Strausberg. Regenwolken ziehen am Himmel über dem Neubaugebiet Hegermühle im Süden Strausbergs auf. Es ist früher Nachmittag. Vor einem Hauseingang ziehen zwei Frauen an ihren Zigaretten. „Ich stecke Ihnen mal was in den Briefkasten“, sagt Elske Hildebrandt und läuft lächelnd auf die beiden zu. „Ja machen Sie mal, aber ich geh eh nicht wählen“, antwortet die eine. Denn es ändere sich nichts, Merkel bleibe. „Nee, wenn wir den Arsch nicht hochbringen, ändert sich nichts“, gibt Hildebrandt freundlich in breitestem Berlinerisch zurück. Aber im Kleinen habe man Einfluss. „Sie müssen ja nicht mich wählen. Hauptsache Sie gehen hin.“ Im kurzen Gespräch kann die Kandidatin eine der beiden Politikverdrossenen überzeugen und ihr das Versprechen abringen, am 1. September die Stimme abzugeben. „Und meine Freundin nehme ich mit, ob die will oder nicht.“
Die Hegermühle ist ein typisches DDR-Plattenbauviertel. Zuletzt wurde es mit Landesmitteln aufgewertet, das trostlose Bild etwa mit Blumenbeeten aufgehübscht. Zwei neue Kitas gibt es. Trotzdem scheinen viele der 3200 Bewohner unzufrieden. Der Anteil von Sozialleistungsempfängern ist hoch. Die meisten Wahlplakate stammen von der AfD, gefolgt von denen der SPD, auf den Elske Hildebrandt lächelt. Erstmals will die 45-Jährige in den Potsdamer Landtag einziehen. Dazu tritt sie als Direktkandidatin im Wahlkreis Märkisch-Oderland II an, der neben Strausberg auch die Gemeinden Petershagen/Eggersdorf und Rüdersdorf umfasst.
Hildebrandt hat eigentlich Archäologie studiert, arbeitet aber mittlerweile als selbstständige Sprachberaterin für Kitas und entwickelt Fortbildungen für Erzieher. Gemeinsam mit ihrem Mann Thomas (47) und den Söhnen Frieder (16) und Heinrich (14) lebt sie in Woltersdorf. Dort betreibt sie auch einen Plattenladen. Sie wolle keine Berufspolitikerin werden und strebe keine politische Karriere an. Sie sehe sich als Bürgerin, die sich gegen Spaltung und Tendenzen nach rechts engagieren muss. „Ich habe das Gefühl, dass die Gesellschaft im Ostenauseinanderdriftet“, sagt sie und schaut besorgt. Deshalb sei sie der Bitte der SPD-Ortsverbände nachgekommen. Denn auch wenn es manchmal anstrengend sei, falle es ihr schwer, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Eine Haltung, die auch familiär bedingt sei: „Nicht kneifen, sondern sich zur Verfügung zu stellen, sein Gesicht an die Laternen zu hängen und klare Worte zu finden.“
Klare Worte: Dafür war auch ihre Mutter bekannt, geschätzt und bei einigen berüchtigt. Elske Hildebrandt ist die jüngste Tochter der legendären Brandenburger Sozialministerin Regine Hildebrandt (1941-2001). Ihre offene, direkte und oft undiplomatische Art machte die SPD-Politikerin in der Nachwendezeit weit über die Landesgrenzen hinaus populär. In die Fußstapfen ihrer Mutter wolle sie zwar nicht treten, sagt Hildebrandt. Dass der Name im Wahlkampf nützt, gibt sie offen zu.
Gerechtigkeitsgefühl und Kampfgeist von der Mutter
„Wenn es im Gespräch auf meine Mutter kommt, hat man einen gemeinsamen Nenner.“ Oft hieße es dann: „Die hat es noch auf den Punkt gebracht.“ So könne sie leicht mit potenziellen Nicht- oder AfD-Wählern in den Dialog treten. Was sie von ihrer Mutter sonst geerbt hat? „Genetisch betrachtet 50 Prozent“, antwortet Hildebrandt und lacht. Außerdem seien da ein starkes Gerechtigkeitsgefühl, Kampfgeist, Pragmatismus, das Interesse an Menschen und die Fähigkeit, auf sie zuzugehen. Im Wahlkampf ist Letztes unabdingbar.
