Potsdam. Experten rechnen laut einer Studie mit einem noch höheren Bevölkerungswachstum. Der Ausbau der Infrastruktur sei dringend notwendig.
Die Region um den neuen Hauptstadtflughafen BER in Schönefeld wächst sehr viel stärker als bislang angenommen. Das geht aus einer Analyse der Industrie- und Handelskammer Cottbus hervor, die am Mittwoch vorgestellt wurde. Demnach rechnen die Experten mit einer Bevölkerungszunahme von mehr als 40.000 Menschen rund um den Flughafen bis zum Jahr 2030 und bis zu 140.000 neuen Arbeitsplätzen. „Der Flughafen wird eine Sogwirkung von Berlin bis in die Lausitz entfalten“, sagte der Hauptgeschäftsführer der IHK Cottbus, Marcus Tolle, bei der Vorstellung der Studie in Potsdam.
Mehr Fahrbahnen und mehr Ausfahrten an der Autobahn
Diese Entwicklung hat laut Analyse einen erheblichen Einfluss auf die Verkehrsentwicklung. Experten gehen davon aus, dass in den kommenden 20 Jahren eine halbe Million mehr Autos auf den Straßen rund um den Flughafen unterwegs sein werden und der öffentliche Nahverkehr 600.000 Menschen mehr befördern muss. Deswegen fordert die IHK zügig massive Investitionen in die Infrastruktur, um den ansteigenden Verkehrsfluss weiterhin bewältigen zu können. „Angesichts der langen Planungs- und Realisierungszeiten von Verkehrsprojekten müssen jetzt Maßnahmen eingeleitet werden, damit die Verkehrssituation in Zukunft beherrschbar bleibt und die Wirtschaft in der Flughafenregion weiter gefördert wird“, sagte Tolle.
Die IHK hat auf Grundlage der Analyse einen Forderungskatalog aufgestellt, welche Investitionen vordringlich vorgenommen werden sollten. Wichtig-stes Ziel für die Verkehrsplaner in Berlin und Brandenburg sollte es demnach sein, alle Anstrengungen zu unternehmen, in den kommenden sechs Jahren die Dresdner Bahn von Berlin bis zum BER zu realisieren. „Die Dresdner Bahn ist ein essenzieller Baustein für das künftige Verkehrskonzept rund um Schönefeld“, sagte der Autor der Analyse, Bertram Teschner von der Spreeplan Verkehrs GmbH, die die Studie im Auftrag der IHK vorgenommen hat.
Außerdem empfehlen die Experten der IHK dringend die Verlängerung der U7 über Schönefeld zum neuen Flughafen. Die U-Bahn könnte mit bis zu 37.000 Fahrgästen die Situation rund um Schönefeld deutlich entlasten. Das entspricht etwa doppelt so vielen Fahrgästen, wie derzeit am anderen Ende der U7 in Spandau verkehren.
Für den Straßenverkehr empfiehlt Experte Bertram Teschner einen zügigen Ausbau des Zubringers Treptow (A 117) östlich des neuen Flughafens auf vier Spuren und den Bau einer zusätzlichen Autobahnaus- und -auffahrt bei Kiekebusch, um die Erreichbarkeit des BER zu verbessern. Außerdem ist aus seiner Sicht der seit Langem geforderte Ausbau der A 13 zwischen Schönefelder Kreuz und Lübbenau erforderlich, um die Erreichbarkeit des BER auch aus südlicher Richtung zu verbessern.
Verkehrsexperte hält eine City-Maut für denkbar
Insgesamt erwarten die Verkehrsexperten, dass sich der Pendler- und Gewerbeverkehr vor allem zwischen Berlin und dem Umland verstärken wird. Besonders innerhalb Berlins gibt es da Grenzen. So haben die Verkehrsforscher um Bertram Teschner keine Lösung für das Nadelöhr Britzer Tunnel. Derzeit durchqueren bis zu 130.000 Fahrzeuge den Tunnel am südlichen Stadtring. In 20 Jahren werden es der Prognose zufolge bis zu 200.000 Fahrzeuge sein. „Hier ist ein Ausbau der Infrastruktur kaum möglich“, sagte Teschner. „Deswegen ist eine Strategie der Verkehrsvermeidung nötig.“ Denkbar ist Teschner zufolge auch, eine City-Maut nach dem Vorbild Londons einzuführen, um mehr Menschen zu motivieren, vom Auto auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen.
Die Flughafengesellschaft (FBB) begrüßt die Forderungen der IHK Cottbus. „Die IHK-Studie benennt wichtige Straßenbaumaßnahmen und die U-Bahnverlängerung, damit die prosperierende Flughafenregion auch in Zukunft verkehrlich gut funktioniert“, sagte Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup am Mittwoch. „Mit dem Bahnhof unter dem Fluggastterminal und einer ausreichenden Anzahl von Parkplätzen hat die Flughafengesellschaft ihre Vorkehrungen getroffen, um den Flughafenverkehr aufnehmen zu können.“
Das sehen auch die Experten so. Sie erwarten, dass sich der Bahnhof als Verkehrsknoten wie das Südkreuz oder das Ostkreuz entwickeln wird.
Vor dem Hintergrund der Untersuchung fordert die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus ein Verkehrskonzept für die BER-Region. „Die Studie bestätigt unsere Befürchtungen, dass durch die dynamische Entwicklung unserer Region die Verkehrsmengen zunehmen und die Infrastruktur immer mehr belastet wird“, sagte der Verkehrsexperte der Fraktion, Oliver Friederici. „Es ist höchste Zeit, ein Konzept zu entwickeln, das alle neuen Mobilitätsmöglichkeiten anbietet und die Situation an den Flughäfen entzerrt.“
Die Zukunft Berlins könnte in Brandenburg liegen