Familie

„Das Alter der Eltern ist nicht das wichtigste Kriterium für Kinder“

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Die Zahl der älteren Väter nimmt zu. Das kann gut sein, aber birgt auch Komplikationen. Ein Interview mit dem Therapeuten eines Berliner Familienplanungszentrums.

Sollte es in Beziehungen mit älteren Vätern zu Konflikten kommen, ist das Familienplanungszentrum Balance in Berlin eine Anlaufstelle. Der Therapeut Andreas Heinze berät dort einzelne Personen und Paare.

Berliner Morgenpost: Herr Heinze, die Zahl der älteren Väter nimmt immer mehr zu. Was kann das für die Gesellschaft bedeuten?

Andreas Heinze: Für die Gesellschaft heißt es zunächst, dass etwas mehr Kinder geboren werden. Vielleicht ist es ja ein Trend, dass „Kinder zu bekommen“ wieder einen größeren Wert an sich darstellt und daher auch spätere Vaterschaften erstrebenswert erscheinen. Auch sind Ältere generell weniger angepasst und folgen stärker ihren Bedürfnissen.

Was bewirkt das bei den Kindern?

Ich glaube, dass das Alter der Eltern nicht das wichtigste Kriterium ist, ob sich Kinder gut aufgehoben fühlen und sich gut entwickeln können. Wichtig ist sicher, wie die Beziehung zu den Eltern ist und wie diese die unvermeidlichen Krisen verkraften können. Ältere Väter haben oftmals Einschränkungen. Wenn sie noch sehr gerne Vater sein wollen, sind sie dafür sicher auch dankbar und deswegen besonders engagiert. Für das Kind ist die Wahrscheinlichkeit, bei einem älteren Vater noch weitere Geschwister zu bekommen sicher eingeschränkt, was gut oder schlecht sein kann. Hat der Vater schon ältere Kinder, könnten diese auch wichtige Bezugspersonen für das Kind werden. Bei Kindern älterer Väter gibt es aus Altersgründen wahrscheinlich keine Großeltern mehr. Somit fehlt auch die oft sehr nahe Enkel-Großelternbeziehung, die auch eine ausgleichende, entlastende Funktion hat. Auch die Weitergabe von familiären Werten und Familientraditionen kann so nicht mehr von den Großeltern an die Enkel erfolgen.

Sind ältere Väter überhaupt konditioniert, das alles auszuhalten: Schlafmangel, Genörgel von den Kindern und das Herumtoben?

In einem fortgeschrittenen Alter Vater zu werden, bedeutet mehr Stress zu haben. Auch, wenn die Erwerbsarbeit abgeschlossen ist und die finanzielle Situation trotzdem entspannt ist, wird älteren Vätern viel körperlich und psychisch abverlangt.

Wie kann ein Mitte 70-Jähriger der Pubertät seines Kindes begegnen?

Die Pubertät bedeutet, dass sich Jugendliche von den Eltern lösen, um ihre eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Dies geschieht oft sehr vehement und nicht geplant. Die Pubertät ist an sich oft schon schwer genug, der Vater ist aber auch ca. 13 Jahre älter als zur Geburt des Kindes. Es kann sein, dass das Kind auf gesundheitliche Einschränkungen des Vaters zu stark Rücksicht nehmen muss, eine Ablösung dadurch schwieriger wird. Pubertät heißt für Jugendliche, etwas Eigenes zu entwickeln, Gleichgesinnten gegenüber sehr angepasst zu sein, sich von den Eltern aber sehr abzugrenzen. Den Eltern erscheinen ihre Kinder dann oft etwas fremd und sie verstehen dessen Werte und Bedürfnisse nicht mehr. Dies verstärkt sich sicher noch einmal durch das hohe Alter des Vaters. Kritisch für den Jugendlichen wäre es sicher, wenn der Vater in dieser Phase sterben würde. Jugendliche, die ihren Vater im Alter um 12 Jahre verlieren, können nicht mehr eine nahe Beziehung zu einer anderen Vaterfigur aufbauen. Folgen für den Jugendlichen könnten sein, dass er nicht genau herausfinden kann, wer er ist, und eine Identitätsstörung entwickelt. Günstig wäre es, wenn der alte Vater noch die Phase nach der Pubertät erlebt. Wenn der Sohn vielleicht 20 Jahre ist, kann es wieder zu einer Annäherung und zu einer gegenseitigen Wertschätzung kommen.

Was können ältere besser als jüngere Väter?

Was älteren Vätern an Energie und Belastbarkeit fehlt, können sie mit Engagement und dem Bemühen um eine gute Beziehung zum Kind ausgleichen. Auch können sie in ihrer Persönlichkeit gefestigter sein, wissen, wer sie sind und haben mehr Lebenserfahrung. Sie können sich auf die Situation der Elternschaft voll und ganz einlassen, ohne das Gefühl zu haben, etwas im Leben zu verpassen.

Warum sucht sich eine jüngere Frau einen sehr viel älteren Mann, um eine Familie zu gründen?

Neben den üblichen Gründen sich in einen anderen Menschen zu verlieben und ihn faszinierend zu finden, gibt es generell das nicht ganz unbegründete Vorurteil, dass Männer an Frauen schätzen, wenn sie jünger sind. Frauen hingegen achten vielleicht stärker auf die soziale Stellung und die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel bei älteren Partnern. Frauen, die sich ihrer selbst unsicher sind, können sich von erfahrenen Männern angezogen fühlen.

Nutzt die Lebenserfahrung etwas bei der Erziehung?

Lebenserfahrung – das heißt, sich bewusster zu sein, wer man selbst ist – ist sicher hilfreich. Auf der anderen Seite gilt es aber, sich als Vater auch wieder auf eine kindliche Ebene einlassen zu können, um sein Kind zu verstehen und eine gemeinsame Gefühlsbasis zu finden. Gerade in der Pubertät wird diese Beziehung, auf eine harte Probe gestellt. Die Erfahrung, auch schier hoffnungslos erscheinende Krisenphasen durchstehen zu können, ist sicher gut, um die Gelassenheit nicht völlig zu verlieren.

Das Gespräch führte Jan Draeger