Umgangsrecht

Wenn der Krieg ums Kind tobt

| Lesedauer: 22 Minuten
Uta Keseling

Foto: Reto Klar

Ich will! Nein, ich! Warum sich getrennte Eltern oft so erbittert bekämpfen – ein Streitgespräch zwischen Barbara Thieme vom Verein „Mütterlobby“ und Rainer Sonnenberger vom „Väteraufbruch für Kinder“.

Vor einigen Wochen berichteten wir über das Schicksal des vierjährigen Ben, dessen Mutter laut einem Gerichtsbeschluss verpflichtet ist, den Sohn seinem gewalttätigem Vater stundenweise zu überlassen. Auf den Bericht hin haben uns viele Leserinnen und Leser geschrieben. Mütter berichteten von ähnlichen Schicksalen. Andere fragten, wie es so weit kommen kann, dass Eltern sich so erbittert um ihre Kinder streiten, dass es fast wirkt wie ein Krieg. Liegt es nur an den Eltern? Oder auch an einem System, das vorgibt, Kinder zu schützen und dann doch vor allem die Rechte der Eltern im Blick hat? Wenn das so ist: Sind Mütter oder Väter im Vorteil?

Wir haben zwei Menschen zum Gespräch gebeten, die es wissen müssen. Barbara Thieme, 52, hat vor gut einem Jahr in Berlin den Verein „Mütterlobby“ gegründet, in dem sich inzwischen deutschlandweit mehr als 200 Mitglieder zusammen getan haben. Die meisten kämpfen vor Gericht um ihren Nachwuchs oder haben einen solchen Streit bereits hinter sich. Rainer Sonnenberger steht seit 2011 dem „Väteraufbruch für Kinder“ als Bundesvorstand vor. Rund 3000 Mitglieder hat der Verein heute, der sich vor gut 25 Jahren im Zuge der so genannten Scheidungsreform gründete. Der „Väteraufbruch“ tritt für mehr Rechte für Väter ein.

Berliner Morgenpost: Frau Thieme, Herr Sonnenberger, es ist Freitagnachmittag, 17 Uhr – wo sind Ihre Kinder jetzt gerade?

Barbara Thieme: Meine beiden Töchter sind alleine zuhause. Das sind sie ganz gern mal. Sie sind Zwillinge und fast 15. Ich bin allein erziehend.

Rainer Sonnenberger: Was meine Kinder jetzt machen, weiß ich nicht, sie sind bei ihrer Mutter.

Sie engagieren sich als Mutter beziehungsweise Vater öffentlich - wofür?

Sonnenberger: Unser Verein ist seit 25 Jahren eine Anlaufstelle für Väter und zunehmend auch Mütter, die ihre Kinder nicht so häufig sehen, wie sie gerne möchten. Für Menschen, die hochgradig betroffen sind durch die Trennung von ihren Kindern. Der Verein hat deutschlandweit 3000 Mitglieder und Ortsgruppen in allen größeren Städten.

Thieme: Den Verein Mütterlobby gibt es erst seit einem Jahr. Er hat inzwischen deutschlandweit mehr als 200 Mitglieder, überwiegend Mütter, aber auch Großmütter und ‚soziale Väter’. Die Mütter sind in extrem aufreibenden Situationen, fast alle streiten vor Gericht um ihre Kinder. Oft mit dem Kindesvater, manchmal geht es darum, dass das Jugendamt einer Mutter die Kinder wegnehmen will.

Sie beide hatten persönliche Motive für Ihr Engagement.

