Berlin. Zwei Jahre nach der großen Flüchtlingskrise genießen Tausende Zuwanderer inzwischen Bleiberecht. Damit haben Bezirke und Jobcenter die Aufgabe, sie unterzubringen. In ihrer Not nehmen die Sozialämter, was sie kriegen können. In der Folge hat sich in Berlin ein florierender grauer Markt von Pensionen, Hostels und anderen Heimen entwickelt, in die Menschen zu Tagessätzen von 25 bis 30 Euro zum Teil über Monate hinweg leben. Einzelne Bezirke bringen mehr als die Hälfte ihrer Wohnungssuchenden in Unterkünften unter, die nicht durch das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) oder die Unterbringungsleitstelle überwacht werden. „In den Bezirken herrscht Anarchie“, sagt Georg Classen vom Flüchtlingsrat.
Inzwischen sind nach Angaben der Senatsverwaltung für Soziales 34.000 „statusgewandelte“ Flüchtlinge aus der Zuständigkeit des LAF zu Bezirken und Jobcentern übergewechselt. Niemand hat einen Überblick über die oft kleinteiligen Wohnungsangebote. Kleine Zimmer bringen den Vermietern dann schon mal 3000 Euro im Monat oder mehr. Mittes Bürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) klagt: „Wir zahlen weiter unmögliche Preise für unmögliche Unterkünfte.“
Die einzelnen Bezirksämter greifen dabei auf Plätze in ganz Berlin zurück, über die sie aber wenig wissen. In Mitte wird eine Liste geführt mit Unterkünften, die andere Bezirksämter belegen. Darauf wird nur jedes fünfte Angebot als uneingeschränkt legal und seriös eingestuft. Bezirksämter belegen auch Heime von Betreibern wie der Firma Gierso, denen das LAF wegen Qualitätsmängeln gekündigt hat.
Die finanzielle Dimension ist gewaltig: Die Jobcenter zahlten im Dezember 2016 für 10.200 Bedarfsgemeinschaften von Arbeitssuchenden in Berlin Unterkünfte, die nach Tagessätzen abrechneten. Im Dezember 2016 flossen 11,4 Millionen Euro für diesen Zweck. Das macht im Durchschnitt mehr als 1100 Euro im Monat für jede Bedarfsgemeinschaft.
Missbrauch ist relativ einfach. In einzelnen LAF-Heimen bieten Vermieter dem Vernehmen nach den anerkannten Flüchtlingen offensiv Wohnungen an, gegen Vorkasse oder Vermittlungsgebühren, die die Menschen zahlen sollen. Die Polizei warnt mit Flugblättern vor Betrügern. Ein Sprecher der Regionaldirektion bestätigt, dass kein Datenabgleich stattfindet: „Der Sachbearbeiter im Jobcenter Mitte weiß nicht, ob der Kollege in Tempelhof schon die gleiche Wohnung in Spandau bewilligt hat.“
Martin Hoyer, stellvertretender Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, sagt, mögliche Sanktionen würden zunächst die Menschen selber treffen. „Deshalb geht es zunächst darum, einen Überblick zu gewinnen, wo die Menschen wohnen und ob dort sowohl die Steuerzahler als auch die Betroffenen übers Ohr gehauen werden“, sagte Hoyer.
Der Berliner Senat rechnet für die nähere Zukunft mit erheblichen Mehrkosten für die über Jobcenter oder Bezirke untergebrachten Menschen. Im Haushaltsplanentwurf stehen für 2018 340 Millionen Euro, 2019 werden 441 Millionen erwartet. Der Zuwachs dürfte zum Großteil auf das Konto der Geflüchteten gehen. Für das Land hält sich die finanzielle Belastung jedoch in Grenzen, weil der Bund die Unterkunftskosten ausgleicht.
Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) sagt, man wolle ab 2018 die Koordination der Unterkünfte dem LAF übertragen. Sechs zusätzliche Stellen sind im neuen Haushalt vorgesehen. „Wir brauchen eine gesamtstädtische Steuerung, müssen die Menschen beraten und schnell zusätzliche modulare Unterkünfte bauen.“ Es werde aber nicht von heute auf morgen gelingen, unseriösen Vermietern das Handwerk zu legen, so die Senatorin.Seite 12