Rennen und Raufen. Toben und Tollen. In Deutschlands Städten fehlen Kindern oft die Räume oder Plätze dafür. Ohnehin viel zu laut, argumentiert eine Gesellschaft mit immer weniger Kindern und starken Ruhe-Bedürfnissen älterer Menschen. Doch Spielen ist wichtig für eine gesunde körperliche und persönliche Entwicklung, hält das Deutsche Kinderhilfswerk dagegen. Denn dabei werden motorische Fähigkeiten und wichtige soziale Kompetenzen erlernt. Zusammen mit anderen bundesweiten Trägern und Initiativen fördert es mit dem Bündnis "Recht auf Spiel" am heutigen Weltspieltag große Spielaktionen. Unter anderem am Alexanderplatz findet heute und morgen ein Kinderfest mit mehr als 50 Attraktionen zum Mitspielen und einer Kostümparade statt. Ein Teil der Amsterdamer Straße in Wedding wird heute zwischen 14 und 18 Uhr komplett für den Autoverkehr gesperrt. Dafür hat der Deutsche Kinderschutzbund Berlin zusammen mit dem Kinder- und Jugendbüro Mitte und dem Quartiersmanagement Pankstraße gesorgt. Denn dort soll am Weltspieltag getobt, gelärmt und gefeiert werden.
Verkehrsfreie Spielzonen sollte es viel mehr geben, findet die Berliner Pädagogin Dr. Heidemarie Arnhold. Am Beispiel von Spiel-Klassikern erklärt die Vorstandsvorsitzende des Arbeitskreises Neue Erziehung (ANE), warum Spiele so wichtig für die Entwicklung von Kindern sind.
Räuber & Gendarm
So geht's: Bei zwei gleich großen Gruppen bildet eine die der Räuber und versteckt sich. Die andere spielt die Gendarmen, kenntlich gemacht durch Armbinden. Die Gendarmen müssen die Räuber finden und abschlagen. Die gefangenen Räuber binden sich ebenfalls Armbinden um und spielen als Gendarmen weiter. Wer als letzter gefangen wird, ist Räuberhauptmann.
Die Expertin: Hier kann ich mich entscheiden: Bin ich lieber böse oder gut? Und dabei kann ich böse sein, ohne dies wirklich in der Realität leben zu müssen. Neben der Bewegung ist bei diesem Spiel wichtig, dass die Kinder lernen, sich durchzusetzen und zu diskutieren. Denn manchmal will sich ein Räuber ja nicht so einfach fangen lassen und beteuert, etwas sei unfair gelaufen.
Neckball
So geht's: Zwei Spieler stehen im Abstand von zehn bis 15 Metern voneinander entfernt und werfen sich gegenseitig einen Ball zu. Wer in der Mitte steht, muss versuchen, den Ball zu fangen. Wenn es ihm gelingt, muss derjenige, der zuletzt geworfen hat, als Fänger in die Mitte. Auch in einer Gruppe von mehreren kann man Neckball spielen. Dann stehen die Werfer in einem Kreis um den Fänger herum.
Die Expertin: Auf der einen Seite ist das Spiel eine gute Abwechslung für das Gehirn, denn der Verstand wird hierbei wenig angestrengt. Es geht rein ums Werfen. Trotzdem wird unter anderem das Moralverständnis trainiert. Denn den Ball so zu werfen, dass der andere ihn nicht fangen kann, ist ja eigentlich gemein. Im Spiel sind aber Dinge erlaubt, die in der Realität nicht erlaubt sind. Eine wichtige Erfahrung für Kinder, da man ja auch als Erwachsener nicht wirklich Feind sein muss, nur weil man mal nicht auf einer Seite steht.
Völkerball
So geht's: Zwei gleich große Gruppen (Völker) stehen sich in zwei gleich großen Feldern gegenüber. Hinter jedem der beiden Felder besteht ein kleines Außenfeld der gegnerischen Gruppe. Jede Gruppe schickt einen seiner Spieler in ihr Außenfeld. Die beiden Völker versuchen, sich gegenseitig mit dem Ball abzuwerfen. Wer getroffen wurde, muss in das Außenfeld, von wo aus man jedoch auch werfen darf, sodass jede Gruppe einem doppelseitigen Angriff ausgesetzt ist. In der Luft gehört der Ball beiden Völkern, auf dem Boden der jeweiligen Gruppe. Wer die Grenzen seines Feldes überschreitet, gilt als abgeworfen. Das Volk, welches das andere als erstes komplett abgeworfen hat, siegt.
Die Expertin: Bei Spielen wie dem Völkerball kann man auch Sachen lernen, die nicht so angenehm sind. Zum Beispiel Enttäuschung oder das Versagen. Etwa, wenn man nicht als erster in eine Gruppe gewählt wird oder eben keine gute sportliche Leistung erbringt. Aber diese Erfahrungen brauchen wir im Leben. Wir können nicht erst als Erwachsene zurückgewiesen werden oder negative Erfahrungen sammeln, damit kämen wir dann nicht klar. Darüber hinaus lernt man bei dem Spiel, bestimmte Regeln zu akzeptieren, sich in ein Team einzufügen und trainiert die Geschicklichkeit.