Thieme: Ja, in meinem Fall war es eine sehr schwierige Sorgerechts-Auseinandersetzung. 2008 führte sie dazu, dass der Vater meiner Kinder vor Gericht eidesstattlich versicherte, ich sei auf der Flucht mit den Kindern, vermutlich nach Pakistan. Das war, wie man so sagt, frei konfabuliert, also hemmungslos gelogen. Er ist ein angesehener Arzt in Berlin, man hat ihm geglaubt und ich war am selben Tag meine Kinder los. Zunächst versuchte ich, sie mit allen rechtsstaatlichen Mitteln wiederzubekommen. Ich musste aber feststellen, dass unser System in solchen Angelegenheiten komplett versagt. So habe ich meine Kinder zwei Jahre überhaupt nicht gesehen, nach drei Jahren mussten sie auch noch ins Heim, weil der Vater sie gegen ihren Wunsch nicht zu mir ließ. Erst nach dreieinhalb Jahren durften sie wieder zu mir.

Warum gründet man dann einen Verein?

Thieme: Ich habe lange geglaubt, ich sei ein Einzelfall. Als ich begann, nach Hilfe zu suchen, stellte ich fest, dass zwar im Vereinsregister deutschlandweit damals etwa 150 Väter-Vereine standen – aber kein einziger für Mütter. In den Frauenvereinen ging es meist nur um Erziehungsfragen oder Handarbeit, aber nicht um die Rechte der Mütter. Also legte ich eine Facebook-Seite an. Auf einmal meldeten sich aus ganz Deutschland Mütter, denen es ähnlich ging wie mir. Daraus hat sich der sich vor gut einem Jahr der Verein „Mütterlobby“ gegründet.

Herr Sonnenberger, wie war es bei Ihnen?

Sonnenberger: Eigentlich recht ähnlich. Auch ich habe erleben müssen, dass ich zum Kindergarten kam und meine Kinder dort nicht abholen durfte. Irgendwann stieß ich auf den Verein „Väteraufbruch für Kinder“. Es dauerte ein bisschen, bis ich dort selbst aktiv wurde. Aber dann hatte sich Berlin eine Gruppe gebildet, in die ich gut hineinpasste.

Wie kann es sein, dass Eltern vom einen auf den anderen Tag ihre Kinder verlieren?

Sonnenberger: Ein Grundproblem ist die Rechtsprechung, die keine gemeinsame Elternschaft vorsieht. In dem Moment, in dem ein Elternteil vor Gericht klagt und sich alleine um die Kinder kümmern will, muss sich der andere entscheiden: Will ich mich ebenfalls alleine kümmern? Muss ich jetzt auch vor Gericht ziehen? Oder soll ich ganz verzichten? Es gibt keine Antragsmöglichkeit, in der man sagt: Ich will das weiterhin mit dem anderen Elternteil gemeinsam machen, auch wenn wir als Paar gescheitert sind.

Thieme: Das stimmt ja nicht. Ein Elternteil kann sehr wohl zum Beispiel den Umgang mit seinen Kindern beantragen, sogar im beschleunigten Verfahren. Man kann auch die gemeinsame elterliche Sorge beantragen.

Sonnenberger: Ja, aber wenn die Elternteile sich nicht einigen oder einer nicht mitmacht, kann dieser sämtliche Entscheidungen blockieren. Deshalb schlagen wir einen dritten Sorgeberechtigten vor, der das Gespräch zwischen den Eltern fördert und auf einen Kompromiss hinarbeitet. Wird dieser nicht erreicht, könnte dieser „Kooperationsmanager“ über eine Abstimmung unter den drei Sorgeberechtigten einen Kompromiss herbeiführen. So käme man einen Schritt weiter.

Thieme: Aber ist das sinnvoll, aus der Sicht des Kindes? Ein dritter Sorgeberechtigter wäre für die Familie weitaus belastender, als wenn einer alleine die Entscheidungen trifft. Sicher: Ein Vater bleibt immer ein Vater, eine Mutter immer eine Mutter, das ist ein Naturgesetz und steht sogar noch über dem Grundgesetz und dem BGB. Aber Vaterschaft und Mutterschaft sind nicht gleichzusetzen mit dem Recht auf elterliche Sorge.

Sonnenberger: Wäre das sinnvoll? Wir meinen ja, es lohnt sich zu versuchen, Kindern ihre beiden Eltern zu erhalten.

Wie kommt es überhaupt zu solch verfahrenen Situationen, in denen Paare vor Gericht um die Kinder streiten?

