Ein aufgeschürftes Knie, eine schlechte Note, Streit mit der Freundin: Gründe für Kindertränen gibt es genug. Doch wie tröstet man richtig?

Ihre Erziehungsratgeber waren Bestseller. Johanna Haarers Bücher „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ und „Unsere kleinen Kinder“ waren in der Nazizeit in fast jedem deutschen Haushalt Pflichtlektüre. Die Ratschläge der Medizinerin, wie man mit einem weinenden Kind umzugehen habe, lesen sich so: „Dann, liebe Mutter, werde hart! Fange nur ja nicht an, das Kind aus dem Bett herauszunehmen, es zu tragen, zu wiegen, zu fahren oder es auf dem Schoß zu halten, es gar zu stillen.“ Zudem warnte die fünffache Mutter davor, das Kind mit mütterlichen Gefühlen zu verzärteln. Sie spricht von „Affenliebe“, mit der man das Kind „verziehen“ aber nicht „erziehen“ könne. Ihre Parole: keine Nachgiebigkeit, auch nicht einem hilflosen Säugling gegenüber. Die Mutter solle sich „von dem eigensinnigen Geschrei nicht irre machen lassen“.

Szenenwechsel. 2016 im Prenzlauer Berg. „Mama, ich möchte die rosa Bonbons. Nein, die roten. Nein, doch die blauen!“ – „Such dir ganz in Ruhe eine Farbe aus“, sagt die Mutter mit sanfter Stimme. Das Kind windet sich, die Mutter berät es wortreich. Doch die Vierjährige will davon nichts hören. Sie wirft sich auf den Boden und schreit. Die Mutter beginnt zu diskutieren. Das Mädchen weint und brüllt immer lauter. Auch den an der Kasse Wartenden kommen langsam die Tränen. Nicht vor Rührung, sondern aus Zorn. Schließlich kauft die offensichtlich hilflose Mutter doch mehrere Bonbontüten.

Zwei extrem gegensätzliche Beispiele. Doch wie tröstet man eigentlich Kinder richtig? Wo sollte man ihnen den Schmerz nehmen, wo Grenzen setzen? Manchmal muss der Trost ein wenig aufgeschoben werden. Denn es gibt Situationen und Orte, die für ein verständnisvolles Gespräch oder gar Kuscheln, Singen oder andere länger dauernde Tröstungsaktionen ungeeignet sind – wie eine Supermarktkasse. Es wäre wohl besser gewesen, wenn sich die Mutter hier durchgesetzt und das Kind später getröstet hätte. Das kann auch eine Vierjährige schon verstehen – oder zumindest lernen, dass nicht alle Wünsche und Bedürfnisse immer gleich erfüllt werden können. Was dagegen ein Kind, egal in welchem Alter und in welcher Situation, nicht verstehen kann: wenn die Eltern es mit seinem Kummer allein lassen.

Die Gefühle spiegeln

Einmal hat die Diplompädagogin und Familienbegleiterin Susanne Mierau beobachtet, wie ein kleiner Junge auf dem Spielplatz das Gleichgewicht verlor und kopfüber rückwärts von einem Klettergerüst fiel. Die Mutter sagte nur lapidar: „Das hat nicht weh getan. Kinder sind ja hart im Nehmen. Die fangen erst zu heulen an, wenn Eltern ein erschrecktes Gesicht machen. Am besten nicht drauf reagieren.“ Die Reaktion der Mutter, die so gänzlich unbeteiligt schien, erstaunte die Friedrichshainerin. Als dreifache Mutter weiß natürlich auch sie, dass Kinder nicht in Watte gepackt werden müssen und dass blaue Flecken und Schürfwunden in den ersten Jahren dazugehören. Doch darüber hinaus bräuchten Kinder die Erfahrung: Da ist jemand, der mich wahrnimmt, der meine Gefühle spiegelt und mir sagt: „Ich sehe deinen Schmerz oder dein Erschrecken. Ich bin für dich da. Es wird wieder gut.“

