Mehr als saure Gurken

In diesen Restaurants wird Fermentation neu entdeckt

| Lesedauer: 5 Minuten
Annika Schönstädt
Daniela und Udo Knörlein von der Kitchen Library

Daniela und Udo Knörlein von der Kitchen Library

Foto: Jörg Lehmann

Wie im “NaNum” und in der “Kitchen Library” mit altem Wissen moderne Gerichte entstehen.

Berlin. Zwei komplett unterschiedliche Restaurantkonzepte, eine Gemeinsamkeit: Im “NaNum” an der Lindenstraße in Kreuzberg und in der “Kitchen Library” an der Bleibtreustraße in Charlottenburg stehen Fermente im Mittelpunkt des Geschehens. Die Technik des Haltbarmachens von Lebensmitteln mithilfe von Gärung durch Pilze oder Bakterien existierte wahrscheinlich schon in der Steinzeit, ist seit 9000 Jahren nachweisbar

und galt der Generation der heutigen Großmütter als Selbstverständlichkeit im Küchenrepertoire. Spätestens mit René Redzepi, Küchenchef im legendären “Noma”, und seinem Handbuch zur Fermentation, erleben Koji, Kombucha, Miso, milchsauer eingelegtes Gemüse oder lactofermentierter Fisch ein Comeback bei Hobby- und Spitzenköchen.

Aus Richtung ihrer koreanischen Heimat nähert sich Jinok Kim-Eicken in ihrem Restaurant “NaNum” dem Thema Fermentation. Traditionelle Familiengerichte kombiniert sie mit selbstgemachten Zangazis – also eingelegte Kräuter, Wurzeln, Blätter, Früchte und Blüten. Seetang mit Gurke, trocken gereifter Fisch oder Fischkuchen entfalten so ganz besonders intensive und überraschende Geschmacksbilder. Zur Auswahl stehen ein vegetarisches (Mittwoch und Donnerstag mit einem optionalen Fleisch-Hauptgang) und ein Fisch-Menü, begleitet von Naturweinen. Die saisonalen Zutaten stammen aus dem eigenen Garten beziehungsweise von nachhaltigen Bezugsquellen wie 25 Teiche in Brandenburg oder FrischGefischt in Hamburg.

Bei Gerichten wie Buchweizennudeln oder Fisch-Zangazis mit Naturreis assistiert der freundliche Service gerne bei Ess-Technik und -Richtung. Und auch Jinok Kim-Eicken kommt im Laufe des Abends mindestens einmal an jeden Tisch, erkundigt sich, ob alles schmeckt und hält zur Not eine Decke für die Gäste auf der Terrasse bereit.

Für das Konzept und ihre Gastgeberinnenqualitäten wurde die 71-Jährige, die 1978 als Stipendiatin des DAAD nach Deutschland kam, 2023 als “Aufsteigerin des Jahres” bei den Berliner Meisterköchen nominiert. Als wahrscheinlich Älteste jemals in dieser Kategorie, freut sich Kim-Eicken bei Instagram, die nach einer Karriere als Altistin für Barock- und moderne Musik sowie Keramikkünstlerin erst mit Mitte 60 in die Gastronomie wechselte. Beide Elemente finden sich auch im “NaNum”, das gleichzeitig Keramik-Galerie ist und die Gäste mit klassischer Musik entschleunigt.

800 Kochbücher und Aromenwucht in der "Kitchen Library" in der Bleibtreustraße

Unbedingt mehr Aufmerksamkeit verdient das Restaurant “Kitchen Library” an der Bleibtreustraße in Charlottenburg, das zwar bereits seit 2016 existiert, aber bisher recht unbemerkt von der Berliner Foodie-Szene blieb. Der Name erklärt sich beim Eintreten von selbst: Zwischen Regalen mit rund 800 Kochbüchern wähnt sich der Gast beinahe in einer Bibliothek. Eine weitere Besonderheit: Gastgeberin Daniela Knörlein und Küchenchef Udo bestreiten ihr Casual-Fine-Dining-Konzept nur zu zweit. Nicht etwa aus Personalnot, es habe sich eben so eingespielt, sagt das Ehepaar.

Udo Knörlein baut sein Tasting Menü gemäß seiner Ausbildung auf Basis klassisch französischer Küche. Schmeckbar wird das auf jedem Teller durch die Aromenwucht seiner Gerichte wie Pulpo mit Chimichurri, Harissa und Mango oder Wagyu-Short-Ribs mit roter Bete, Waldheidelbeeren und Kartoffel und seltener durch direkte Zitate wie Brioche, Hollandaise und Crème brûlée. Dem entgegen stehen mit ihrer Leichtigkeit und Säure Knörleins Pickles, die als fermentierte Mango den Pulpo erfrischen, als fermentierte Himbeere den Gaumen nach dem Käsedessert wieder ins Gleichgewicht bringen oder als klassisch sauer eingelegte Radieschen beim Zwischengang ans Abendbrot am Familientisch erinnern.

Gelernt hat Knörlein das Fermentieren von seiner Oma, die ihn einst mit ihren sauren Gurken für das Handwerk begeisterte. Auf den verschiedenen Stationen seiner Wanderjahre – unter anderem als Sous-Chef im Schweizer Sterne-Restaurant “Schlüssel Mels” – professionalisierte er die Kunst des Picklens und entwickelte sie mit Erkenntnissen aus der “Noma”-Küche weiter. Eine seiner Lieblingszutaten ist der japanische Koji-Pilz, der als Koji-Karotte mit Melonenschale, Amazake und Tagetes die Hauptrolle im Auftakt des aktuellen Menüs spielt.

Dazu gibt es Bier aus Udo Knörleins fränkischer Heimat und Weine mit dem Schwerpunkt Osteuropa. Die entsprechende Expertise hat sich Quereinsteigerin Daniela Knörlein erst im Selbststudium und dann in einer Ausbildung zur Sommelière angeeignet.

NaNum: Lindenstraße 90, 10969 Berlin. Mittwoch bis Sonnabend 18 bis 23 Uhr. www.nanumberlin.com

Vegetarisches Menü: Mittwoch und Donnerstag 55 Euro, Freitag und Sonnabend 80 Euro. Menü mit Fleisch-Hauptgang: Mittwoch und Donnerstag 55 Euro, Fischmenü Freitag und Sonnabend 90 Euro.

Kitchen Library: Bleibtreustraße 55, 10623 Berlin. Mittwoch bis Sonnabend ab 17.30 Uhr. www.kitchen-library.de/

Fünf Gerichte 89 Euro, sechs Gerichte 102 Euro, sieben Gerichte 114 Euro, sieben Gerichte für zwei zum Teilen 65 Euro pro Person.