Sonnenberger: Viele Eltern schaffen es, sich ohne Gericht zu arrangieren. Wenn aber dann doch ein Richter die Entscheidungen trifft, empfindet das immer ein Elternteil als Entmündigung und Entwürdigung. Man verliert, man ist zutiefst geschockt. Dazu kommt: Bei den Gerichten sind oft sehr viele Menschen mit jeweils einem Fall befasst – Anwälte, Verfahrensbeistände, Richter, Jugendamtsmitarbeiter, Gutachter. Da sind dann auf einmal sehr viele Leute, die tiefgreifende Analysen machen – und sich danach nie wieder mit dem Fall befassen. Trennung ist ein langer Prozess, eine Entwicklung. Wir denken, dass man mit weniger Aufwand und einer längeren Begleitung den Eltern helfen kann, einen gemeinsamen Weg in der Sorge für ihre Kinder zu finden.

Thieme: Einspruch. Sicher, Beratung ist im Normalfall gut, wenn beide Eltern bereit sind, doch wieder Verantwortung zu übernehmen. Was man aber genauer betrachten muss, sind die sogenannten hoch strittigen Fälle – also genau die Mütter und Väter, die zu uns in die Vereine kommen. Diese werden ein ums andere Mal in den Ring geschickt. Mal wird eine Mediation gemacht, mal eine Beratung, nichts klappt, und eineinhalb Jahre später kommt der nächste gerichtliche Antrag und alles geht von vorne los. Wir sagen: Die Struktur unseres Familienrechtssystems stellt in solchen Fällen eine Kindeswohlgefährdung dar. Wenn es nicht geht, muss eine Entscheidung her, welcher Elternteil das Sorgerecht hat.

Worum geht es bei den Streitigkeiten der Eltern genau?

Sonnenberger: Um verletzte Gefühle, verlorenes Vertrauen, Angst, manchmal Gewalt und vor allem um die Hilflosigkeit der Eltern, die Zukunft mit ihren Kindern eigenständig zu gestalten. Im Normalfall ist der andere Elternteil ja auch eine Hilfe bei Erziehung und Betreuung. Das weiß jeder, der alleinerziehend ist. In gerichtlichen Auseinandersetzungen geht aber irgendwann der nüchterne Blick dafür verloren. Es geht darum, emotional zu überleben.

Thieme: Von vielen Vätern wird die Betreuungs- und Fürsorgepflicht als ein Wunschkonzert betrachtet. Bei Ihnen, Herr Sonnenberger, sind jene Väter vertreten, die diese Pflichten gern wahrnehmen wollen. Aber was meinen Sie, wie viele getrennte Väter sich nie wieder bei ihren Kindern melden? Wenn die Vaterrolle tatsächlich so eklatant wichtig ist für die Entwicklung eines Kindes, wie die Väter-Lobbyisten es im Moment behaupten, dann müsste es im Umkehrschluss doch eine Pflicht geben für jene Väter, die sich nicht für ihre Kinder interessieren.

Sonnenberger: Wir setzen uns als Verein dafür ein, dass Väter und Mütter ihre Pflichten erfüllen und dazu gegebenenfalls auch gerichtlich verpflichtet werden. Aber die Rechtsprechung ist da nicht bereit, das zu tun.

Es gibt seit dem vergangenen Jahr mehr Rechte für Väter. So können zum Beispiel Unverheiratete ab sechs Wochen nach der Geburt ihres Kindes das gemeinsame Sorgerecht beantragen. Finden Sie das richtig?

Sonnenberger: Früher hieß es, das Kind gehört zur Mutter, sie hat es geboren, das war eben so. Heute lassen sich Väter sich nicht mehr so einfach aus der Verantwortung drängen. Galt dies vor 15 Jahren noch nur für eine kleine, intellektuelle Oberschicht, sind sich heute Väter in allen sozialen Schichten ihrer Rolle bewusster und fordern sie auch ein. Deutschland ist bei dieser Reform trotzdem leider hinter dem zurückgeblieben, was in der Hälfte der europäischen Länder schon lange gilt: Dass nämlich unverheiratete Väter bei der Geburt automatisch gemeinsam mit der Mutter das Sorgerecht erhalten, sofern sie die Vaterschaft anerkennen. Die jüngste deutsche Sorgerechtsreform halten wir da nicht für besonders glücklich.