Wenn sich eines ihrer Kinder wehtut, dann nimmt die 36-Jährige es in den Arm und sagt etwa: „Oh, du hast dir wehgetan. So ein blöder Stuhl, der steht da aber auch ganz doof.“ Mit ihrer Stimme beruhigt sie das Kind und hilft ihm außerdem, Gefühle in Worte zu fassen. Davon profitiere es das ganze Leben, sagt Susanne Mierau. Schon ein liebevoller Blick helfe Stress abzubauen. Schaue die Mutter aber weg und zeige keine Anteilnahme, könne das Kind keine richtige Wahrnehmung von sich selbst entwickeln.

Eltern sollten das Weinen begleiten

Um unterschiedliche Empfindungen wie Hunger, Bauchschmerzen oder Freude zu deuten, braucht ein Kind zunächst ein Gegenüber, eine Bindungsperson. Nicht ohne Grund bezeichnen Hirnforscher die Rolle der Mutter im ersten Lebensjahr auch als „Hilfskortex des Babys“ – sie ist das Großhirn des Kindes, das ihm die Welt erklärt. Erst mit etwa drei Jahren kann das Kind seine eigenen Gefühle besser steuern und sich in andere hineinversetzen. Das kann es aber nur dann, wenn es vorher von der Bindungsperson gelernt hat, wie das geht.

Trost sollte nicht nur dazu dienen, das Weinen zu beenden, er sollte vielmehr das Weinen begleiten, sagt Susanne Mierau. Hilfreich seien Worte wie: „Das tut jetzt bestimmt sehr weh. Aber es wird alles wieder gut!“ Das Trösten hat in ihrem Buch „Geborgen wachsen: Wie Kinder glücklich groß werden“ einen wichtigen Platz. Sie ist überzeugt: Zuwendung hilft gegen Schmerzen. Auch wir Erwachsenen wüssten doch, wie gut es tut, von einem Menschen in den Arm genommen zu werden. Trotzdem reagieren viele Eltern wenig verständnisvoll, wenn die Kinder Trost und körperliche Nähe suchen und zum Beispiel bei ihnen im Bett schlafen wollen.

Emotionen zeigen dürfen

Zu Unrecht, findet Susanne Mierau. Für sie entspricht der Wunsch nach Nähe einem natürlichen Verhalten von Kindern. Ein Patentrezept für das Trösten hat aber auch sie nicht. Denn jedes Kind ist anders. Einige lassen sich schwerer beruhigen als andere. Sie selbst tröstet ihre siebenjährige Tochter, ihren dreijährigen Sohn und das kürzlich geborene Baby deshalb „nach Bedarf“. Einen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen macht sie nicht.

Emotionen zeigen zu dürfen ist nach Expertenmeinung allerdings insbesondere für Jungen wichtig. Sprüche wie: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ können dazu führen, dass ihnen der Zugang zu ihren Gefühlen abhanden kommt. Wer das Temperament des Kindes missachtet oder bestraft, es als Heulsuse oder Weichei beschimpft, gefährdet seine psychische Gesundheit. Natürlich können Eltern ihren Kindern ruhig auch mal sagen, wenn sie genervt sind. Sie sollten aber auf keinen Fall die Gefühle ihres Kind entwerten mit Sprüchen wie: „Stell dich nicht so an. Reiß dich mal zusammen! Bei so einem Pipifax hat noch keiner geweint.“

Auch Nichtbeachtung ist schädlich. Das lässt sich sogar biologisch erklären: Fehlt die liebevolle Zuwendung längerfristig, entwickeln Kinder weniger Kortisol-Rezeptoren und sie können sich generell schwieriger beruhigen, weiß Susanne Mierau. Außerdem können gestresste oder ängstliche Kinder weniger gut neue Informationen aufnehmen. Das hat sogar Folgen für die Schulleistungen.