Gummitwist
So geht's: Zwei Spieler spannen sich ein Gummiband um alle vier Fußknöchel und stellen sich in einem Abstand von etwa eineinhalb Metern voneinander entfernt. Ein Dritter springt abwechselnd zwischen die rechteckig gespannten Gummistränge und darauf. Dabei darf er das Band nicht verrutschen oder verdrehen. Schafft er das, spannen die beiden äußeren Mitspieler das Band etwas höher um die Knie und dann um die Hüfte. Der Springer scheidet aus, wenn er es nicht mehr schafft, über das Band zu springen.
Die Expertin: Durch die verschiedenen Leistungsstufen lernen Kinder beim Gummitwist, dass man sportliche Leistung trainieren kann. Denn springen sie regelmäßig, schaffen sie das mit der Zeit vielleicht immer höher.
Boccia
So geht's: Man spielt auf einer möglichst ebenen Rasenfläche. Am Rand der Spielfläche ist eine Linie als Wurfmal gezeichnet. Die Boccia-Kugel wird nicht wie beim Kegeln gerollt, sondern von oben gepackt und aus dem Handgelenk geworfen. Es bilden sich zwei gleich große Gruppen, die eine spielt mit weißen, die andere mit schwarzen Kugeln. Ein Spieler wirft das Lecco (die Setzkugel). Eine Partei wirft eine Kugel, die andere wirft solange, bis ihre Kugel näher am Lecco ist, als die gegnerische. Dann spielt wieder die andere Partei. Sind alle Kugeln gespielt, bekommt jede Gruppe einen Punkt für jede Kugel, die näher am Lecco liegt als irgendeine Kugel der anderen Gruppe. Hat eine Gruppe die vorher verabredete Punktzahl erreicht (meist 20), ist das Spiel beendet.
Die Expertin: Boccia spielt man gerne in großen Gruppen oder der Familie. Einer der Lerneffekte ist der des Gerechtigkeitssinns. Denn zum Beispiel wenn ein kleines Geschwisterkind mitspielt, hat dieses gar nicht die Kraft so weit zu werfen, wie man selbst. Also teilt man die Gruppen so auf, dass sie gleich stark sind. Das ist wie bei Rennspielen, wenn man ausrechnet, wie viel Vorsprung jemand Kleineres oder ein Mädchen bekommt, damit die Vorraussetzungen fair sind.
Murmeln
So geht's: Es gibt zahlreiche Variationen des Murmelspiels. Eine ist: Die Spieler graben ein Loch in den Boden oder malen einen Kreis in ein Zimmer. Dann stellen sie sich etwa acht Schritte von dem Kreis entfernt. Jeder wirft von dort aus drei Kugeln hintereinander in Richtung des Kreises. Es beginnt, wer die meisten Kugeln im Kreis hat oder wer dem Loch am nächsten kam. Mit gekrümmtem Zeigefinger versucht der erste Spieler, nach und nach alle seiner Kugeln in den Kreis zu schnellen. Für jeden geglückten Versuch, darf er weiterspielen. Wenn der Versuch misslingt, in der andere dran. Wer als erstes alle seine Kugeln versenkt hat, gewinnt.
Die Expertin: Das Murmelspiel hat etwas mit Sammeln, Besitzen und Tauschen zu tun und ist somit wichtig unter anderem für das spätere Finanzverhalten. Hier lernt man also nicht nur, sein Potenzial gegenüber den anderen Spielern einzuschätzen. Wenn die Kinder zum Beispiel auch Murmeln unter einander tauschen, lernen sie, darüber nachzudenken, was sie bereit sind, einzusetzen, um dafür etwas Bestimmtes zurück zu bekommen.
Verstecken
So geht's: Ein oder mehrere Spieler versteckt beziehungsweise verstecken sich. Währenddessen muss mindestens ein Suchender seine Augen verschließen. Je nach Variation muss er dabei laut zählen (meist bis 20) und anschließend ankündigen, dass er sich schließlich auf die Suche nach den Versteckten begibt. Wer zuletzt gefunden wird, ist Sieger.
Die Expertin: Kinder lieben es, sich zu verstecken. Denn es ermöglicht ihnen, in eine ganz eigene Welt abzutauchen, in der sie so leben, wie sie es wollen und in der es ihre eigenen Gesetze gibt. Außerdem fördert das Versteckspiel das Körpergefühl. Denn man entdeckt, wie man sich fühlt, wenn man unsichtbar ist. Diejenigen, die suchen, trainieren ihr Ausdauervermögen und - sollten sie trotz aller Versuche einen der anderen nicht finden - auch mit Frustration umzugehen.
Rollenspiele
So geht's: Spiel mit Kindern, Puppen oder anderen Figuren.
Die Expertin: Rollenspiele sind sowohl für Mädchen als auch für Jungen wichtig, um Dinge aufzuarbeiten. Kinder spielen zum Beispiel familiäre Erlebnisse aber auch traumatische Erlebnisse wie etwa einen Unfall oder Krieg nach. Man sollte ihnen nie untersagen, auch negative Thematiken nachzuspielen. Denn Kinder spielen diese Themen solange nach, bis sie sie besser erfassen und verstehen können.