Thieme: Die Mütter auch nicht, wenn auch aus anderen Gründen. Von dem neuen Gesetz sind auch Eltern betroffen, die im Zweifelsfall nie einen gemeinsamen Hausstand hatten, nie miteinander gelebt haben. Oder bei denen der Mann die Frau gedrängt hat, das Kind abtreiben zu lassen, weil es vielleicht aus einer kurzen Beziehung entstanden ist oder es nie eine Beziehung gab. Das ist keine Seltenheit. Diese Väter haben auch Jahre später noch das Recht, die gemeinsame elterliche Sorge zu beantragen. Das halten wir für ausgesprochen ungerecht. Diese Mütter leben über Jahre unter dem Damoklesschwert, dass der Kindesvater irgendwann auftauchen und Rechte an dem Kind durchsetzen kann.

Sonnenberger: Ich denke, wenn der Vater sich jahrelang nicht gekümmert hat, wird der Mutter es vor Gericht relativ leicht fallen, das darzulegen.

Thieme: Eben nicht. Den Familienrichtern ist es teilweise völlig egal, wie sich der Vater in der Vergangenheit verhalten hat. Sie schauen nur in die Zukunft. Ich kenne viele solcher Fälle.

Sonnenberger: Auf der anderen Seite gibt es aber eben auch die Paare, die nie gemeinsam gelebt haben, aber dennoch gemeinsam für ihre Kinder verantwortlich sein wollen. Für sie ist das Gesetz doch auch gedacht. Ich finde es nicht in Ordnung, ein Gesetz pauschal zu verurteilen, nur weil es einige kritische Fälle gibt.

Väter, die sich jahrelang nicht um ihre Kinder kümmern – vertreten Sie die auch?

Sonnenberger: Nein, solche Männer wenden sich eigentlich nicht an unseren Verein. Nur einmal kam ein Vater in unsere Berliner Gruppe, der gegen seinen Willen Vater geworden war. Er war wütend deswegen, ließ sich aber von uns nicht dazu bewegen, das anders zu sehen. Es ist schwer, solche Väter zu erreichen.

Thieme: Bei Vätern geht es oft nur um Rechte, nicht Pflichten. Ob es nun die elterliche Sorge ist oder auch die Unterhaltspflicht. Für seine Kinder nicht zu zahlen ist ja praktisch ein Kavaliersdelikt, das keine weiteren Auswirkungen hat. Auch nicht auf die sonstigen Rechte eines Vaters. Umgekehrt werden aber die Rechte einer Mutter beschnitten, wenn sie eigene Entscheidungen trifft. Sie darf zum Beispiel nicht mit den Kindern in eine andere Stadt ziehen, wenn der Vater es nicht will. Sonst ist sie die Kinder los.

Sonnenberger: Es ist ja das Kind beider Eltern, da muss man sich eben arrangieren, insbesondere, wenn durch den Umzug der Umgang zwischen einem Kind und einem Elternteil gefährdet wird.

Thieme: Aber der Vater darf wegziehen, zum Beispiel aus beruflichen Gründen.

Sonnenberger: Ja, im Standardfall sieht er seine Kinder nur alle 14 Tage am Wochenende. Da muss er dann sehr mobil sein. Das Problem ist doch, dass die Lasten zwischen den Eltern ungleich verteilt sind.

Was bedeutet ungleiche Lasten?

Sonnenberger: In der Rechtsprechung wird oft noch ein tradiertes Familienbild reproduziert, in dem der Vater für das Materielle sorgt und die Mutter sich um die Kinder kümmert. In der Familienpolitik sind wir da schon weiter. Zum Beispiel das Elterngeld plus: Damit können sich beide gleichermaßen um ihre Familie und ihre berufliche Entwicklung kümmern.

