Weihnachten

Wie Eltern ihre Kinder mit Geschenken erpressen

| Lesedauer: 5 Minuten
Astrid Herbold

"Das I-Phone darfst du nur nach der Geigenstunde haben." - ein beliebter Trick vieler Eltern. Doch im Moment scheinen alle Kinder besonders folgsam und brav. Der Grund: Sie hoffen auf eine Belohnung unter dem Tannenbaum.

Ich mag die Vorweihnachtszeit. Sie ist ruhig und friedlich. Voller Hilfsbereitschaft und Kooperationswillen. Ich bitte das Kind, Klavier zu üben. Es geht und übt. Ich wünsche, dass die dreckige Wäsche vom Kinderzimmerfußboden ins Bad geräumt wird. Meinem Wunsch wird stattgegeben. Ich hätte gerne mal morgens keine lautstarke Diskussion über die Mützenfrage. Die Mütze wird stillschweigend aufgesetzt.

Nein, mein Kind steht nicht unter Drogen. Es will ein neues Handy haben. Unbedingt und zu Weihnachten. „Bitte! Mama! Alle haben so eins! Nur ich nicht!“ Das Flehen ist herzzerreißend. Ich dagegen beinhart. Seit Wochen hülle ich mich in grüblerisches Schweigen – und nutze die Situation schamlos aus. „Ja, mal sehen, vielleicht, aber nur, wenn du bis dahin …“

Eltern sollen ihre Kinder nicht erpressen. Das steht in jedem Ratgeber. Weil es unredlich ist, asozial, ein unfairer Kampf mit den falschen Waffen, eine pädagogische Sackgasse, eine Schweinerei, ein Zeichen von elterlicher Unsicherheit, Schwäche, Hilflosigkeit, Kleingeistigkeit und intellektueller Beschränktheit. Obendrein.

Lieber nötigen

Ich mach’s trotzdem. Was soll ich auch sonst machen? Die pubertierende Frisurenträgerin davon überzeugen, dass man bei minus 9 Grad eine Kopfbedeckung braucht? Das hab ich vor einem Jahrzehnt schon aufgegeben. Das Kind auf dem Klavierhocker festbinden, bis sich die tiefere Einsicht in die Freuden und Chancen des Instrumente-erlernen-Dürfens automatisch einstellt? Die Notwendigkeit gelegentlichen Wäschewaschens langatmig argumentativ untermauern? Die Bitte-bettel-Nummer? Das Erklärbärchen?

Das mache ich das ganze Jahr. Aber nicht in der Vorweihnachtszeit. Da nötige ich lieber. Das geht schneller und ist wahnsinnig effektiv. „Denk an das Handy, das du dir wünschst …“

Man kann natürlich nicht jedes Kind erpressen. Mein Tipp wäre: erst so ab acht Jahren. Und auch nicht mit jeder beliebigen Drohung um sich werfen. „Sonst fahren wir nie wieder in Urlaub“ würde meine Tochter ähnlich lächerlich finden wie: „Sonst kommst du ins Heim.“

Die Konsequenz muss angemessen, realistisch und bedeutsam sein. Sie muss sich in überschaubarer zeitlicher Nähe befinden. Und natürlich darf sie nicht mal den Hauch eines beleidigten Liebesentzug-Dings enthalten. Deshalb koppelt man sie am besten an ein elektronisches Spielzeug. Und zwar nicht an das, was sowieso schon im Kinderzimmer unbeachtet in der Ecke liegt, sondern an das heiß ersehnte, das noch kommende.

Zum Glück gehen Kindern in dieser Richtung nie die Wünsche aus. Um mal aus unserem familiären Nähkästchen zu plaudern: Weihnachten 08 war es der MP3-Player, ohne den das Leben plötzlich nicht mehr lebenswert erschien. Weihnachten 09 hingen Glück und Seelenheil von einem Nintendo DS ab. Weihnachten 2010 ist es nun besagtes Handy, aber bitte zum Sliden, altdeutsch: Hochschieben. Und natürlich mit Kamera und Speicherkarte und … An dieser Stelle rattert das Kind gewöhnlich eine lange Liste neuer, cooler und absolut unentbehrlicher Funktionsmerkmale herunter.

Apropos und bevor ich’s vergesse: Mein tiefer Dank gilt der elektronischen Unterhaltungsindustrie. Sie arbeitet uns Eltern heimlich in die Hände. Was wären wir ohne ihre ständigen Innovations-Salti? Eben: längst komplett entmachtet.

Sich die Wii verdienen

In meinem Bekanntenkreis wird das Thema übrigens vornehm totgeschwiegen. Aber aus verlässlicher Quelle (sprich: Kindermund) weiß ich, dass ich bei Weitem nicht die einzige Erpresserin bin. Rund um uns herum werden zurzeit Kinder mit den miesesten Tricks gefügig gemacht. Bei den Nachbarn heißt das aktuelle Motto Laptop gegen Matheüben, vergangenes Jahr musste die Wii mit Zahnspangetragen verdient werden. Das Nachbarkind ist an dieser Hürde dann übrigens tatsächlich gescheitert. Die Wii kam erst zu Ostern.

Abgesehen davon, dass mir auch niemals zu Weihnachten eine Wii ins Haus käme, fand ich das dann aber irgendwie doch ziemlich gemein. Klar, man soll konsequent sein, steht ja auch in jedem zweiten Ratgeber. Sonst nehmen die Gören einen auch nicht mehr für und so weiter. Trotzdem – kaltherzige Prinzipienreiterei lehne ich ab. Heulen unterm Tannenbaum nur wegen ein paar blöder Mützen, Klaviersonaten oder Zahnspangen? Die man als Kind selbst leidenschaftlich gehasst hat?

Es ist immer noch Vorweihnachtszeit. Die Sache soll Spaß machen. Und zwar der ganzen Familie. Denn natürlich weiß das Kind, dass am 24. Geschenke unterm Baum liegen werden. Und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch die richtigen. Und natürlich durchschaut es meine lächerlichen Erziehungsversuche: „Mama, das ist voll die Erpressung!“ „Genau!“, antworte ich dann fröhlich. „Und ich bin sehr stolz auf dich, dass du so klug bist, das zu durchschauen. Aber ich bin auch sehr schadenfroh, dass es trotzdem immer noch funktioniert.“

Und dann drohe ich schon mal prophylaktisch damit, dass ich alles, was der Weihnachtsmann an Elektro-Gedöns so bringt, natürlich auch wieder einziehen kann. Und zwar absolut „je-der-zeit“. Oder umtauschen. Oder Ladekabel wegnehmen oder so. „Ohoho“, kommentiert das die ergebene Schutzbefohlene. Aber ehrlich gesagt klingt es mehr nach Spott als nach Angst.