BER-Debakel

Technikchef: BER-Reißleine hoffentlich nicht zu spät gezogen

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Foto: Stephanie Pilick / dpa

Horst Amann beklagt „grauenhafte“ Probleme beim Bau des Flughafen. Der Druck auf Wowereit und Platzeck nimmt zu.

Die Probleme auf der Baustelle des künftigen Berliner Großflughafens BER sind nach Angaben von Technikchef Horst Amann noch schwerwiegender als zunächst angenommen. Im Hessischen Rundfunk beschrieb Amann die Schwierigkeiten am Dienstag als „grauenhaft“. Jetzt gehe es darum, „die Wahrheit auf den Tisch zu legen und zwar schonungslos“. Auf einen neuen Eröffnungstermin wollte sich Amann nicht festlegen, das Jahr 2014 sei aber „eine gute Nummer“.

„Die Probleme sind leider Gottes nach dem, was wir jetzt wissen und was wir sehr mühevoll in den letzten Monaten aufgedeckt haben, heftig, sehr heftig“, sagte der Technikchef der Berliner Flughafengesellschaft dem HR. „Und zwar so gravierend, fast grauenhaft, dass die Maßnahmen, die wir jetzt ergriffen haben, notwendig waren“, begründete er die Aufgabe des zuletzt geplanten Eröffnungstermins im Oktober. Angesichts der Probleme, habe er die Reißleine ziehen müssen – „ich hoffe, ich habe sie nicht zu spät gezogen“.

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Das Hin und Her über den weiteren Zeitplan begründete Amann damit, dass viele Mängel nicht unmittelbar erkennbar gewesen seien. „Wir konnten beispielsweise nicht mehrere hunderttausend Quadratmeter Decken aufreißen“, sagte der Technikchef. Jetzt müsse in Abstimmung mit den Behörden festgestellt werden, was planerisch und baulich notwendig sei. Dies werde ungefähr ein halbes Jahr dauern. Erst dann könne voraussichtlich wieder ein Fertigstellungstermin genannt werden.

Wirtschaftsrechtsexperte Michael Adams kritisierte fehlenden Sachverstand im Aufsichtsrat. „Man hätte dort wirklich von Anfang an auf Sachverstand statt auf Staatsführungskunst setzen müssen“, sagte Adams, Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Hamburg, am Dienstag im „Deutschlandradio Kultur“. „Das ist meiner Meinung nach der entscheidende Fehler.“

Zwar benötige man im Aufsichtsrat eines solchen öffentlichen Großbauprojekts auch Politiker, doch noch wichtiger sei der Sachverstand von Ingenieuren, die den Vorstand kontrollierten. „In der Privatwirtschaft würde keiner riskieren, so etwas zu machen. Das Unternehmen wäre natürlich dann auch finanziell erledigt. Und das kann eben nicht auf den Steuerzahler zugehen und nachher in dessen Taschen greifen.“ Das Flughafenprojekt scheine darin anderen Großprojekten wie der Hamburger Elbphilharmonie zu ähneln. „Anstatt bis zum Ende durchzuplanen, bis auf 90 Prozent genau, hat man begonnen und dann darauf vertraut, die Steuerzahler und diejenigen, die von Einsparungen betroffen sind, machen es mit.“

Klaus Wowereit gerät zunehmend unter Druck

Die Kritik an Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) wird unterdessen immer lauter. Obwohl er den Chefposten im Aufsichtsrat hinwarf, drängten ihn Politiker aller Couleur am Dienstag zum Rücktritt. Auch aus den eigenen Reihen gibt es die erste Forderung nach einem Ausscheiden aus seinem politischen Amt. Bislang hatte die SPD ihm den Rücken gestärkt. Auch der Koalitionspartner CDU beißt die Zähne zusammen.

„Wer als Aufsichtsratsvorsitzender seiner Position nicht gewachsen ist, kann auch nicht eine 3,5-Millionenstadt regieren“, sagte der FDP-Verkehrsexperte Oliver Luksic am Dienstag im Deutschlandfunk. Wowereit habe zahlreiche schwere Fehlentscheidungen getroffen und trage die politische Verantwortung. „Insofern ist er meines Erachtens auch als Regierender Bürgermeister nicht mehr im Amt zu halten“, sagte er. Luksic warf Wowereit vor, eine katastrophale Informationspolitik betrieben und Fakten falsch wiedergegeben zu haben.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Danckert, in dessen Wahlkreis der neue Großflughafen liegt, nannte die Kostenexplosion im ZDF-„Morgenmagazin“ „eine erbärmliche Situation“. In der „Rheinischen Post“ rückte er von Wowereit ab: „Ob die Nibelungentreue zu Klaus Wowereit für die Berliner SPD so förderlich ist, bezweifle ich.“ Für die Berliner SPD sei die Lage sehr prekär. „Sie muss jetzt entscheiden, wie es mit dem Regierenden Bürgermeister weitergeht“, sagte der SPD-Politiker. Notfalls müsse der SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß das Amt übernehmen, forderte Danckert.