Thieme: Was ich an der Rechtsprechung nicht verstehe: Ist der Vater nun grundsätzlich wichtig für die Entwicklung des Kindes – oder nur dann, wenn der Vater es will?

Sonnenberger: Das Umgangsrecht ist ein Recht der Kinder, Kontakt zu beiden Eltern zu halten. Dieses Recht kann aber nur umgesetzt werden, wenn der Vater auch die Initiative ergreift. Weil manche das nicht tun, müssen wir Väter viel früher in die Erziehung ihrer Kinder einbinden.

Haben Sie eigentlich mal Kinder getrennter Eltern angehört, was sie über die Sorgerechtsdebatte denken?

Thieme: Bei uns hat sich ein junger Mann gemeldet, der als Kind jahrelang zum Umgang mit seinem Vater gezwungen wurde. Er hat sehr darunter gelitten. Nach dem neuen Familienrecht können Kinder übrigens auch zum Kontakt mit gewalttätigen Vätern gezwungen werden – das Recht der Väter geht vor.

Sonnenberger: Nein, das Recht der Väter geht nicht vor, sondern das Recht des Kindes auf Umgang mit seinem Vater wird gegen die Risiken für das Kindeswohl abgewogen. Im Übrigen kennen wir viele Fälle, in denen falsche Gewaltvorwürfe erhoben werden: Missbrauch mit dem Missbrauch – das ist eine scharfe Waffe.

Thieme: Wir sagen: Die Sicherheit des Kindes muss über den Recht eines Vaters stehen, Kontakt zu seinem Kind zu haben.

Sonnenberger: Der Richter hat verschiedene Möglichkeiten, auf Gewaltvorwürfe zu reagieren. Er kann mit dem Kind selbst sprechen, er kann einen begleiteten Umgang anordnen oder ein Gutachten erstellen lassen, um das Risiko besser einzuschätzen.

Kinder lieben tragischerweise ihre Eltern meist selbst dann, wenn diese Gewalt gegen sie ausüben. Diese Abhängigkeit gehört zum System der Gewalt. Das gibt es auch unter Erwachsenen.

Sonnenberger: Es gibt auch Mütter, die gewalttätig sind. Es muss immer im Einzelfall geguckt werden, was wirklich los ist.

Thieme: Manche Gerichte ignorieren selbst konkrete Hinweise, wenn es um Gewalt geht, gerade bei psychischer Gewalt oder auch finanziellem Druck. Dann werden diese Mütter vom Gericht und den Verfahrensbeteiligten vom Opfer zum Täter gemacht. Es heißt dann schnell, sie seien bindungsintolerant und somit nicht erziehungsfähig.

Sonnenberger: Deswegen hat das ein Richter zu bewerten. Aber auch Richter machen Fehler. Wir wünschen uns ein Stück mehr Transparenz im Familiengericht. Wir sind sehr erstaunt, dass wir von manchen Richtern nie hören und von anderen immer wieder, weil die Betroffenen sich ungerecht behandelt fühlen.

Sind denn Lösungen in Sicht im Streit um die Kinder? Momentan wird das so genannte Wechselmodell diskutiert, nach dem die Kinder abwechselnd eine Woche beim Vater und bei der Mutter leben sollen. Eine sinnvolle Idee?

Sonnenberger: Das geht in der Regel nur, wenn die Eltern sich einigen. Eine gesetzliche Grundlage dafür gibt es nicht. Inzwischen sollen es einige Gerichte wohl auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet haben.

Thieme: Wir hören das öfter. Bei hoch strittigen Elternpaaren führt es regelmäßig in die Katastrophe.

Sonnenberger: Ich bin da ganz schnell wieder bei dem Kooperationsmanager. Man muss Eltern, die nicht miteinander kommunizieren können, eben dabei helfen.

