Es gibt nicht mehr viel, was einen beim Flughafen BER überraschen kann. Doch auf einer der hinteren Seiten des jüngsten Controllingberichts haben die Verantwortlichen ein ganz besonderes Detail festgehalten. Am BER wurden demnach nicht nur Baugenehmigungen missachtet und Kabel falsch verlegt – sogar mehr als 1000 Bäume wurden falsch gepflanzt und müssen nun eigentlich ausgetauscht werden.
Dass dies in der Öffentlichkeit nicht sonderlich gut ankommen würde, muss der Geschäftsführung klar gewesen sein. „Um eine negative Auswirkung durch die Rodung und Beseitigung von circa 1000 zumeist gut angewachsenen Bäumen zu vermeiden“, wolle man daher bei circa 400 Bäumen darauf verzichten, vom Auftragnehmer wegen der „nicht vertragskonformen Pflanzung von insgesamt 1036 Bäumen in Form von abweichenden Sorten und Arten“ einen Austausch zu verlangen. Die anderen 600 Bäume sollen dagegen herausgerissen und neu gepflanzt werden, „da ein Belassen dieser Bäume auf Grundlage der Bewertungskriterien nicht begründbar ist.“
Schlimmste Befürchtungen
Mittlerweile fragen sich viele Berliner, was auf der Baustelle im Südosten der Hauptstadt überhaupt richtig funktioniert. Technikchef Horst Amann bezeichnete die Probleme am Flughafenbau im Hessischen Rundfunk als „gravierend, fast grauenhaft“.
An mehreren Stellen wurde gegen die Genehmigungen des Bauordnungsamts verstoßen. Möglicherweise ist es daher mit einzelnen Korrekturen im Terminal auch nicht getan. Amann will nun prüfen lassen, ob der Flughafen in dieser Form überhaupt jemals in Betrieb gehen kann „oder ob ein vollständiger Umbau auf den Genehmigungszustand unumgänglich ist“. Das schrieb er am 4. Januar in einem Brief mit dem Titel „Projektstatus BER“. Was das bedeutet, lässt sich heute noch gar nicht abschätzen. Decken, Schächte, Böden und Wände müssten wohl aufgerissen werden.
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Dass die für den 27. Oktober 2013 geplante Eröffnung abgesagt wurde, konnte keinen der Beteiligten wirklich überrascht haben. Dennoch legt Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) großen Wert darauf, dass er erst am vergangenen Freitag schriftlich darüber informiert wurde. Zuvor hieß es, dass der Termin angeblich schon am 18. Dezember hinfällig gewesen sei. Das sei allerdings falsch, sagte Wowereit, als er am Montag offiziell den Rückzug von seinem Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden bekannt gab.
Jedoch wiederholt sich an der Stelle fast das gleiche Spiel wie bei der für Juni 2012 geplanten Eröffnung. Selbst wenn die Gesellschafter erst vergangene Woche von Amann schriftlich informiert worden sind, hätte ihnen das Ausmaß der Probleme am BER spätestens seit der vergangenen Aufsichtsratssitzung Anfang Dezember klar sein müssen. Denn im jüngsten Controllingbericht, der zum Zeitpunkt des Treffens bereits vorlag, stellen sich die Mängel auf der Baustelle weitaus gravierender dar, als sie im Anschluss an die Sitzung nach außen kommuniziert wurden.
Brandschutzanlage zu komplex
Hauptproblem ist nach wie vor die in ihrer Größe und Komplexität weltweit einmalige Brandschutzanlage. Insbesondere die Entrauchung funktioniert weiterhin nicht zuverlässig. Die Anlage soll dafür sorgen, dass für mindestens 15 Minuten eine 2,15 Meter hohe Schicht rauchfrei bleibt. Auf diese Weise sollen die Menschen genügend Zeit haben, bei einem Brand aus dem Gebäude zu fliehen.
Aber das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten klappt nicht immer. Es besteht daher „die Gefahr der Verwirbelung“ der rauchfreien Schicht. An einigen Stellen sieht Amann keine andere Wahl, als die geschossübergreifende Entrauchung auf einzelne Geschosse umzustellen. Dabei seien im Terminal die Brandschutzmängel „noch nicht abgeschlossen“, heißt es weiter.
Die Sprinkleranlage musste um zusätzliche Sprinklerköpfe erweitert werden. Das hat wiederum Auswirkungen auf die Rohrleitungen, durch die das Wasser fließt. Folglich sind laut dem Bericht neue Berechnungen notwendig. Etwa 150 Bereiche sowohl im Terminal als auch den angrenzenden Piers sind davon betroffen.
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Doch der Bericht zeigt neben dem Brandschutz weitere Schwachstellen. So besteht für die Kühlanlagen im Rechenzentrum unter bestimmten Voraussetzungen „die Gefahr der Überhitzung und Abschaltung“. Auf der gesamten Baustelle erfolgte nur „eine reduzierte Leistungserbringung“. An mehreren Stellen wie etwa der Sicherheitstechnik und Gebäudeautomation liegt das Projekt schon wieder im Zeitplan zurück.