Verhängnisvolles Erbe

Doch warum fällt es vielen Eltern so schwer, liebevoll mit ihren Kindern umzugehen? Susanne Mierau glaubt: Sie haben es selbst nicht besser erlebt. Den Grund dafür sieht sie in unserem Erbe. Johanna Haarers Erziehungstipps, die bis in die 1990er-Jahre in überarbeiteter Form neu aufgelegt wurden, leben in unseren Köpfen weiter. Wichtigste Aussage: „Eine deutsche Mutter kennt keinen Fehler außer dem einen, ihre Kinder zu verzärteln.“

Haarers Erziehungsstil war darauf angelegt, den Willen des Kindes zu brechen. „Schwarze Pädagogik“ nannte das die berühmte Psychoanalytikerin Alice Miller. Die Eltern müssen dabei ihre eigenen Empfindungen wie das Mitgefühl abwehren und ihren Kindern das antun, was ihnen selbst in der eigenen Kindheit angetan wurde. Den Kindern das Fühlen aberziehen ist ein sehr früh verinnerlichtes Gebot, das im Unbewussten des Einzelnen, aber auch in der Gesellschaft wirkt und optimale Bedingungen schafft, um in einer Diktatur willig zu dienen. Generationen von Menschen, abgeschnitten von ihren Gefühlen, wuchsen heran. Bis heute geistert in deutschen Elternhäusern die Angst umher, Kinder könnten zu sehr verwöhnt werden. Immer noch hört man, dass man Babys ruhig einmal schreien lassen sollte.

Der Bindungsforscher und Kinderpsychiater Karl Heinz Brisch dagegen macht Eltern Mut, die Botschaften des Kindes und die eigenen Empfindungen ernst zu nehmen. Und das heißt: das Kind auf keinen Fall einfach weinen lassen. „Babys wollen uns darauf aufmerksam machen, dass sie Durst oder Schmerzen haben, die Windel voll oder ihnen zu warm oder zu kalt ist oder sie Ansprache brauchen“, sagt er. Nehme eine Mutter ihr Kind nicht auf den Arm, wenn es weine, entstehe Stress. Der Säugling werde immer weiter weinen, bis er schließlich in einen Zustand gerate, in dem er Panik und sogar Todesangst erlebe.

Eine sichere Bindung ist wichtig

In diesem unerträglichen Zustand greift das Gehirn auf einen alten Überlebensprozess zurück: Es schaltet ab, es dissoziiert. In einem solchen Zustand spüren wir keine Angst oder Panik mehr, keinen Schmerz, keinen Stress, auch keine positiven Gefühle. Wenn Kinder schon sehr früh im Säuglingsalter immer wieder dissoziieren müssen, um zu überleben, reagieren sie viele Jahre später, im Erwachsenenalter, auch auf wenig Stress rasch mit Dissoziation: „Sie spüren dann weder Gefühle noch ihren Körper. Das ist ein Zustand, der – wenn er bewusster wird – sehr schmerzlich ist, weil man als Erwachsener wie neben sich steht und größte Schwierigkeiten hat, sich emotional in liebevollen Beziehungen zu erleben“, sagt Karl Heinz Brisch.

Auch mit anderen Nachteilen haben diese Menschen, die keine sichere Bindung erfahren haben, später häufig zu kämpfen. „Unsicher gebundene Kinder sind Belastungen nicht gut gewachsen. Weil sie keine Hilfe erfahren haben, ziehen sie sich zurück, versuchen Probleme ohne Hilfe zu lösen, überfordern sich damit und laufen Gefahr zu scheitern.“ Die Kinder entwickeln Krankheitssymptome wie Bauchweh oder Kopfweh, selbst im Erwachsenenalter können psychische Probleme oder scheinbar unerklärliche Symptome als Langzeitfolgen auftreten.