Thieme: Das funktioniert doch nicht. Ich denke, man muss tiefer schauen. Es sind oft bestimmte Charaktere, sowohl Mütter als auch Väter, die sich so extrem bekriegen. Es hat meist mit Macht und Kontrolle zu tun. Oder es geht einfach um Geld. Darüber hinaus wird dann gar nicht mehr wahrgenommen, ob das, was man da tut, überhaupt gut für das Kind ist. Irgendwann geht es nur noch ums Gewinnen.

Sonnenberger: Ach ja, das hört man auf jeder Fachtagung: Es geht in Wirklichkeit nur um Macht oder Geld. Damit kann sich aber jeder Profi auch schnell herausreden. Ich glaube, die Eltern sind zunächst einfach nur hilflos.

Thieme: Genau. Aber wer sich Hilfe sucht, etwa in Form von Therapie oder psychologischer Beratung, wird vor Gericht schnell als instabil abgetan. Der andere, der seine Defizite nicht wahrnimmt und sich keine Hilfe holt, wird dagegen oft als der stärkere Part angesehen.

Sonnenberger: Ich kenne auch Fälle, in denen es ausdrücklich gelobt wurde, wenn sich jemand Hilfe holte. Aber manchmal gewinnt auch einfach der Elternteil, der intensiver auf die Kinder einwirkt, vielleicht auch, weil er eben gerade keine Therapie gemacht hat. Also der skrupellosere Teil, wenn man so will, der die Kinder manipuliert. Das sehe ich sowohl bei Vätern wie Müttern in unserem Verein.

Gibt es auch Mütter im Verein Väteraufbruch? Warum?

Sonnenberger: Ja, es ist, wie Frau Thieme es beschrieben hat. Sie suchten nach Hilfe und kamen zu uns, weil es wenig andere Angebote gab. Als die ersten Hemmungen überwunden waren, stellten wir fest, dass unsere Interessen sehr ähnlich sind. Und uns wurde klar, dass man viele Dinge lange nur auf die geschlechtsspezifische Schiene geschoben hatte. Die Probleme können aber auch ganz andere Ursachen haben.

Thieme: Fast alle Frauen in unserem Verein haben sich am Anfang sehr dafür eingesetzt, dass der Vater den Kindern erhalten bleibt. Bis hin dazu, dass sie ihm die Kinder regelrecht hinterher getragen haben, auch wenn dieser sie gar nicht sehen wollte. Irgendwann ging die Sache dann vor Gericht, und dann gab es wirklich Krieg. Warum läuft es oft so? Wie kann man denn diese Väter befrieden?

Sonnenberger: Die Frage ist, warum es rechtlich gesehen keinen Mittelweg gibt. Da sehe ich den größten Handlungsbedarf.

Thieme: Vielleicht diskutieren wir mal gemeinsam, wie es anders laufen erreichen kann? Dass erst miteinander geredet wird, bevor man gleich klagt? Wenn aus der Frage, wie man sich gemeinsam um seine Kinder kümmert, ein Fall erst vor Gericht geworden ist, sind die Pfosten schon eingerammt, dann sind die Schriftsätze geschrieben und die Verletzungen geschehen.

Sonnenberger: Das Gerichtsverfahren ist ja dazu da, dass die Eltern miteinander reden - als ultima ratio, wenn es gar nicht anders geht.

Thieme: Aber warum gleich vor dem Richter? Wir Frauen werden ja vor anderen Entscheidungen auch erst zur Beratung gezwungen. Vor einer Abtreibung zum Beispiel. Warum keine verbindliche Beratung, zum Beispiel vor dem Antrag auf alleinige elterliche Sorge?

Sonnenberger: Teilweise wird ja auch beim Anwalt oder beim Jugendamt schon miteinander geredet. Aber wenn man grundsätzlich eine Beratung davor schaltet, warum nicht? Vielleicht wäre das bereits vor der Geburt des Kindes hilfreich. Es gab diesen Gedanken schon, leider ist er jedoch bei der Sorgerechtsreform nicht berücksichtigt worden. Ja, darüber könnte man nachdenken.