Berlin. Weltweit integrieren Architekten und Stadtplaner Bepflanzungen am Bau, um Schadstoffbelastungen zu reduzieren
In der internationalen Ökoszene ist Heng Swee Keat ein großer Star. Doch anders als Stuttgarts Grüner Oberbürgermeister Fritz Kuhn will der Finanzminister von Singapur die Feinstaubbelastung in der südostasiatischen Metropole nicht durch ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge senken. Er setzt stattdessen auf hohe Abgassteuern, um betagte Stinker von den Straßen des Stadtstaates zu verbannen. Mit den Fiskaleinnahmen fördert der 55-jährige Politiker die Ausdehnung der Grünflächen.
Obwohl der Stadtstaat mit 719 Quadratkilometern Gesamtfläche deutlich kleiner ist als Berlin mit 892 Quadratkilometern und dabei mit 5,6 Millionen Einwohnern fast doppelt so viele Menschen beherbergt, wachsen Bäume, Büsche und Rasen auf 30 Prozent der Gesamtfläche. Das sei eine „deutlich dichtere Bepflanzung als in jeder anderen Großstadt der Welt“, urteilen die Experten des Weltwirtschaftsforums.
Auflagen für Grünflächen an Hochhäusern
Dass Singapur so grün ist, liegt daran, dass in der Minirepublik nicht nur freie Bodenflächen bepflanzt werden. Gemüsebeete, Büsche und selbst Bäume sind auch in der Vertikalen zu finden. Projektentwickler müssen mit jedem neuen Hochhaus Grünflächen schaffen, die als Balkone aus den Gebäuden ragen. Jedes Dach muss als Garten angelegt werden. „Wir nutzen jeden freien Quadratmeter zur Begrünung“, sagt Oh Cheow Sheng, Direktor der Nationalparkverwaltung im Stadtstaat.
Das sorgt für saubere Luft und fördert die Gesundheit der Stadtbewohner. „Pflanzen sind Biofilter“, sagt der französische Botaniker und Gartenarchitekt Patrick Blanc. „Sie wandeln Kohlendioxid in Sauerstoff um und fangen Moleküle ein, die die Luft verschmutzen, um sie in Nährstoffe zu wandeln.“ Schadstoffe und Staubpartikel wie der Abrieb von Autoreifen würden so biologisch zersetzt. Blanc zählt in Europa zu den Wegbereitern der Stadtbegrünung. Weil in den Metropolen immer weniger Platz für Grünanlagen vorhanden ist, lässt der Franzose Gärten an die Fassaden von Bauwerken hängen. Sein in Deutschland bekanntestes Werk schmückt die Berliner Galeries Lafayette.
Zwar sind Europas Metropolen zurzeit weit davon entfernt, so grün zu sein, wie Singapur es ist. Doch Stadtplaner und Projektentwickler beginnen bei der Entwicklung neuer Quartiere und Bauvorhaben, Pflanzen mehr Platz einzuräumen. Ein Beispiel dafür ist das kleine neue Wohnquartier Tizian-Gärten in Potsdam. Dort errichtet der Berliner Projektentwickler Bewocon gerade vier exklusive Wohnhäuser mit 28 Eigentumswohnungen. Das gesamte Grundstück wird dabei als kleiner Park angelegt, um eine grüne Oase inmitten der brandenburgischen Landeshauptstadt zu schaffen. Die Fläche werde so gestaltet, dass „der Blick der Bewohner sowohl von den Gartenwohnungen im Erdgeschoss als auch von den Balkonen und Terrassen der Obergeschosse immer ins Grüne schweift“, sagt Karl Jürgen Zeller von der Bewocon.
Das erste „grüne Hochhaus“ Europas wurde Ende 2014 in Mailand fertiggestellt. Der Bosco Verticale, der „senkrechte Wald“, besteht aus zwei 110 Meter und 76 Meter hohen Wohntürmen. Rundum sind in deren Fassaden 1,30 Meter tiefe Betonkästen eingelassen, in denen 2000 Sträucher und 900 bis zu neun Meter hohe Bäume sprießen. Für das spektakuläre Bauwerk erhielt der italienische Stararchitekt Stefano Boeri den von der deutschen Wolkenkratzermetropole Frankfurt alle zwei Jahre ausgelobten internationalen Hochhauspreis.
Um Schadstoffe möglichst effizient in gute Luft zu verwandeln und die Bewohner der beiden Hochhäuser vor Lärm zu schützen, hat die für die Bepflanzung verantwortliche Botanikerin Laura Gatti 80 Busch- und Straucharten sowie 20 verschiedene Laub- und Nadelbäume ausgewählt, darunter Buchen, Eichen, Haselnuss und sogar Pflaume.
Weitere grüne Hochhäuser sind in einer Reihe europäischer Städte in Planung. Im badenwürttembergischen Waiblingen will die Stuttgarter Wohnungsgesellschaft GWG den „Grünen Daumen“ errichten – ein Wohnturm, der am nördlichen Rand der 54.000-Einwohner-Stadt 56 Meter in den Himmel ragen soll. Und in München hat die Stadtgestaltungskommission die Pläne für einen 52 Meter hohen Büro- und Wohnturm mit hängenden Gärten am Arabellapark im Stadtteil Bogenhausen abgesegnet.
Gärtner kommen mit Schere und Spaten über das Dach
Spätestens 2020 will der Investor, die Arabella 26 Liegenschaftsverwaltung, mit dem Bau des 16-geschossigen Hochhauses beginnen. Die unteren Etagen sind für Bürotrakte reserviert, auf den oberen Stockwerken sollen 50 exklusive Eigentumswohnungen entstehen.
Das Bepflanzungskonzept wurde zusammen mit dem auf Fassadenbegrünung spezialisierten Gartenbauunternehmen Vertiko im südschwarzwälder Kirchzarten entwickelt. Dass grüne Hochhäuser in Deutschland und anderen europäischen Ländern bislang noch Mangelware sind, liegt vor allem am hohen, teuren Pflegeaufwand. Aufwendige Bewässerungssysteme müssen in trocknen, heißen Sommerwochen dafür sorgen, dass die Pflanzen genügend Feuchtigkeit erhalten. Gleichzeitig müssen die Leitungen gut genug gedämmt sein, um im Winter nicht durch Frost beschädigt zu werden.
Darüber hinaus müssen die Büsche und Bäume regelmäßig beschnitten und Unkraut gejätet werden. Doch kein Eigentümer oder Mieter einer Wohnung in einem mit Gärten behangenem Wolkenkratzer will, dass Landschaftspfleger mit Schubkarren, Baumschere und Spaten durch seine Zimmer gehen. Deshalb sind auf den Dächern der grünen Hochhäuser Kräne montiert, mit denen sich die Gärtner auf die Balkone herablassen und nach getaner Arbeit samt gekappter Äste und Zweige wieder in die Höhe hieven lassen. Allein beim Mailänder Bosco Verticale sind dafür drei Landschaftspfleger fest angestellt.
Das sorgt dafür, dass die Nebenkosten bei grünen Hochhäusern deutlich höher sind als bei konventionellen Wohntürmen. Das schreckt in Europa potenzielle Käufer und Mieter ab. In Singapur hingegen ist dies kein Problem. Dort können diese Aufwendungen steuerlich abgeschrieben werden.