Der Begriff antiautoritäre Erziehung ruft bei Eltern und Lehrern eine beinahe reflexartige Abwehr hervor. Unwillkürlich denkt man bei dem Begriff an renitente Sprösslinge, die mutwillig Tische umstoßen und sich bei jeder Ermahnung taub stellen.
Mit solchen Vorurteilen tut man dem Erziehungsstil und seinem Verfechter Alexander Sutherland Neill jedoch Unrecht. Bei der antiautoritären Erziehung sind Pädagogen zwar bemüht, Kindern und Jugendlichen Freiräume zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu lassen. Regeln gibt es dennoch - nur gehen ihnen häufig Diskussionen voraus.
Alexander S. Neill wurde 1883 im schottischen Forfar als Sohn eines Lehrerehepaars geboren. Bereits mit viereinhalb Jahren besuchte der Junge eine Zwergschule, in der es nur eine Klasse und einen Lehrer gab: Alexanders Vater. Dem Vorwurf, seinen Sohn besser als andere zu behandeln, wirkte der Vater von Anfang an entgegen: Alexander Neill wurde noch strenger behandelt als seine Mitschüler und steckte häufig Prügel ein. Als 14-Jähriger begann Neill nacheinander Ausbildungen zum Buchhalter und zum Einzelhändler. Beide Berufe machten ihm keinen Spaß und so wurde er Hilfslehrer. Doch die damals üblichen strengen Erziehungsmethoden waren ihm zuwider. Er begann ein Studium und arbeitete als Redakteur bei einem Verlag - bis 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach. Viele Lehrer mussten an die Front, und Neill, der als untauglich eingestuft war, wurde Rektor der Gretna Public School. Die Vertretung des Schulleiters eröffnete Neill ungeahnte Möglichkeiten, da er seine eigenen Erziehungsideen erproben und umsetzen konnte. Lernen sollte ohne Zwang und Druck geschehen und den Schülern vor allem Freude machen. Mit seinem ersten Buch, in denen er seine Zeit in Gretna Green beschrieb, gelang ihm der Durchbruch als Schriftsteller und Reformpädagoge. Vier weitere Bücher und mehr als sechs Jahrzehnte als vielbeachteter Schulleiter folgten. Die wichtigste Station seines Lebens war das bis heute existierende und von ihm gegründete Internat Summerhill.
Ähnlich wie der berühmte Pädagoge Rousseau hielt auch Neill Kinder für grundsätzlich gut und fähig zum friedlichen Miteinander. Erst Umwelteinflüsse und die autoritäre Erziehung würden dazu führen, dass positive Anlagen verkümmern. Viele seiner Theorien waren nicht neu, doch er entwickelte sie weiter und zog überraschende Konsequenzen. Laut Neill sollten moderne Schulen ein Schutzraum für Kinder sein, in denen sie vor dem Einfluss der Erwachsenen verschont blieben. Einer Generation, die Weltkriege und den Holocaust verursacht habe, wollte er nicht die Erziehung von Kindern anvertrauen. Nach Neills Willen sollten moderne Schulen die gesellschaftlichen Verhältnisse erneuern.