Verzweifelte Mütter

Dass das Trösten aber auch für aufgeklärte und wohlmeinende Eltern nicht immer einfach ist, hat die Bloggerin Katja Seide erfahren. Die Sonderpädagogin gibt unter dem Pseudonym „Snowqueen“ zusammen mit Freundin Danielle gestressten Müttern Tipps.

Als ihre erste Tochter geboren wurde, schickte die Pankowerin allen Freunden folgende Geburtsanzeige: „Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten ist da!“ Einige Wochen später hatte ihr Wunschkind sie „in den Wahnsinn getrieben“, erzählt sie. Sie war übermüdet und frustriert. Dabei hatte sie sich die Zeit mit Baby so schön ausgemalt: stillen, kuscheln, schlafen. Doch anders als die Kinder, die sie vom Babysitten kannte, lag die heute Sechsjährige keineswegs ruhig und zufrieden in ihrem Bettchen, sondern weinte abends stundenlang und wollte getragen werden. „Die Kleine verarbeitete den Tag und ,erzählte’ mir lautstark davon“, vermutet Katja Seide rückblickend.

Hilfe bekam sie in einem Online-Forum. Andere Mütter, denen es ähnlich ergangen war, machten ihr Mut: Sie rieten ihr zu viel Körperkontakt mit dem Kind und Ruhepausen zwischendurch. Nach drei Monaten wurde es besser. „Ich war einfach unvorbereitet auf die wahren Bedürfnisse von Babys und erlebte den ganz normalen Wahnsinn einer Erstlingsmutter“, gibt die mittlerweile dreifache Mutter zu.

Auch seelische Gewalt richtet Schaden an

Die 40-Jährige arbeitet mit Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten. Oftmals können die Sechs- bis 13-Jährigen nicht den emotionalen Zustand ihres Gegenübers erkennen. Dadurch kommt es immer wieder zu Zusammenstößen. Schritt für Schritt übt die Lehrerin mit ihnen, die Mimik und Gestik von anderen Menschen zu entschlüsseln – normalerweise eine Aufgabe der Eltern. Sie glaubt, dass die mangelnden Fähigkeiten der Kinder zumindest teilweise mit lieblosem Verhalten im Elternhaus zu tun haben.

Wer glaubt, die meisten Kinder würden heutzutage eher zu sehr beschützt aufwachsen, irrt. Erst im Jahr 2000 wurde durch eine Gesetzesänderung das elterliche Züchtigungsrecht abgeschafft. Eine Studie der Universität Halle-Wittenberg aus dem Jahre 2010 ergab, dass sich zwar 90 Prozent der Eltern zu dem Ideal der gewaltfreien Erziehung bekannten. Nach Aussagen der Kinder waren es aber nur 80 Prozent. „Eine große Diskrepanz“, findet Cordula Lasner-Tietze, stellvertretende Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Kinderschutzbunds. Nach der Studie sind in deutschen Familien 2,5 Millionen Kinder Opfer körperlicher Gewalt. Die tatsächliche Zahl liegt wahrscheinlich viel höher. Auch seelische Gewalt kann viel Schaden anrichten. Sie ist präsent auch in Familien, in denen Kinder scheinbar alles haben – nur nicht genügend Liebe.

Für Cordula Lasner-Tietze ist eine ständige Herabwürdigung des Kindes klar seelische Gewalt. Manchmal seien es Belastungssituationen, die Eltern unangemessen handeln ließen. Es sei schwer vorstellbar, was es für die Betroffenen bedeute, ein Schreikind zu haben und adäquat zu reagieren, sagt sie. Immer wieder kommt es vor, dass Eltern ihre Kinder schütteln, was eine Behinderung oder sogar den Tod zu Folge haben kann. Cordula Lasner-Tietze appelliert an diese Familien, sich Hilfe zu holen, etwa in einer Schreiambulanz.

