September 2003 bei einem Brand ums Leben gekommen. Die Tochter hatte stets ihre Unschuld beteuert, doch erst im April 2008 wird sie freigesprochen.

Mehr als drei Jahre nach ihrer Verurteilung wegen Vatermordes hat das Berliner Landgericht eine Arzthelferin in einem zweiten Prozess freigesprochen. Das Gericht sah es in seinem Urteil vom Mittwoch nun als erwiesen an, dass die heute 52-Jährige ihren schwerkranken, bettlägrigen Vater im September 2003 nicht durch ein Feuer tötete, um an sein Erbe zu kommen. Vielmehr folgten die Richter einem Gutachten des Bundeskriminalamtes, wonach eine brennende Zigarette des 75-jährigen Rentners einen Schwelbrand und damit das Unglück auslöste.

Es war eine andere Angeklagte als an den Tagen zuvor, die zur Urteilsverkündung kam. Sie war gelöster, freundlicher, wirkte fast euphorisch. Kein Wunder, Monika de Montgazon wusste, dass sie einen Freispruch bekommen würde. Auch der Staatsanwalt hatte dafür schon plädiert und ebenso der Vertreter der Nebenklage.

Zweifel gab es eigentlich nur noch, ob es ein Freispruch erster oder zweiter Klasse werden würde. Aber auch diese Frage wurde von der Schwurgerichtsvorsitzenden Angelika Dietrich klar beantwortet: Die Kammer wolle sich „nicht auf Zweifel zurückziehen“, sagte sie. „Das Feuer entstand nicht durch einen Brandbeschleuniger wie Brennspiritus; es wurde ausgelöst durch einen Unglücksfall.“ Ausgangspunkt für diese Einschätzung war die Expertise der Obergutachterin des Bundeskriminalamtes, Silke Löffler.

Krebskranker Vater im Bett verbrannt

Der renommierten Brandsachverständigen zufolge hatte der 76-jährige Vater der Angeklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit im Bett geraucht und versehentlich einen Schwelbrand ausgelöst. Der an Bronchialkrebs erkrankte, bettlägerige Senior verbrannte. Hinweise darauf, dass Spiritus verwendet wurde, fand Silke Löffler nicht.

Monika de Montgazon war im Januar 2005 wegen Mordes zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt worden, verbunden mit der strafverlängernden „Feststellung der besonderen Schwere der Schuld“. Damit wäre eine Haftentlassung nach 15 Jahren ausgeschlossen gewesen. Der Vorsitzende der 22. Großen Strafkammer nannte Habgier als Motiv: Die 52-Jährige habe das Haus ihres Vaters am Buckower Uhuweg in Brand gesetzt, um die Versicherungssumme von rund 220.000 Euro kassieren zu können. Jedoch gab der Bundesgerichtshof (BGH) im Januar 2006 der Revision der Angeklagten statt und hob das Urteil auf. Seit März 2006 ist Monika de Montgazon wieder auf freiem Fuß.

Das Gericht stützte sich bei seinem ersten Urteil 2005 auf Gutachten des Landeskriminalamtes (LKA), die später vom Bundesgerichtshof und nun auch von der 29. Großen Strafkammer scharf kritisiert wurden. Die LKA-Experten hielten für erwiesen, dass die Angeklagte mehrere Liter Spiritus verschüttet und angesteckt hatte. „Diese Gutachten sind zur Überzeugung der Kammer nicht tragfähig“, sagte Richterin Dietrich. Es habe der „notwendige selbstkritische Ansatz bei den Gutachtern“ gefehlt. Die Schwurgerichtsvorsitzende sprach von einem Fall, der „exemplarisch die Bedeutung von sorgfältigen Sachverständigengutachten in Lebensbereichen beleuchtet, in denen Richtern die eigene Sachkunde fehlt“. Die Staatsanwaltschaft und die 22. Große Strafkammer seien im ersten Verfahren davon ausgegangen, dass diese LKA-Gutachten richtig seien. „Das war aber nicht der Fall.“

Das erste Urteil sei nun korrigiert, sagte die Richterin. „Das bedeutet nicht: ,Ende gut, alles gut'. Jede zu Unrecht erfolgte Verurteilung ist eine zu viel!“

Verteidiger Lutz Körner hatte in seinem Plädoyer auf die Folgen einer vier Jahre und sechs Monate währenden strafrechtlichen Verfolgung seiner Mandantin verwiesen. Eine Zeit, in der sie 888 Tage in Untersuchungshaft verbrachte. „Sie wirkt hier sehr gelassen und fast stoisch“, sagte er, „aber sie ist fix und fertig mit den Nerven.“ So befinde sie sich auch seit Juli 2006 in psychiatrischer Behandlung.

Elf Euro Entschädigung pro Tag

Monika de Montgazon stellte sich nach der Urteilsverkündung lächelnd den Reportern. „Ich bin glücklich und werde jetzt mit meinen Verwandten feiern“, sagte sie. Die erste Verurteilung und die Zeit im Gefängnis habe sie „wie in einem schlechten Film erlebt“, ohne aber den Glauben an die deutsche Justiz verloren zu haben. Sie hoffe, wieder ein ganz normales Leben führen zu können. „Ich will mir jetzt Arbeit suchen.“

Als Haftentschädigung erhält Monika de Montgazon rund 10.000 Euro – 11,26 Euro für jeden hinter Gittern verbrachten Tag. Grundlage ist das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen. Dort heißt es in Paragraf 7: "Gegenstand der Entschädigung ist der durch die Strafverfolgungsmaßnahme verursachte Vermögensschaden, im Falle der Freiheitsentziehung auf Grund gerichtlicher Entscheidung auch der Schaden, der nicht Vermögensschaden ist." Entschädigung für Vermögensschaden werde nur geleistet, wenn der nachgewiesene Verlust den Betrag von 25 Euro übersteigt. Für den Schaden, der nicht das Vermögen betrifft, beträgt die Entschädigung elf Euro für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung. Auf die Frage, ob Monika de Montgazon vom LKA eine Entschuldigung erwarte, schüttelte sie den Kopf: „Die sagen ja heute noch, dass sie bei ihren Gutachten alles richtig gemacht haben.“

Die Berliner Polizei wies Vorwürfe gegen die LKA-Gutachter zurück. „Die Tatsache, dass es zu einem Lebenssachverhalt unterschiedliche technisch-wissenschaftliche Einschätzungen gibt, begründet keinen vernünftigen Zweifel an der Kompetenz der zuständigen Ermittler“, hieß es. Jede wissenschaftlich-technische Auseinandersetzung führe zwar dazu, dass neue Argumente bei künftigen Begutachtungen Beachtung fänden. „Jenseits dieser selbstverständlichen Konsequenz in der täglichen Arbeit“ bestehe aber „kein Grund zu irgendwelchen Veränderungen“.