GEWALTTATEN

Rechtsextreme Gewalt in Berlin steigt deutlich

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Ulrich Kraetzer

Im vergangenen Jahr zählte die Polizei 156 Opfer – fast doppelt so viele wie 2014. Die Übergriffe richten sich oft gegen Flüchtlinge

Berlin.  In Berlin werden immer mehr Menschen von Rechtsextremisten angegriffen. Im vergangenen Jahr zählte die Polizei mit 156 Opfern fast doppelt so viele wie im Jahr 2014. Damals waren noch 86 Menschen angegriffen worden. Diese Zahlen nannte die Senatsverwaltung für Inneres auf eine parlamentarische Anfrage der SPD. Auch die Zahl der als rechtsextrem eingestuften Delikte erreichte im vergangenen Jahr einen Höchststand. Nach 1560 Straftaten im Jahr 2014 waren es im vergangenen Jahr 1655.

Die meisten der registrierten Delikte fallen in den Propagandabereich. Dazu zählt beispielsweise das Zeigen des Hitlergrußes oder anderer verbotener Symbole. Die Zahl dieser Straftaten ist mit 774 im vergangenen Jahr leicht zurückgegangen. Überproportional angestiegen ist dagegen die Zahl der Gewalttaten. 2014 zählte die Polizei 108 Übergriffe, im vergangenen Jahr waren es 143. Dabei wurden 81 Menschen leicht und drei schwer verletzt. 42 Opfer kamen ohne Blessuren davon, bei 30 weiteren ist der Grad der Verletzung laut Statistik nicht bekannt.

Die Senatsverwaltung für Inneres beließ eine am Dienstagmittag gestellte Anfrage zu den Gründen für den Anstieg und zu möglichen Gegenmaßnahmen bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden gehen aber davon aus, dass ein Hauptgrund die wachsende Zahl von Übergriffen auf Flüchtlinge ist. Dies spiegelt sich auch in der Statistik wider. So wurden 2014 noch 39 Delikte gegen Flüchtlingsunterkünfte gezählt. Im vergangenen Jahr waren es bereits 58.

Mit dem Hass auf Flüchtlinge fanden die Strömungen der rechtsextremen Szene laut Sicherheitsbehörden einen gemeinsamen Nenner. Das Thema würde sowohl traditionelle Neonazis zu Gewalttaten treiben als auch Anhänger islamfeindlicher Gruppierungen. Dazu zählten beispielsweise die „Hooligans gegen Salafisten“ (Hogesa), die German Defence League, der Pegida-Ableger Bärgida oder die ebenfalls als rechtsextrem geltende Identitäre Bewegung.

Der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber, der die Anfrage an die Innenverwaltung gestellte hatte, wertete die steigende Zahl der Gewalttaten als Ergebnis der schärfer gewordenen gesellschaftlichen Diskussion über Flüchtlinge. „Der ein oder andere Gewalttäter dürfte sich durch rechte Parolen bestätigt und ermuntert gefühlt haben“, sagte Schreiber. Man dürfe die Kritik an der Flüchtlingspolitik nicht einfach beiseitewischen, müsse aber dafür sorgen, dass die Menschen nicht den Rechtsextremen auf den Leim gingen. Diese würden versuchen, Profit aus dem Thema zu schlagen.

Zahl der Übergriffe könnte in Wahrheit noch höher sein

Beobachter fürchten, dass die tatsächliche Zahl der Übergriffe von Rechtsex­tremen sogar noch höher sein könnte, als in der behördlichen Statistik zu politisch motivierter Kriminalität ausgewiesen. Die öffentlich geförderte Beratungsstelle Reachout zählte im vergangenen Jahr 320 Angriffe, also deutlich mehr als in der Polizeistatistik erfasst. Es ist zudem der höchste Wert, den die Stelle seit ihrer Gründung vor 15 Jahren erfasst hat.

Ein Grund für die Differenz zwischen der Statistik von Reachout und den amtlichen Angaben der Polizei könnten unterschiedliche Methoden bei der Erhebung der erfassten Taten sein. Einige Opfer würden einen Angriff von Rechtsextremen zudem nicht bei der Polizei anzeigen, sagte die Leiterin von Reachout, Sabine Seyb. Dies gelte vor allem für Flüchtlinge, die Angst hätten, dass ein Kontakt mit der Polizei sich negativ auf ihre Chancen auswirken könnte, in Deutschland bleiben zu dürfen. „In den Abschnitten der Polizei gibt es unserer Erfahrung nach aber auch immer wieder Fälle, in denen Übergriffe von Rechtsextremen nicht als solche erfasst werden“, sagte Seyb. Die meisten Angriffe ereigneten sich nach Angaben von Reachout in Marzahn. Unter den Opfern seien auch 42 Kinder gewesen.