Den Kummer ernst nehmen

Manchen Eltern mangelt es schlichtweg an Einfühlungsvermögen. Bloggerin Katja Seide beschreibt folgende Szene. Ein Vater hatte seinen Dreijährigen auf dem Spielplatz immer wieder davon abgehalten, mit dem Kopf nach vorne auf dem Bauch die Rutsche herunterzurutschen. Er erklärte sehr ausführlich, dass das gefährlich sei. In dem Moment, als der Vater einmal nicht hinschaute, nutzte der Junge die Gelegenheit und probierte es doch aus. „Natürlich flog er mit Karacho mit dem Gesicht in den Sand und erschreckte sich fürchterlich.“ Der Vater wurde ärgerlich, als er seinen weinenden Sohn sah. „Ich hab’ dich ja gewarnt!“ war sein Kommentar, dann schaute er auf sein Smartphone. Er hatte nicht verstanden, dass das Verhalten seines Sohnes altersgemäß war, und ließ ihn allein mit seinem Kummer. Manchmal sind auch Ängste mit im Spiel. Katja Seide gesteht, dass es auch ihr selbst anfangs nicht leicht fiel, ihrer Ältesten Trost zu spenden, als die im Trotzalter war. „Bald tanzt sie dir auf der Nase herum“, befürchtete sie – und schämt sich inzwischen dafür.

Kinder haben ein sehr gutes Gespür dafür, ob ihre Eltern ihren Kummer ernst nehmen. Schwer trösten lässt sich das Kind, wenn es spürt: Mama oder Papa haben eigentlich keine Zeit, sind mit den Gedanken woanders oder verstehen gar nicht, was ich brauche.

Apropos Zeit. Je nach Charakter des Kindes kann es sein, dass ein Fünfjähriger mehr Aufmerksamkeit braucht als ein Zweijähriger, der vielleicht mit einem Kuss auf sein geprelltes Knie zufrieden ist. „Wird Trost bereitwillig gegeben, nimmt sich ein Kind nur so viel, wie es wirklich braucht“, sagt Sonderpädagogin Katja Seide. Hege ein Elternteil dagegen Gedanken wie: „Nun muss es aber wirklich mal lernen, nicht bei jeder Kleinigkeit so laut loszubrüllen“, dann könne es sein, dass das Kind nur umso verzweifelter um Trost bettelt.

Offen mit den Kindern sprechen

Doch wie genau kann Trost aussehen? Manche Eltern, die spüren, dass sie sich nicht optimal verhalten, versuchen das mit Materiellem zu kompensieren. Falsch, findet Kirstin Wulf, Erziehungs-Coach für Geldfragen und Autorin. Sie beobachtet, dass viele Eltern sogar versuchen, den Kindern vorab eine Frustration zu ersparen – mit Hilfe von Spielzeug oder Süßigkeiten. Ihrer Ansicht liegt das daran, dass Eltern Schwierigkeiten haben, ihren Kindern einen konstruktiven Umgang mit „negativen“ Gefühlen zu vermitteln. Instinktiv versuchten sie daher, diese abzuschwächen, schönzureden oder zu verdrängen.

Nicht selten sind es dabei die Eltern selbst, die schmerzliche Gefühle nicht aushalten und ihren Kindern zu wenig zutrauen. Häufig kommen sie selbst aus Familien, in denen Gefühle mit Materiellem ausgedrückt wurden. „Doch wenn wir mit unseren Kindern offen und altersgerecht sprechen, lernen sie früh, dass auch unangenehme Gefühle und herausfordernde Situationen zum Leben gehören und dass man sich nicht alles versüßen kann“, ist Kirstin Wulf überzeugt. Die vermeintliche Großzügigkeit mag kurzfristig eine Enttäuschung abpuffern – sie nimmt den Kindern aber auch eine wichtige Erfahrung.