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sieht für ihren Parteifreund Wowereit dagegen „keinerlei Grund“, nach dem Aufsichtsratsvorsitz beim Berliner Großflughafen auch sein Amt als Regierender Bürgermeister niederzulegen. Wowereit sei offensichtlich zur Überzeugung gekommen, dass er als Aufsichtsratschef „nicht mehr nützlich sein“ könne, sagte Nahles am Dienstag im Südwestrundfunk (SWR). Diese Art Übernahme von Verantwortung sei aber „etwas anderes als sich jetzt Versäumnisse anzulasten“. Wowereit habe sich des Flughafen-Projekts im „Gegensatz zum öffentlichen Bild“ intensiv angenommen.

Wowereit wehrt sich gegen Vorwürfe

Klaus Wowereit selbst geht inzwischen rechtlich gegen Vorwürfe vor, er habe bereits am 18. Dezember gewusst, dass der Termin 27. Oktober 2013 nicht zu halten sein würde. Über seinen Anwalt ließ Wowereit mitteilen, dass bei dem Termin klar geworden sei, dass „die bisherigen Erkenntnisse zu erhöhten Risiken für die geplante Inbetriebnahme am 27. Oktober 2013 geführt haben“. Dennoch sei der Termin bewusst nicht abgesagt worden. Man habe weiter prüfen wollen, ob der Termin noch zu halten sei. Diese Prüfung sei erst am 4. Januar 2013 abgeschlossen gewesen.

Vor allem die Grünen übten scharfe Kritik an Wowereit: Für jemanden, der „Millionen Steuergelder versenkt“ und den Ruf Berlins unrettbar beschädigt habe, sei der Rücktritt als Regierender Bürgermeister die einzige Konsequenz, sagte Grünen-Chef Jürgen Trittin auf einer Vorstandsklausur in Lüneburg. Auch Grünen-Politiker Christian Ströbele forderte Konsequenzen aus der erneuten Verschiebung des Flughafen-Eröffnungstermins. Wowereits Abschied als Aufsichtsratschef der Betreibergesellschaft reiche nicht aus, sagte der Bundestagsabgeordnete im Deutschlandfunk. „Der kann's nicht, der muss gehen“, verlangte er.

Ströbele hält auch den designierten neuen Aufsichtsratschef, den brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD), für ungeeignet. Dass Platzeck nun den Karren aus dem Dreck ziehe, „das glaubt doch keiner“, sagte Ströbele. Platzeck und Wowereit hätten im Aufsichtsrat bislang wie Zwillinge agiert.

Die Grünen im Landtag verlangten den Rücktritt von Platzeck. Fraktionschef Axel Vogel sagte am Dienstag in Potsdam: „Wir haben kein Vertrauen mehr in den Ministerpräsidenten.“ Wenn Platzeck am Montag die Vertrauensfrage im Parlament stelle, würden die Grünen gegen ihn votieren. „Und das werden wir aus tiefster Überzeugung tun“, sagte Vogel.

Der Grünen-Politiker betonte: „Dieser Ministerpräsident ist nicht mehr in der Lage, Schaden vom Land abzuwenden.“ Platzeck habe als Vizevorsitzender des Aufsichtsrats sogar mit dazu beigetragen, dass dem Land Schaden entstanden sei. Platzeck wolle die Vertrauensfrage als Disziplinierungsinstrument missbrauchen, warf Vogel dem SPD-Politiker vor.

Auch der Vorsitzende des Flughafen-Untersuchungsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, Martin Delius sprach sich gegen Platzeck als neuen Flughafen-Aufsichtsratschef aus. „Der Aufsichtsrat braucht Profis“, sagte der Piratenpartei-Politiker am Dienstag im ZDF-„Morgenmagazin“. „Auf jeden Fall ist der falsche Weg, da jetzt einfach den nächsten hinzusetzen – ich denke, auch Herr Platzeck wird uns wieder einen schönen Termin nennen, der dann vielleicht wieder nicht eingehalten wird.“

Linke unterstützt Misstrauensantrag gegen Wowereit

Die Linke unterstützt den von den Grünen geplanten Misstrauensantrag gegen Wowereit. Das habe der Fraktionsvorstand entschieden, sagte eine Sprecherin. Die Opposition hält Wowereit nach der erneuten Verschiebung des Eröffnungstermins für den Großflughafen nicht mehr für tragbar.

Der rot-schwarze Senat unter Führung Wowereits habe das Vertrauen der Linken nicht, sagte die Sprecherin. Dafür gebe es viele Gründe. Sie nannte unter anderem die S-Bahn-Krise, fehlende energiepolitische Konzepte und ein Versagen in der Innenpolitik, insbesondere den Skandal um die Aktenvernichtung im Zusammenhang mit der rechten Terrorzelle NSU.

Der Misstrauensantrag, der auch von den Piraten unterstützt wird, soll am Donnerstag in einer Sondersitzung ins Parlament eingebracht werden. Die Abstimmung erfolgt vermutlich am Sonnabend. Es könne davon ausgegangen werden, dass es von der Linken „keine Stimme für Klaus Wowereit geben wird“, sagte die Sprecherin. Die Linke regierte in Berlin zehn Jahre mit der SPD. Seit der Abgeordnetenhauswahl 2011 sitzt sie in der Opposition.