Immer häufiger organisieren Berliner Eltern selbst die Betreuung ihres Nachwuchses. 600 unabhängige Kinderläden gibt es in Berlin. Wie sie funktionieren und was sie bieten zeigt ein Beispiel aus Pankow.
Die fünfjährige Emma liebt den langen Flur in ihrem neuen Kinderladen. Die Rennstrecke in der Pankower Erdgeschosswohnung ist mit neuem Teppich ausgelegt. Die Wände sind weiß und kahl. Noch. Denn erst im April sind die Eltern mit ihren 15 Kindern in die Erdgeschosswohnung an der Rettigstraße eingezogen – 20 sollen es werden. Gerade einmal fünf Monate hat es gedauert, die Kita Pankower Stadtkinder selbst auf die Beine zu stellen. Rekordverdächtig!
So wie dort organisieren Berliner Eltern immer häufiger selbst um die Betreuung ihres Nachwuchses. Die Elterninitiativ-Kitas sind so etwas wie die Renaissance der alternativen Betreuungsgruppen, die in den 70er-Jahren vielfach in umgebauten Ladenwohnungen entstanden. War damals vor allem der Wunsch nach einer neuen antiautoritären Pädagogik ausschlaggebend, so stehen heute pragmatische Überlegungen im Vordergrund. „Die Eltern sind oft unzufrieden mit der bisherigen Kita, sie wollen meist einen kleineren Rahmen und mehr Mitsprachemöglichkeit“, sagt Roland Kern, Vorsitzender des Dachverbandes für Kinder- und Schülerläden (Daks). Berlinweit gibt es etwa 600 solcher Initiativen mit 12.000 Plätzen. Bisher lagen die Hochburgen in Schöneberg, Moabit und Kreuzberg. Jetzt kommen die innerstädtischen Ost-Bezirke Pankow, Friedrichshain und sowie der Alt-Bezirk Mitte hinzu.
Die Idee für die Pankower Stadtkinder wurde nach einer Elternversammlung in der ehemaligen Einrichtung, einer kleinen Kita in freier Trägerschaft, geboren. Damals traf sich ein Häufchen wütender Väter und Mütter in der Kneipe. So – da waren sie sich schnell einig – konnte es mit der Betreuung ihrer Kinder nicht weitergehen. „Ständig wechselten die Erzieher, die Kinder wurden teilweise von Praktikanten betreut, häufig waren sie den ganzen Tag in den geschlossenen Räumen, weil das Personal für Ausflüge zum Spielplatz fehlten“, erzählt Susanne Henze.
Sie habe einfach kein gutes Gefühl mehr gehabt, wenn sie morgens vor der Arbeit ihre fünfjährige Tochter Annbrit dort abgegeben hatte. Den meisten anderen Eltern ging es ähnlich – doch der kurzfristige Wechsel an eine andere Kita im Bezirk war praktisch unmöglich. Da Pankow bei Familien mit Kindern zunehmend beliebt ist, haben die Betreuungseinrichtungen dort lange Wartelisten. Also beschlossen die Eltern ihre eigene Kita zu eröffnen – so schnell wie möglich.
„Uns war es wichtig, dass die Einrichtung eine überschaubare Größe hat, dass die Kinder von zuverlässigen Erziehern betreut werden und regelmäßig an die frische Luft kommen“, sagt Karen Meyer. Die Mutter von Emma und dem zweijährigen Franz gehört mit zum Gründungsteam. Franz zeigt wie zur Bestätigung stolz seinen Stempel auf dem Arm. Den haben heute alle Kinder auf dem Ausflug in den Zoo bekommen.
Eigenleistung sollte gering sein
Lange Debatten über pädagogische Konzepte blieben bei den Eltern-Treffen aus. Über den sogenannten situationsbezogenen Ansatz war man sich einig. Das heißt, wenn die Kinder aus dem Zoo kommen, können sie auch mal länger mittags schlafen. Und wenn Emma dann keine Lust mehr auf Sport hat, kann sie sich auch in Ruhe ein Buch ansehen. „Die pädagogische Arbeit soll in den Händen der Erzieherinnen bleiben, die sind die Fachleute“, sagt die 38-Jährige.
Wie die anderen Eltern auch ist Karen Meyer voll berufstätig. Deshalb war von Anfang an klar, dass die Eigenleistung der Mütter und Väter möglichst gering ausfallen soll. Fürs Kochen und Putzen sollen professionelle Kräfte verantwortlich sein. Und trotzdem blieb noch mehr Arbeit an den Eltern hängen als zunächst angenommen, wie Susanne Henze bestätigt: „Mit diesem Aufwand hatten wir alle nicht gerechnet.“ Schon kurz nach dem ersten Kneipentreffen gab es eine Informationsveranstaltung beim Daks, wo die Eltern eine Checkliste erhielten, was bei der Gründung zu beachten ist. „Wir hatten nicht geahnt, wie viele Ämter beteiligt und vor allem wie lang die Bearbeitungsfristen sind“, sagt Susanne Henze.