Der beste Trost für Kinder ist nach Ansicht der Experten immer noch, wenn die Eltern sich Zeit nehmen und zuhören. Aber auch die liebevollsten Eltern können nicht jedes Gefühl wegtrösten. Und das sollten sie auch nicht. Manchmal ist Trost sogar kontraproduktiv, nämlich wenn Eltern das Kind davor bewahren, in die Verantwortung zu gehen. Etwa, wenn es ihm zu anstrengend ist, zum Hausmeister zu gehen, um den verschwundenen Pullover zu suchen. Finanz-Coach Kirstin Wulf hört immer wieder Geschichten von Kindern, die ihre teuren Handys verbummelt oder fallen gelassen und deren Eltern gleich am nächsten Tag Ersatz gekauft haben. Manchmal wird ein Kind, wo Trost angesagt wäre, aber auch bestraft. Zum Beispiel, wenn es wegen einer Lernschwäche ein schlechtes Zeugnis nach Hause bringt und anders als das lernstarke Geschwisterkind kein Geld für gute Noten bekommt. Deshalb rät Kirstin Wulf davon ab, Schulleistungen und Geld zu verknüpfen.

In jedem Alter ist Zuwendung wichtig

Auch in der Pubertät sind Jugendliche – wie provokant sie auch auftreten mögen – weiter auf das Verständnis, Interesse und vor allem die Liebe ihrer Eltern angewiesen. Generell gilt: Je älter das Kind ist, desto mehr sollten Eltern es darin unterstützen, seine eigenen Lösungsstrategien zu finden und Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Wenn die Eltern dem Nachwuchs nicht regelmäßig das Pausenbrot oder den Turnbeutel in die Schule hinterhertragen, denkt der nächstes Mal vielleicht eher selbst daran.

Das heißt: Eltern sollten präsent sein, sich aber mit voreiligem Trost oder Lösungsvorschlägen zurückhalten. Sie sollten den Kindern ihre Hilfe nicht aufdrängen. Übertriebene Tröstungsversuche oder Reaktionen wie: „Oje, wie schlimm! Ach du armes Kind, was ist dir wieder Schreckliches zugestoßen? So ein Unglück!“ sind genauso unangebracht wie Desinteresse.

Zuneigung spüren

„Wir haben eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie sehr ein Kind in einer bestimmten Situation leiden darf“, sagt die Pädagogin und Bloggerin Katja Seide selbstkritisch. Allerdings lägen zwischen der vermeintlich sachlichen Einschätzung eines Erwachsenen und dem Empfinden des Kindes manchmal Welten – gerade bei Kleinigkeiten. Wenn etwa eine Banane abbricht, kann das mit Kindern zu einer Szene führen, die an den Weltuntergang erinnert. Der Weltschmerz, der sich entlädt, kann in dem Moment Ausdruck tieferen Kummers sein. Ein andermal steckt hinter dem Jammern womöglich einfach nur der Wunsch nach mehr Aufmerksamkeit.

„Auf diesen Gedanken kam ich, als ich bemerkte, wie unterschiedlich meine Tochter auf Verletzungen reagierte“, erzählt Katja Seide. „Manchmal zog sie sich im Spiel eine größere Wunde zu und war so abgelenkt, dass sie diese nicht mal erwähnte. Ein andermal kam sie zu mir, um mir eine mikroskopisch kleine aufgekratzte Stelle zu zeigen.“ Das Weinen und der Wunsch nach einem liebevoll aufgeklebten Pflaster diente eher der Rückversicherung der mütterlichen Zuneigung. Ihr Fazit: „Das Bedürfnis nach Trost verschwindet nicht dadurch, dass wir es ignorieren, sondern nur, wenn wir es erfüllen.“

Zuverlässig getröstete Kinder haben nicht nur ein sichereres Fundament. Sie sind zudem besser in der Lage, auch anderen Trost zu spenden. Grund genug, an alle Eltern zu appellieren: Nehmt eure Kinder in den Arm und tröstet sie. So, wie ihr es euch als Kind ganz sicher auch gewünscht hättet.