Der neue Berliner Flughafen BER kann einem Gutachten zufolge womöglich erst 2019 statt wie zuletzt geplant 2018 in Betrieb gehen. Das als „streng vertraulich“ deklarierte Papier war in der vergangenen Woche bekannt geworden. Die Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg stellte daraufhin Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat. Das sagte ein Sprecher am Sonntag, ohne jedoch Details zu nennen.
Demnach ist die Anzeige eine Reaktion auf Medienberichte über Firmengeheimnisse, beispielsweise über das vertrauliche Protokoll einer Telefonkonferenz der drei Gesellschafter Berlin, Brandenburg und Bund.
Update: Am Montag ging die Flughafengesellschaft in die Offensive und veröffentlichte das Gutachten im Internet. Der neue Flughafen-Chef Engelbert Lütke-Daldrup teilte dazu mit: „Die Veröffentlichung der Dokumente durch die Flughafengesellschaft ist ein erster wesentlicher Schritt zu mehr Transparenz am BER.“
Die Schocknachricht aus der vergangenen Woche überrascht den Flughafenexperten Dieter Faulenbach da Costa indessen nicht. Im Gespräch mit der Berliner Morgenpost empfiehlt er, über Alternativen für den verkorksten Airport nachzudenken. Faulenbach da Costa war bis 1999 an der Planung des neuen Flughafens in Berlin beteiligt.
Herr Faulenbach, wie finden Sie die Lösung für die Spitze der Berliner Flughafengesellschaft? Kann ein Politiker wie Engelbert Lütke Daldrup die Probleme lösen?
Dieter Faulenbach da Costa: Generell sind Politiker nicht ungeeignet, auch Chefs von Unternehmen zu werden. Das hängt von der persönlichen Qualifikation ab. Er ist Stadtplaner wie ich auch. Stadtplaner werden so ausgebildet, dass sie in der Lage sind, Spezialisten zu einem gemeinsamen Projekt zu koordinieren. Ein Stadtplaner muss Planungen, für die er kein Spezialist ist, verstehen und zusammenbringen.
Haben Sie eine Einschätzung, wie groß die Probleme am BER sind?
Die sind sehr groß. Es scheint so, als ob man auch in den vergangenen Jahren mit dem Sprint-Programm die Schwierigkeiten nicht hat beheben können.
Das war das Beschleunigungsprogramm des ehemaligen Flughafenchefs Hartmut Mehdorn, das unter anderem Roland Berger mit entwickelt hatte.

Genau. Der dann im Streit mit Mehdorn rausgeworfene Technikchef Horst Amann hat schon 2013/2014 darauf hingewiesen, dass Sprint nicht geeignet sei, die Probleme zu beheben. Das sehe ich auch so. Sprint war ein Programm für den Kurzstreckenlauf, nun ist man auf der Langstrecke.
Aber was funktioniert denn nun nicht?
Die Flughafengesellschaft hat keinen Überblick, welche Gewerke fehlerfrei fertiggestellt wurden und welche nicht. Erst wenn man das weiß, kann man ungefähr abschätzen, wie lange man braucht, um ins Abnahmeprozedere durch das Bauordnungsamt zu kommen.
Das war über fünf Jahre nicht möglich?
Man kann sich einen solchen Überblick verschaffen, wenn man sich dafür ein System entwickelt und kontinuierlich dranbleibt. Aber das Sprint-Programm hat genau das verhindert. Das war ein Tatort-Reiniger. Als wenn sie bei einem Kriminalfall schon mal die Spuren beseitigen, ehe die Spurensicherung kommt. So gingen wichtige Informationen verloren. Bestandspläne wurden nicht geliefert, Firmen haben solche offensichtlich auch nicht erstellt. Man kennt den Zustand der einzelnen Gewerke nicht. Wurden sie nach der vergebenen Leistung, nämlich der Ausschreibung, erfüllt? Oder wurde im Chaos der Jahre 2011/2012, als es noch um den Eröffnungstermin 2012 ging, mindere Qualität eingebaut? Darauf deutet einiges hin.
Übertreiben wir es in Deutschland nicht mit den Auflagen für Brandschutz?
Nein. Die Flughafengesellschaft hat sich das Problem selber eingebrockt. Mehdorn hat Herrn Großmann als Technikchef geholt. Der hat erstmal neu geplant. Neue Planungen bedeuteten neue Bauanträge, mit denen sie die neuen Normen beachten mussten. Es ist falsch zu sagen, der Flughafen habe jetzt erstmals eine Baugenehmigung. Der hatte 2007 auch eine. Man hätte nur gemäß der Baugenehmigung bauen müssen.
Es ist also nicht so, dass es in Deutschland schwieriger ist als anderswo?
Auch in Deutschland sind die Vorgaben nicht so fürchterlich kompliziert. Sie müssen nur einen fachlich qualifizierten Planer haben und sich an diese Pläne auch halten. Zum Beispiel das Brandschutzproblem zwischen dem unterirdischen Bahnhof und der Verteilerebene im Terminalgebäude: Dieses Problem war 2007 gelöst. Hätte man sich an die Baugenehmigung von 2007 gehalten, hätte es an dieser Schnittstelle kein Problem gegeben. Sobald man aber umgeplant hat, musste man sich an die neuen Regeln halten.
Es waren also Eingriffe in die Ursprungsplanung, die zum Verhängnis führten?
Man hätte vielleicht einfach eine Bauänderungsanzeige machen können. Damit hätte man sich eine neue Baugenehmigung erspart. Aber solche Fragen wurden offenbar gar nicht gestellt auf der Baustelle. Kein Wunder: Eine Baugenehmigungsplanung bringt Planern mehr Geld als eine Bauänderungsanzeige.
