Senatorin Elke Breitenbach über die Inklusion von Menschen mit Behinderung

ALEXANDER VISSER

Seit Dezember 2016 ist Elke Breitenbach (Linke) Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales. Mit der Berliner Morgenpost sprach die 56-Jährige über ihre Pläne für eine bessere Inklusion behinderter Menschen in Berlin und die Rolle der Wirtschaft dabei.


Berliner Morgenpost: Frau Breitenbach, zu Ihren Aufgaben gehört die Inklusion, also die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den ersten Arbeitsmarkt. Können Sie sich dem Aufgabenfeld angesichts des drängenden Flüchtlingsthemas überhaupt widmen?

Elke Breitenbach: Inklusion ist keineswegs in den Hintergrund gedrängt. Für mich selbst ist das ein Schwerpunktthema. Übrigens haben wir ja jetzt seit kurzem das Bundesteilhabegesetz, das wir umsetzen werden. Hier gibt es also viel zu tun und die Zeit drängt.

Wo möchten Sie Schwerpunkte Ihrer Arbeit setzen?

Inklusion auf dem ersten Arbeitsmarkt soll einen größeren Stellenwert bekommen. Ich will, dass es normal ist, dass Menschen mit Behinderung in ganz normalen Betrieben auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten. Mit dem neuen Zuschnitt der Senatsverwaltung, also der Zusammenführung der Bereiche Arbeit und Soziales, habe ich als Senatorin jetzt noch mehr Möglichkeiten, Inklusion in dieser Stadt voranzutreiben.

Wo gibt es denn noch Hürden bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung?

Jeder Betrieb, der schwerbehinderte Menschen beschäftigt, kann Zuschüsse beantragen, etwa für die Einrichtung eines geeigneten Arbeitsplatzes. Leider ist das Verfahren bürokratisch und kompliziert, so dass Betriebe auf einen Antrag verzichten, vor allem kleine und mittlere Firmen. Diese Unternehmen stemmen das entweder selbst oder zahlen die Pflichtabgabe und verzichten auf eine Anstellung von Menschen mit Behinderung. Das ist natürlich nicht in unserem Sinne.

Warum ist das so kompliziert?

Kennen Sie das Buch „Vollspast“ von Markus Keune von der Berliner Werbeagentur Zitrusblau? Der wollte einen Ausbildungsplatz für einen Tetraspastiker einrichten. Im Buch beschreibt er das Prinzip im Umgang mit behinderten Menschen als „Prinzip der grundsätzlichen Nichtzuständigkeit“. Er wird mit seinen Anträgen von Behörde zu Behörde geschickt und niemand will etwas unternehmen, bevor nicht die andere Stelle aktiv geworden ist. Erst durch das Eingreifen der damaligen Staatssekretärin Kerstin Liebich konnte der Mitarbeiter seine Ausbildung pünktlich beginnen. Es kann ja nicht sein, dass jeder Mensch mit Behinderung seine eigene Staatssekretärin braucht! Wir müssen noch viel tun, um unkompliziertere Hilfe zu ermöglichen.

Welche Folgen wird das im Dezember verabschiedete Bundesteilhabegesetz für Berlin haben?

Es geht aus meiner Sicht und der des Senats nicht weit genug. Aber jetzt ist das Gesetz da und wir werden die Chancen, die es bietet, nutzen. Etwa das Budget für Arbeit: Ein großer Vorteil ist, dass Menschen mit Behinderung, die jetzt in einer Behindertenwerkstatt arbeiten, ausprobieren können, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Wenn es nicht funktioniert, können sie an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren. Das war früher nicht möglich.

Welche Vorteile haben Unternehmen, die sich um das Thema Inklusion bemühen?

Das ist eine etwas merkwürdige Frage. Bei Mitarbeitenden ohne Behinderung würden Sie ja auch nicht fragen, welche Vorteile ein Arbeitgeber hat, der sie einstellt. Aber tatsächlich ist es so, dass wir aus vielen Betrieben hören, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Handicap besonders engagiert und zuverlässig sind. Vielleicht ist das gerade deshalb so, weil es noch keine Selbstverständlichkeit ist, dass sie die Chance auf eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt bekommen.

Wie kann die Inklusion auf dem ersten Arbeitsmarkt besser gefördert werden?

Eine Möglichkeit ist, sich genauer mit Nischen zu befassen. Viele Menschen, die mit einem Handicap leben müssen, haben ja in anderen Bereichen ausgeprägte Fähigkeiten. Es gibt zum Beispiel große Nachfrage nach blinden Frauen, die besonders geschickt darin sind, bei der Krebsvorsorge die Brust abzutasten. Solche Nischen gilt es zu identifizieren. Andererseits müssen Menschen mit Behinderung natürlich auch ganz normale Jobs machen können; Nischen allein reichen nicht aus.

Welche Bedeutung hat der Berliner Inklusionspreis?

Das ist ein wichtiger Preis. Er zeichnet Betriebe aus, für die es selbstverständlich ist, gemeinsam mit Menschen mit Behinderung zu arbeiten – und zwar, ohne das an die große Glocke zu hängen. Gerade für kleinere Betriebe ist das eben leider noch nicht ganz so einfach. Und die Erfolgsstorys, die mit dem Preis bekannt gemacht werden, ermutigen auch andere Unternehmen, diesen Schritt zu gehen.

Im Jahr 2017 gibt es noch immer wichtige Umsteigebahnhöfe im öffentlichen Nahverkehr ohne barrierefreien Zugang. Was tun Sie dafür, dass die Lücken geschlossen werden?

Der Umbau ist bei alten U- und S-Bahnhöfen nicht immer einfach und dauert seine Zeit. Aber es ist ja so: Die Berliner werden immer älter, zugleich zieht die Stadt junge Familien an, die auch froh sind, wenn sie an der S-Bahn-Station mit Kinderwagen einen Aufzug nutzen können. Inklusion schadet niemandem, nutzt aber allen. Es gibt noch viel zu tun; zum Beispiel bei Bussen und Straßenbahnen. Der Senat arbeitet an einem Gesamtmobilitätssystem für die ganze Stadt. Ein neuer Bestandteil sind die Inklusionstaxen.

Was ist unter Inklusionstaxi zu verstehen?

Heute können die wenigsten Taxis Menschen im Rollstuhl mitnehmen. Wir werden Taxianbieter, die ihre Fahrzeuge barrierefrei umbauen, finanziell künftig unterstützen. Unser Ziel ist es, dass am Ende der Legislaturperiode in fünf Jahren etwa zehn Prozent der Berliner Taxiflotte barrierefrei ist. Die genauen Kriterien müssen demnächst von den zuständigen Senatsverwaltungen erarbeitet werden.

Wo muss Berlin für Menschen mit Behinderung noch mehr tun?

In vielen Bereichen. Ein wichtiges Thema ist der barrierefreie Zugang zu öffentlichen Gebäuden. Dem steht oft der Brand- oder Denkmalschutz im Wege. Hier sollten die Betroffenen öfter mal selbst befragt werden, mit ihnen zusammen lassen sich oft kreative Wege finden. Und ganz wichtig ist das Thema selbstständiges Wohnen. Es fehlen tausende geeignete Wohnungen, daher müssen Neubauprojekte heute von Anfang an barrierefrei geplant werden. Deswegen wird dieser Senat auch nochmal die Bauordnung überprüfen.