Die Lehrer, die außer den Staatsexamen eine Zusatzausbildung absolviert haben, halten sich mit Bewertungen und Kommentaren zurück. Auch schlechte Zensuren müssen die Schüler nicht fürchten: Viele der hiesigen Montessori-Schulen führen erst nach der achten Klasse ein Notensystem ein.
Die italienische Ärztin Maria Montessori (1870-1952), die die nach ihr benannte Pädagogik prägte, war eine außergewöhnliche Frau. In der Nähe von Ancona geboren, galt sie schon als Schülerin als auffallend ehrgeizig. Sie wurde erste Medizinstudentin Italiens, später war sie die erste Ärztin und die erste Frau, die in ihrem Heimatland promovieren durfte. Kurz darauf gebar sie im Jahr 1898 ihren unehelichen Sohn Mario - ein Skandal zur damaligen Zeit. Den Jungen gab sie in die Obhut von Pflegeeltern und sollte sich erst mehr als 40 Jahre später zu ihm bekennen. Biografen vermuten, dass ihr außerordentliches Engagement für Kinder auch durch diesen Bruch in ihrem Leben geprägt war.
Ihr Fachgebiet wurde die Kinderheilkunde. Neben ihrer Arbeit setzte sie sich mit den Erziehungstheorien ihrer Zeit auseinander und entwickelte die Auffassung, dass jedes Kind, egal ob behindert oder nicht, ganz individuell nach seinen Bedürfnissen gefördert und zu einem sozialen Miteinander erzogen werden sollte. Im Jahr 1907 eröffnete sie im römischen Arbeiterbezirk San Lorenzo eine Tagesstätte für Kinder, die "Casa dei Bambini". Das Besondere an dem Kinderhaus: Es war voll und ganz auf die Bedürfnisse und die Körpergröße der Kinder ausgerichtet. Die Jungen und Mädchen konnten sich dort völlig frei entfalten. Die Erwachsenen mischten sich in das Spiel der Kinder nur auf deren Wunsch ein, um sie zu unterstützen oder um ihnen etwas zu erklären. Die wichtigste Entdeckung Maria Montessoris während ihrer Arbeit in Rom war, dass viele vermeintlich "gestörte" Kinder erstaunliche und unerwartete Fähigkeiten entwickelten - wenn man ihnen genügend Zeit ließ und Freiraum gewährte.
Der Faschistenführer Benito Mussolini führte einige ihre Methoden in den zwanziger Jahren an italienischen Schulen ein. Als das Regime versuchte, 1934 eine Uniformpflicht durchzusetzen, überwarf sich Montessori mit den Faschisten und ging während des Zweiten Weltkriegs nach Indien. Ihren Lebensabend verbrachte sie in den Niederlanden, wo sie 1952 starb - an der Seite ihres Sohnes, der in den letzten Jahren als ihr Sekretär gearbeitet hatte.
Ihre Idee von einer menschenwürdigen Pädagogik brachte Maria Montessori mit einer für jeden verständlichen Formel auf den Punkt: "Hilf mir, es selbst zu tun." Dahinter steckten Forderungen, die vor 100 Jahren, als hauptsächlich mit dem Rohrstock erzogen wurde, bahnbrechend waren. Das Kind sah sie als einen "Baumeister seiner selbst", das Lernen sollte Spaß machen, und es sollte spielerisch vonstatten gehen. Denn Freude war für Maria Montessori das "Indiz inneren Wachstums". Sie appellierte, Kindern mit Achtung und Respekt zu begegnen. Noch heute gelten ihre Ideen als zeitgemäß.
Alleine in Deutschland existieren zurzeit 600 Montessori-Kindergärten sowie rund 400 freie und staatliche Montessori-Schulen. In fast jedem Bezirk Berlins gibt es Grundschulen, in denen zumindest einzelne Klassen nach den Ideen der italienischen Pädagogin unterrichtet werden. Die Nachfrage ist jedoch weitaus größer, an vielen Schulen übersteigt die Zahl der Interessenten, die sich um einen Platz für ihr Kind bewerben, die tatsächlichen Kapazitäten um das Drei- bis Vierfache. Und der Gedanke, dass Kinder am besten durch Ausprobieren und Entdecken lernen, hat längst auch Einzug in Kindergärten und Einrichtungen gehalten, die sich nicht ausdrücklich der Montessori-Pädagogik verschrieben haben.
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