Brigitte Bosche, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz Zentrum für Lebenslanges Lernen in Bonn über informelle Weiterbildung und die Bedeutung von Nachweisen.
Berliner Morgenpost: Frau Bosche, seit Jahren diskutieren wir darüber, wie wichtig lebenslanges Lernen am Arbeitsplatz ist. Ist diese Botschaft bei den Menschen in den Betrieben angekommen?
Brigitte Bosche: Ich denke schon. Laut Adult Education Survey 2016 besuchen 52 Prozent der Menschen einmal im Jahr eine Fortbildung. Die Zahl liegt seit einigen Jahren konstant auf diesem Niveau. Zu Recht, denn Weiterbildung ist im Berufsleben wichtiger als je zuvor, weil sich die Anforderungen immer schneller ändern – vor allem durch die Digitalisierung. Die E-Mail hat schon vor 25 Jahren den Papierverkehr aufgehoben, heute tauschen manche Firmen nur noch über Chats Informationen aus. Der Lernbedarf ist immens. Software verändert sich, neue Maschinen werden eingesetzt und vernetzt, Produktionsweisen wandeln sich. Vieles allerdings lernen die Mitarbeiter selbst organisiert während der Arbeit.
Es braucht also nicht immer eine organisierte Weiterbildung?
Nein, überhaupt nicht. Aus der Forschung wissen wir, dass 80 Prozent des beruflichen Lernens am Arbeitsplatz stattfindet – informell. Die Leute eigenen sich Neues bei Bedarf selbst an. Ganz automatisch und nebenbei. Wenn der Maschinenbauer merkt, dass etwas nicht mehr so gut funktioniert, beginnt er zu tüfteln oder fragt seine Kollegen. Gemeinsam suchen sie Lösungen und probieren es aus. Auch das ist lernen.
Ist insofern der ganze Weiterbildungsstress übertrieben?
Jedenfalls könnten wir etwas Druck rausnehmen und sagen: Arbeitnehmer, seid euch bewusst, was ihr könnt! Nutzt Chancen zum informellen Lernen und entwickelt euch weiter. Ständig Neues lernen zu müssen kann natürlich zu Stress führen. Gerade wenn man sich überfordert fühlt oder wenig motiviert ist oder gar nicht weiß, warum man etwas lernen soll. Und sicher lässt sich nicht alles im Laufe eines Berufslebens informell lernen. Aber vieles können sich Arbeitnehmer auch selbstorganisiert erarbeiten. Wer das systematisch angeht, kommt schnell voran.
Worauf kommt es dabei an?
Zunächst sollte man sich fragen: Was kann ich, was brauche ich für den Job, was braucht das Unternehmen, wo will ich hin? Für diese Selbstanalyse haben wir den ProfilPass entwickelt, ein Arbeitsbuch, mit dessen Hilfe Menschen systematisch aufspüren können, was sie alles schon können und wissen. Denn das ist vielen gar nicht klar. Wichtig dabei ist, über den Beruf hinauszudenken: Was habe ich zum Beispiel im Ehrenamt oder in der Familie gelernt? Wie kann ich diese Kenntnisse oder Fähigkeiten in meinem Berufsalltag nutzen?
Nach so einer Bestandsaufnahme plane ich das selbst organisierte Lernen ...
.... genau. Möglichkeiten gibt es dafür viele. Ich kann mich mit Kollegen austauschen, Fachliteratur durcharbeiten oder Online-Angebote nutzen, je nachdem, was zu meinem Arbeitsalltag und Lernziel passt. Im Netz gibt es mittlerweile eine Fülle von guten Angeboten, von Open Educational Resources (OER), also kostenlosen Lernmaterialien online, über Tutorials, unterhaltsame Lernvideos bis zu digitalen Weiterbildungskursen von Universitäten, den „MOOCs“ („Massive Open Online Courses“).
Wann ist eine Weiterbildung mit Zertifikatsabschluss sinnvoller als selbst organisiertes Lernen, egal ob online oder offline?
Zum Beispiel, wenn man sich beruflich verändern möchte – und sei es nur innerhalb des Unternehmens. Wenn ich als Forscherin künftig gerne im Fundraising arbeiten würde, kann ich ja gar nicht belegen, dass ich dafür geeignet bin. Ich habe ja noch nie im Fundraising gearbeitet, kann keine Erfahrungen vorweisen. Wieso sollte man mir das also abnehmen? Mit einer organisierten Weiterbildung mit Zertifikatsabschluss kann ich diese Lücke schließen und zeigen: Ich habe mich qualifiziert. Selbst wenn ich mir dieses Wissen genauso gut selbst aneignen könnte – wenn ich mich beruflich verändern will, brauche ich den formalen Nachweis. Auch heute noch. Deshalb sollte man unbedingt auch auf die Reputation des Anbieters achten.
Eine solche Weiterbildung lässt sich meist kaum nebenbei machen. Oft fehlt man ein, zwei Tage im Unternehmen. Wie überzeugt man seinen Chef?
Manche Firmen fördern durchaus, wenn sich Mitarbeiter auf eigene Faust weiterbilden möchten. Andere sehen es in der Tat als Last, weil die Leute ein paar Tage im Job ausfallen. Dann hilft nur eines: Dem Chef gegenüber plausibel machen, warum man sich in dem Thema fortbilden will und – vor allem – was der Betrieb da davon hat.