Das mit dem Tauchenlernen war ein kurzes Vergnügen. Dabei hatte sich Linus den Besuch im Hallenbad so sehr gewünscht, als feststand, dass er für ein paar Tage bei uns sein würde. Natürlich sind wir am Montag gleich nach Hennigsdorf ins „Aqua“ gefahren. Oma hat sich sogar extra einen neuen Badeanzug gekauft, sehr hübsch! Doch bereits beim ersten Versuch, den roten Ring vom Beckengrund zu holen, ging alles schief. Unser Enkel vergaß in der Aufregung, dass man unter Wasser nicht mal eben ein bisschen nachatmen kann, weil man das über Wasser versäumt hat. Als er wieder auftauchte, das halbe Nichtschwimmerbecken in seinem kleinen Bauch, bestimmte er laut prustend: „Nicht noch mal!“ Schon wegen der Blicke anderer Badegäste war jeder Widerspruch von Opa zwecklos. Das mit dem Seepferdchen wird also noch ein Weilchen dauern. Kein Untergang, oder?
Durch diesen Schlag ins Wasser geriet zwar mein Wochenplan mit dem täglichen Schwimmengehen kurz durcheinander. Aber zum Glück gibt es ja Sophia. Ihre Eltern haben uns spontan zur Halloween-Party eingeladen, das war sehr nett und mehr als nur Ersatz fürs Tauchen. Sophia ist die Tochter unserer Nachbarn, acht Jahre alt und Linus’ beste Freundin in Berlin. Selbst als er noch kaum sprechen konnte, piepste er oft sofort nach der Ankunft in unserem Haus: „Fia da?“ Es war bei ihm Liebe auf den ersten Blick, und sie hält. Mal geht er zu ihr, mal kommt sie zu uns.
Bei ihrem ersten Besuch stellte Sophia erschrocken fest, wie wenig Spielzeug Linus hat. Wir sahen das nicht ganz so, hatten aber nichts dagegen, dass sie danach immer ein paar Dinge mitbrachte, die sie nicht mehr so dringend brauchte: Sie war ja sowieso zu groß dafür! Und Linus begeistert. Inzwischen ist er auch schon groß. So groß, dass er selbstständig in unseren Garten geht und nach „Sophia“ ruft. Ist sie zu Hause, treffen sich beide am Zaun, jedes Mal an einer ganz bestimmten Stelle, und erzählen sich was. Einmal wollte Oma ausgerechnet dort eine Blume pflanzen. Da hat Linus richtig geschimpft, was sonst gar nicht seine Art ist. Mehrfach hat er „Fia, Fia“ geschluchzt. Bis Oma endlich verstanden hatte: nicht am Meeting Point! Wie gut, dass Linus an dem Tag zu Besuch war und das Schlimmste verhindern konnte.
Sophia hat so viele unglaublich spannende Sachen, die es bei uns nicht gibt, zum Beispiel ein Trampolin, zwei Hasen, die sich mit sehr viel Glück mal anfassen lassen, und den kleinen schwarzen Bruno, den man jederzeit streicheln kann – wenn man im richtigen Moment zwei, drei Hundekuchen zur Hand hat. Die besorgt Opa. Und sie hat Eltern, die gern Halloween feiern, sogar mit den Kindern um die Häuser ziehen, um Süßigkeiten zu beschaffen. In einer großen Gruppe von Vampiren, Hexen und Gespenstern.
Nun muss man wissen, dass Linus sonst nicht der Allermutigste ist, was Gänsehaut-Situationen angeht. Spannende Indianer-Geschichten von Opa? „Lieber nicht – zu gruselig!“ Ein Filmchen mit Tom und Jerry im Dauerkampf? „Ausmachen – zu gruselig!“ Ach so, aber wenn Oma ihm einen Vampir-Umhang überzieht, einen großen Zaubererhut aufsetzt, spitze Zähne und blutende Augen ins Gesicht malt – das ist wohl nicht zum Fürchten? Und wenn dann alle am Lagerfeuer sitzen und die anderen verkleideten Geister an ihm vorbeihuschen, während er sich den x-ten Marshmallow zum Braten organisiert?
Vielleicht hat er aber auch mitbekommen, was Sophia gesagt hat, als sich jemand neben sie setzen wollte: „Hier sitzt Linus!“ Opa hat es jedenfalls gehört und fand das sehr lieb von ihr. Als ich Linus vor dem Schlafengehen fragte, ob es ihm alles nicht etwas zu aufregend war, erschreckte er mich mit der lässigen Antwort: „Ich finde gruselig gut!“
Dann können wir vielleicht auch demnächst mal wieder einen Tauchversuch wagen. Vermutlich müssten wir einfach nur Sophia mitnehmen.
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