Am einfachsten sei da noch der Antrag bei der Kita-Aufsicht. Die Behörde sei sehr kooperativ und hilfsbereit, bestätigt Meyer. Glück hatte die Initiative auch mit der Suche nach Räumlichkeiten. Normalerweise gibt es nach Angaben des Dachverbandes gerade an diesem Punkt größere Schwierigkeiten. Nicht so jedoch in Pankow, wo sich der Vermieter der Erdgeschosswohnung gegenüber der Elterninitiative ausgesprochen aufgeschlossen zeigte. „Warum auch nicht, schließlich wird die Miete für die Kitas regelmäßig im Rahmen der Kostenerstattung vom Land überwiesen“, sagt Susanne Henze. Ihr Vermieter sei sogar bereit gewesen, die nötigen Umbauarbeiten bei den Toiletten und Waschbecken zu übernehmen.
Probleme beim Bauantrag
Schwieriger sei es schon mit der Baubehörde gewesen. Allein bis es eine Eingangsbestätigung des Bauantrags gegeben habe, sei ein Monat vergangen. Bis dann der Antrag tatsächlich bearbeitet wurde, waren weitere Monate vergangen. „So lange lässt sich kein Vermieter hinhalten“, sagt Susanne Henze. Doch die Eltern der Stadtkinder blieben hartnäckig – und erreichten so in wenigen Wochen, was normalerweise ein halbes Jahr in Anspruch nimmt.
Eine weitere Hürde war das Finden der Erzieherinnen. Insgesamt drei sollten es sein. Eine davon ging mit den Eltern aus der alten Kita mit. Doch in Berlin sind Erzieherinnen schwer zu bekommen. Durch den Ausbau der Ganztagsschulen und durch das kostenfreie Kitajahr sind auf dem freien Arbeitsmarkt kaum noch Pädagogen frei verfügbar. „Wir mussten die Stellen zwei Mal ausschreiben, um genügend Bewerber zu haben“, sagt Meyer. Denn nicht jeder sei geeignet. Die Bedingungen für den „Kinderladen Stadtkinder“ waren mindestens zwei Jahre Berufserfahrung, Freude im Umgang mit den Kindern und Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Eltern. Doch gerade Letzteres sei nicht für jede Bewerberin selbstverständlich gewesen. Insgesamt 20 Vorstellungsgespräche mussten die Eltern führen, bis sie die Richtigen gefunden hatten.
Und nicht zu letzt steht und fällt das gesamt Projekt des Kinderladens mit den Finanzen. Die acht Familien der Stadtkinder steuerten jeweils eine Einlage von 1000 Euro bei. Eigentlich zu wenig, denn der Daks empfiehlt eine Summe von mindestens 12.000 Euro. „Wir hatten große Schwierigkeiten mit dem Geld hinzukommen“, sagt Susanne Henze. Nur durch eine Sachspende von ausrangierten kleinen Tischen und Stühlchen aus einem anderen Kinderladen konnten die Räume rechtzeitig zum Start eingerichtet werden.
Auch heute, einige Wochen nach dem Start, ist vieles ist in der Erdgeschosswohnung noch ein Provisorium. Bücher und Spielzeug kommen jetzt größtenteils aus den Familien. „Wir würden gern haltbares pädagogisch wertvolles Spielmaterial kaufen“, sagt Susanne Henze. Und auch eine Kuschelecke ist geplant. Doch dafür ist die Elterninitiative auf Sponsoren angewiesen – die bislang noch nicht gefunden sind. Und der Betrieb des Ladens ist nun mal kein Selbstläufer. „Auch wenn wir nicht putzen und kochen, bleibt mehr zu tun als wir gedacht hatten“, so Henze. Die Buchhaltung müsse geführt werden. Jeden Tag wird Obst für Frühstück und Vesper frisch von den Eltern gekauft. Regelmäßig müssen Toilettenpapier und Reinigungsmittel besorgt werden und dann muss sich noch jemand um die Verträge mit den neu dazukommenden Eltern kümmern. Pro Familie bedeutet das vier Stunden Arbeit pro Monat. Wer keine Zeit hat, kann die Stunden auch mit 40 Euro abgelten.
Emma findet es gut, wenn die Eltern so viel Zeit in der Kita verbringen. Beim Abholen wird oft noch lange geplant und geredet. Auch mit den Kindern gemeinsam. Zum Beispiel wenn es darum geht, die weißen Wände entlang des langen Flurs zu bemalen.