KATJA REISER
Gefühlt alle Deutschen haben Rückenprobleme, aber dafür gibt es zu wenig Physiotherapeuten. Der Mangel ist so groß, dass etwa in Berlin frisch operierte Patienten keinen Therapeuten finden, der zu ihnen nach Hause kommt. Und auch in den Praxen sind die Bestellbücher voll, Termine rar, manche nehmen keine neuen Patienten mehr an. Doch warum erlernen nicht mehr junge Menschen diesen Beruf?
Die Gründe reichen von schlechter Bezahlung über ausufernde Bürokratie bis zu Problemen in der Aus- und Weiterbildung. Die Politik will daran etwas ändern. Gerade wurde vom Bundestag die Reform des Heil- und Hilfsmittelgesetzes beschlossen. Erleichterungen für Therapeuten und Patienten sind in Sicht. In sechs von 16 Bundesländern gilt die Physiotherapie bereits als sogenannter Engpassberuf. Offene Stellen bleiben unbesetzt. Außerdem wandern viele Berufseinsteiger in andere Jobs ab. Dieser Trend nimmt seit einigen Jahren immer mehr zu.
Enver Pinarbasi ist 33 Jahre alt, mit Leib und Seele Physiotherapeut und betreibt mit vier Praxen eine der größten Physiotherapie-Einrichtungen Berlins, das Therapium. Seine Aussagen sind eine Homage an einen tollen, zufrieden machenden Job gepaart mit der Frustration über schlechte Rahmenbedingungen. „Der Job steht und fällt mit dem Idealismus. Ich muss mit Menschen arbeiten, sie heilen, einen Erfolg sehen wollen. Dann ist dieser Beruf der richtige für mich.“ Doch leider sieht die Praxis anders aus.
Für Pinarbasi wird es immer schwerer, gute und genügend Physiotherapeuten zu bekommen. „Initiativbewerbungen gibt es längst keine mehr, ich muss mich selbst umhören in der Szene, bei Freunden, Bekannten und habe noch extra jemanden für Personalakquise.“ Doch die jungen Therapeuten würden immer öfter nur noch halbtags arbeiten wollen, sind wenig motiviert, häufig krank und wollen auf keinen Fall Überstunden machen.
Der Grund für die sinkende Attraktivität des Berufes geht schon bei der dreijährigen Ausbildung los. „Die kostet an vielen der bundesweit 360 Physiotherapieschulen bis zu 15.000 Euro, die man aus eigener Tasche zahlen muss“, sagt Rainer Großmann, Vorstandsmitglied Nordost beim Deutschen Verband für Physiotherapie. Der Verdienst nach dem Abschluss sei unzureichend, die Arbeitsbelastung hoch. Das schrecke viele ab.
Für die Ausbildung müssen viele Hürden genommen werden
Durchschnittlich 13 Euro brutto pro Stunde verdient ein Physiotherapeut. Aber nicht gleich nach der Ausbildung. Dafür muss er sich ständig weiterbilden und qualifizieren und auch das aus eigener Tasche bezahlen. Bei dem geringen Verdienst ist das für viele schlichtweg nicht möglich. Außerdem müssen sie noch Urlaub dafür nehmen – bei einem durchschnittlichen Jahresurlaub von ohnehin nur 24 Tagen. Der Bedarf an Physiotherapie steigt ständig, die Zahl der angehenden Physiotherapeuten aber sinkt. Dadurch sei die therapeutische Patientenversorgung in Gefahr, so Großmann. Der Deutsche Verband für Physiotherapie hat beim Gesetzgeber aber schon einiges erreicht. Das neue GKV-Versorgungsstärkungsgesetz sorgt seit Mitte 2016 dafür, dass die Vergütungsunterschiede zwischen den Kassenarten schrittweise Richtung Obergrenze ausgeglichen werden. Ab April 2017 können zusätzlich höhere Vergütungspreise für therapeutische Leistungen erzielt werden. Im Schnitt setzen Krankenkassen
20 Minuten für eine Behandlung an, für jede gibt es eine Dokumentationspflicht, Personal für Anmeldung und Abrechnung muss von den Behandlungsgebühren bezahlt werden. Für jeden Physiotherapeuten müssen Behandlungsräume nachgewiesen werden, auch wenn er sie gar nicht nutzt.
Pinarbasi weiß, wie er seine Mitarbeiter am besten motiviert: „Ich investiere in meine Praxen. Moderne Arbeitsmittel, gute Behandlungsbänke, abgeschlossene Räume, keine Vorhänge, eine neue Software, jeder bekommt sein eigenes iPad mit in die Kabine – zur Dokumentation. Meine Mitarbeiter sollen sich wohlfühlen und es so leicht wie möglich haben. Wer gut ist, bekommt zusätzlichen Urlaub und Zuschüsse zur Weiterbildung. Das bringt Zufriedenheit – für Therapeuten und Patienten!“
Das gerade vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung kommt ihm jetzt entgegen. Es wird demnächst noch höhere Vergütungsabschlüsse möglich machen und die Autonomie der Berufsausübung stärken. Blankoverordnungen sollen es Patienten und Therapeuten dann ermöglichen, die am besten geeignete Therapie festzulegen.
Infos zum Berufsbild unter:
www.physio-deutschland.de