Etwas später am Nachmittag steht eine knallrote Simson Duo auf dem Bahnhofsvorplatz in Petershagen/Eggersdorf. „Elske direkt“ ist in weißen Lettern darauf geschrieben. Am Fahrzeug lehnen Wahlplakate und ein Schirm mit SPD-Logo ist mit Kabelbindern daran befestigt. Alle 20 Minuten hält ein Zug der S-Bahnlinie 5 aus Berlin. Jedes Mal steigen rund 30 Berufspendler auf dem Weg nach Hause aus. Hildebrandt und vier junge Parteimitglieder erwarten sie, versuchen Flyer und Wahlprogramme loszuwerden. Einige greifen stumm zu, andere würdigen die Wahlkämpfer keines Blickes. „SPD? Nee!“, wird hier und da geraunt. Aber es gibt auch freundliche Töne. „Mensch, hallo Elske“, sagt ein älterer Mann und winkt im Vorbeigehen. Nur vereinzelt gelingt es, die Passanten in kurze Gespräche zu verwickeln. „Sie ist authentisch, bodenständig – und ich habe ihre Mutter sehr für ihre Gradlinigkeit geschätzt“, sagt Jutta Weicher. Ob sie ihr Kreuz bei der SPD macht, wisse sie aber noch nicht, so die 68-Jährige weiter. „Es braucht ehrliche Leute, die sich engagieren“, meint Bärbel Plötz. Sie stehe zwar eher den Linken nahe. Allerdings sei die Person wichtiger als die Partei, so die 69-Jährige.
Keine Chance über dieSPD-Landesliste einzuziehen
Für Hildebrandt ist das Direktmandat die einzige Möglichkeit, in den Landtag einzuziehen. Denn auf der Landesliste ihrer Partei steht sie nur auf Platz 36. „Das ist für mich aber psychologisch sehr gut, weil ich es auch nur machen will, wenn ich von den Leuten gewählt werde.“ Erst dann fühle sie sich auch wirklich berechtigt, im Parlament den Mund aufzumachen. Über die Liste der SPD einzuziehen „wäre auch nicht so ganz angenehm“. Zwar habe sie sich der Partei immer verbunden gefühlt, schätze die Grundwerte, allen voran die Solidarität. Mit vielen Dingen wie Hartz IV oder der Waffenexportpolitik sei sie jedoch nicht einverstanden. Eingetreten ist sie erst vor zwei Jahren – nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Denn in Europa gebe es ähnliche Muster. „Man muss die Säulen der parlamentarischen Demokratie stabilisieren und das sind die Parteien.“ Seit Mai sitzt in die Gemeindevertretung von Woltersdorf.
„Zur Zeit ist das ganz schön anstrengend: Arbeit, Wahlkampf, manchmal im Dunkeln noch Plakate aufhängen“, sagt Hildebrandt. Für die Familie, die sie als „Zelle des Gemeinschaftssinns“ definiert, bleibe da wenig Zeit. Sollte es also am 1. September nicht klappen, freue sie sich, ihr altes Leben zurück zu bekommen. „Wenn doch, bin ich total bereit, mich da einzuarbeiten und die nächsten fünf Jahre einzubringen.“
Vor allem im Bildungs- und Sozialbereich wolle sie arbeiten. „Ich hoffe aber, dass ich mich zum größten Teil draußen in der Region mit Leuten auszutauschen kann, denn das treibt mich an.“ Ostdeutsche müssten mehr reden – vor allem über die Nachwendezeit, in der viele traumatische Erfahrungen gemacht hätten. Die Unzufriedenheit sei eine Spätfolge. Themen, die die ganze Zeit besprochen werden müssten. „Wenn das immer nur im Wahlkampf passiert, ist das blöd“, sagt sie fast trotzig.