Ein entscheidender Grund dafür ist oft, dass die Mängel noch immer nicht abschließend erfasst wurden, folglich die Pläne fehlen und eine Fertigstellung durch die Arbeiter nicht möglich war. Der Ausbau des Pavillons ist laut dem Bericht erst zu 23 Prozent abgeschlossen, da wegen eines aufgebauten Gerüsts nicht richtig gearbeitet werden konnte. Die Leitsysteme sind erst zu 87 Prozent fertiggestellt. Beim Probebetrieb wurden hier Mängel festgestellt, die nun behoben werden sollen. In der Abfallsammelstelle und der Fahrzeughalle sind „bauliche Anpassungen durch die zwingende Umsetzung bisher nicht berücksichtigter Richtlinien erforderlich“. Und für die Tankanlage unter dem Rollfeld fehlt nach wie vor der Sicherheitsnachweis.
Selbst Eröffnung in 2014 nicht sicher
Für Amann wurden die Probleme immer größer und nicht kleiner, je genauer er die Baustelle untersuchte. Er hatte am 1. August 2012 seinen Vorgänger Manfred Körtgen als technischen Geschäftsführer abgelöst. Fünf Wochen später legte er sich auf den 27. Oktober 2013 als Starttermin fest. Diese Entscheidung ist im Nachhinein zu früh gefallen. Daran gibt es angesichts der jetzigen Situation keinen Zweifel mehr. Angeblich sollen die Gesellschafter Berlin und Brandenburg Amann indirekt zu verstehen gegeben haben, dass eine Eröffnung 2014 für sie nicht tragbar wäre. Möglicherweise hat sich Amann hier politisch unter Druck setzen lassen. Die Beteiligten haben diesen Vorwurf jedoch immer bestritten.
Nun könnte sich die Eröffnung des neuen Hauptstadtflughafens schlimmsten Befürchtungen zu Folge sogar bis 2015 hinziehen. „Im Zeitraum August bis Dezember 2012 wurde das Ausmaß der Versäumnisse und Fehler im Projekt immer deutlicher“, schrieb Amann Anfang Januar. Darin teilte er den Gesellschaftern offiziell mit, dass eine Inbetriebnahme im Oktober dieses Jahres nicht mehr machbar sei. Einen neuen Starttermin gibt es nicht. Noch steht nicht einmal fest, bis wann darüber entschieden werden soll.
Erste Stimmen werden bereits laut, das Projekt nun gleich ganz grundsätzlich zu überdenken. Die Bürgerinitiative Neue Aktion fordert etwa, den BER in Schönefeld nur noch als Übergangsflughafen in Betrieb zu nehmen und gleich ganz an einem neuen Zentralflughafen zu arbeiten, der privat finanziert und betrieben werden soll.
Dazu wird es angesichts von veranschlagten Projektkosten von bereits jetzt mehr als vier Milliarden Euro kaum kommen. Doch könnte es sich für den BER lohnen, nun sofort mit der ohnehin in wenigen Jahren anstehenden Erweiterung zu beginnen. Denn hier gibt es gleich die nächsten Schwierigkeiten.
Terminal als Schwachstelle
Angesichts der stetig wachsenden Passagierzahlen würde der BER recht bald nach seiner Inbetriebnahme an den Rand seiner Leistungsfähigkeit kommen. Zwar gibt es Raum für Erweiterungen. So sind gegenüber des Terminals auf der anderen Seite des Rollfelds zwei Flächen dafür vorgesehen.
Doch Kritiker wie der Flughafenexperte Dieter Faulenbach da Costa haben das Terminal als Schwachstelle für weiteres Wachstum ausgemacht. Dieses sei jetzt schon zu klein ausgelegt, sagt Faulenbach da Costa, der auch schon die Flughafengegner beraten hat. Seiner Ansicht nach fehlen nicht nur Check-in-Schalter. Auch der Raum vor den Sicherheitsschleusen, wo das Handgepäck durchleuchtet wird, soll angeblich zu knapp bemessen sein. Das direkt neben dem Terminal gebaute Parkhaus ist zwar für die Passagiere angenehm, da sie es vom Auto nicht weit zum Terminal haben werden. Doch es steht genau an einer Stelle, die man ansonsten für den Ausbau des Terminals hätte nutzen können.
Zudem steht die Sanierung einer der beiden Start- und Landebahnen an. Am BER soll nämlich eine der beiden alten Bahnen des Flughafens Schönefeld genutzt werden. Doch diese muss spätestens 2018 saniert werden. Daher hatte unter anderem schon Dieter Dombrowski, Fraktionschef der Brandenburger CDU, bereits gefordert, diese Arbeiten noch vor Eröffnung des BER vorzunehmen. Die Flughafengesellschaft plant bislang, die Startbahn während des laufenden Betriebs zu sanieren. Die Arbeiten müssten dann abschnittsweise in der Nacht erfolgen.