Wie viel Vorlauf braucht so ein Projekt bis zur Inbetriebnahme wirklich?
Normalerweise braucht man bei Flughäfen dieser Größenordnung nach der Bestätigung der Bauordnungsbehörde für den Probebetrieb mindestens zwölf Monate. Aber der Vorlauf bis zur Abnahme der Behörde ist ja auch noch eine Hürde. Die Unternehmen müssen die ordnungsgemäße Fertigstellung ihrer Arbeiten dem Flughafen melden. Der Flughafen muss das Gewerk abnehmen. Dazu machen sie Tests, ob alles ordnungsgemäß gemacht worden ist und es keine Nachbesserungen geben muss. Weil sie aber laufend an diesen Anlagen herumlaboriert haben, gibt es keine durchgehende Systemarchitektur. Da werden noch mehr Dinge auftauchen, die nicht funktionieren, so wie jetzt die Türen. Bis sie das soweit haben, rechne ich mit noch mal neun Monaten. Erst danach beginnt der Prüfzyklus des Bauordnungsamtes durch unabhängige Sachverständige.
Was kann da herauskommen?
Wenn die Sachverständigen mitbekommen, dass beispielsweise in der Entrauchungsanlage Kanäle eingebaut wurden, die den Mindestanforderungen von 300 Grad nicht standhalten, obwohl 600 Grad ausgeschrieben waren, dann wird ein Gutachter die ordnungsgemäße Fertigstellung nicht bescheinigen. Dann müssten die nochmal ganze Teile rausreißen und neu einbauen.
Das heißt, es würde noch drei Jahre dauern vom Bauschluss bis zur Inbetriebnahme?
Ich denke die Anteilseigener werden die Lust verlieren, das Ding einmotten und nach anderen Lösungen suchen. Ich hätte das jetzt nach den neuesten Meldungen von der Baustelle erwartet. Mit einer schnellen Inbetriebnahme des BER würde der Abfertigungsservice nicht besser, sondern noch schlechter. Das kann aber nicht Ziel eines neuen Flughafens sein. Die Gesellschafter sollten das vordringlichere Ziel der besseren Bedienung der Nachfrage in den Blick nehmen.

Sie glauben also ernsthaft, dass es nichts mehr wird mit dem BER?
Ja. Diesen Eindruck habe ich schon länger.
Was macht man stattdessen?
Wir müssen für 2020 von mindestens 35 Millionen Passagieren ausgehen. Dafür muss man Kapazitäten für 45 Millionen vorhalten, sonst operiert man permanent an der Grenze. Man muss schauen, mit welchen Anlagen man die Nachfrage ordentlich bedienen kann. Was heute in Berlin angeboten wird, ist ja unterirdisch.
Wie könnte Berlin diese Kapazitäten bereitstellen?
Das Problem ist doch, dass man Tegel schließen muss, sobald man den BER eröffnet. Oder man findet rechtliche Möglichkeiten, Tegel offenzuhalten. Da geht es dann aber auch darum, die Kosten im Rahmen zu halten, etwa für den Lärmschutz um Tegel. Diesen Überlegungen ist aber offenbar niemand nachgegangen. Ich habe vor zwei Jahren im Projektausschuss darauf hingewiesen. Karsten Mühlenfeld hat das damals weit von sich gewiesen. Das Schlimme ist, dass mit dem BER eine Reduzierung der Luftverkehrskapazitäten in Berlin einher geht.
Tegel muss also offenbleiben und am alten Schönefeld muss man ein paar zusätzliche Baracken hinstellen?
Man muss den Landesentwicklungsplan ändern und für die Flugplätze der Umgebung wie Finow, Neuhardenberg oder Cottbus größere Flugzeuge als 24 Meter Spannweite zulassen.
Das heißt, man sollte den Flugverkehr auf mehrere kleinere Flughäfen verteilen?
Damit hätte man auch das Thema Nachtflugbetrieb gelöst und die Verlärmung des südlichen Berliner Stadtrandes. Der Standort Schönefeld ist für einen Flughafen ungeeignet, man baut sich mitten in die wachsende Stadt eine Lärmzone rein. Wenn man davon nicht lassen will, sollte man konsequent sein und ihn weiter ausbauen. Eine dritte und vierte Piste, ein weiteres Terminalgebäude. Und die landseitige Erschließung muss besser werden.
Schlagen Sie ein dezentrales Flughafensystem als Ersatz für den verkorksten BER vor?
Ich rate dazu, mal Luft zu holen, sich Zeit zu nehmen und nicht vordringlich auf die Fertigstellung dieser unterdimensionierten Anlage BER zu setzen. Stattdessen sollte man kleine Lösungen suchen, die wenig Geld kosten.
Was könnte das sein außer der Nutzung von Kleinflughäfen im Umland?
Dazu könnte gehören, an den fertigen Nord- und Südpiers des BER schon mal Passagiere abzufertigen. Man kommt aber nicht rein in diese Piers, weil man durch den zentralen Eingang des nicht abgenommenen Hauptterminals müsste. Deshalb sollte man da jeweils einen Riegel davorsetzen für Check-in und Gepäckausgabe. Dann wären das zwei eigenständige Terminals. Nach meiner Schätzung könnte man damit zehn Millionen Passagiere abfertigen. Plus zehn Millionen im alten Schönefeld und 20 Millionen in Tegel. Berlin hätte Kapazitäten für 40 Millionen. Damit würde man Zeit gewinnen um darüber nachzudenken, wie Berlin die Luftverkehrsnachfrage weiter bedienen und seine Infrastruktur neu organisieren will.
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