Brandenburg

Der wundersame Aufstieg von Hobrechtsfelde

| Lesedauer: 6 Minuten
Katrin STarke
Ulf Heitmann, Vorstand der Genossenschaft, vor einem der sanierten Häuser von Hobrechtsfelde.

Ulf Heitmann, Vorstand der Genossenschaft, vor einem der sanierten Häuser von Hobrechtsfelde.

Foto: Katrin Starke

Das Dorf in Brandenburg lag nach 1990 lange Zeit brach. Inzwischen sind fast alle Gebäude der Gemeinde saniert.

Hobrechtsfelde. An die rauschenden Feste im Gemeinschaftshaus im Zentrum des kleinen Straßendorfes Hobrechtsfelde erinnern sich einige der Einwohner noch heute. Zumindest die Älteren unter ihnen. Denn mittlerweile sind seit der letzten Party dort Jahrzehnte vergangen: Zu Silvester 1990 ging es in dem großen Saal, der 1913 als Anbau an das Gemeinschaftshaus gesetzt wurde, zum letzten Mal hoch her. Danach verfielen Gemeinschaftshaus und Saal zusehends. 2010 wurde das Dach notdürftig mit Holz und Plastikplanen abgedichtet, damit es nicht mehr durchregnete.

Jetzt wird das Gebäude endlich saniert – als eines der letzten in dem zur Gemeinde Panketal (Landkreis Barnim) gehörenden Ort, nur gut einen Kilometer nordöstlich der Berliner Stadtgrenze. Fast zwei Dutzend Wohnhäuser hat die Wohnungsbaugenossenschaft „Bremer Höhe“ mit viel Liebe zum historischen Detail saniert, seit sie die Häuser des unter Ensembledenkmalschutz stehenden Dorfes 2010 übernahm.

Der Ort wurde bis 1990 als Volkseigenes Gut geführt

Ulf Heitmann, Vorstand der Genossenschaft, macht einen zufriedenen Eindruck, während er gemütlich über das Kopfsteinpflaster der Dorfstraße radelt. „Hat sich richtig viel getan hier in den vergangenen Jahren“, sagt der 57-Jährige und deutet auf eines der frisch sanierten Häuser: Das Dach ist neu gedeckt mit hellroten Ziegeln, die hölzernen Fensterläden und die Wohnungstür sind in strahlendem Blau gestrichen, die eierschalenfarbene Fassade wirkt hell und freundlich. 21 Häuser hat die „Bremer Höhe“ unterdessen saniert, optisch und energetisch. Wie heruntergekommen sie vorher aussahen, können sich Besucher noch gut vorstellen. Denn drei Häuser harren bislang noch ihrer „Frischzellenkur“, bilden einen deutlichen Kontrast zu den aufgehübschten Einstöckern.

Hobrechtsfelde im Dornröschenschlaf

Anders als viele andere Örtchen im Berliner Umland, in denen schon kurz nach der Wende eine rege Bautätigkeit begann und die sich nach und nach herausputzten und immer mehr Bewohner anzogen, lag Hobrechtsfelde lange im Dornröschenschlaf. „Das hängt mit der Geschichte des Ortes zusammen“, erklärt Ulf Heitmann. Das Dorf entstand Anfang des 20. Jahrhunderts als letzte Landarbeitersiedlung eines Berliner Stadtgutes und unter stilistischem Einfluss der Gartenstadtbewegung. „Bis 1990 wurde Hobrechtsfelde als Volkseigenes Gut geführt“, weiß Heitmann, „für Tierhaltung und Tierzucht.“ Doch mit dem Fall der Mauer verschwand diese Funktion.

Die Wirtschaftsgebäude wurden bis auf eine Scheune und den Getreidespeicher abgerissen. Die Konsum-Verkaufsstelle schloss, das Lehrlings- und Arbeiterwohnheim wurde leergezogen. „Nur die Wohngebäude blieben – und die Menschen, die darin lebten.“

Kauf im gemeinschaftlichen Modell

Zunächst wurde die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gesobau Eigentümerin der Häuser. Weil die Siedlung aber nicht zum Portfolio der Gesellschaft passte, wollte sie das Dorf wieder loswerden. Als davon die Bewohner Wind bekamen, stand für rund 30 „Hobriden“ schnell fest, dass sie die Häuser und Grundstücke selbst kaufen wollten – in einem gemeinschaftlichen Modell.

Ulf Heitmann erinnert sich noch gut an den Anruf des mittlerweile verstorbenen Hobrechtsfelders Michael Trappiel. „Der fragte: ,Ihr habt doch eine Genossenschaft gegründet. Wir wollen das auch. Wie macht man das?‘“ Nicht von ungefähr waren die Hobrechtsfelder auf die „Bremer Höhe“ gestoßen, hatte die doch bereits reichlich Erfahrungen gesammelt, seit sie im Jahr 2000 eine Wohnanlage in Prenzlauer Berg von der damaligen städtischen Wohnungsbaugesellschaft WIP übernommen hatte.

Weil ihnen das nötige Eigenkapital fehlte, mussten die „Hobriden“ die Idee einer eigenen Genossenschaft aber zu den Akten legen. 2010 wurde stattdessen die „Bremer Höhe“ Eigentümerin der Hobrechtsfelder Dorfstraße 1 bis 50, für 900.000 Euro. Mittlerweile hat die Genossenschaft rund neun Millionen Euro in die Sanierung der Gebäude gesteckt, Strom und Wärme werden in Blockheizkraftwerken vor Ort erzeugt.

Lebendige Dorfgemeinschaft wichtig

Auch ein Neubau ist entstanden: Wo sich einst eine Unterkunft für Saisonarbeiter befand, die 2010 abbrannte, errichtete die Genossenschaft ein Mehrfamilienhaus. „Mit KfW-70-Energiestandard“, sagt Heitmann. „Das ist ein richtiges Mehrgenerationenhaus geworden“, fügt er hinzu. Was ihn sehr freut. Denn eine lebendige Dorfgemeinschaft ist ihm wichtig. Weitere drei Neubauten entstehen am einstigen Gemeinschaftshaus. Ein bunter Mix an Bewohnern wird nach der Fertigstellung im nächsten Jahr auch dort einziehen: Singles ebenso wie Paare, Senioren ebenso wie junge Leute.

„20 Wohnungen werden insgesamt entstehen“, sagt Heitmann, „die größte davon mit 200 Quadratmetern für eine Wohngemeinschaft.“ Insgesamt sollen 60 Menschen in dem Ensemble ein neues Zuhause finden. „Als wir hier an den Start gegangen sind, hatte Hobrechtsfelde 150 Bewohner“, erzählt Heitmann, „damals lebte hier ein Kind, heute sind es schon 30.“ Mittlerweile nähert sich die Einwohnerzahl der 200er-Marke, Leerstand gibt es nicht.

Im Gegenteil: „Der angespannte Berliner Wohnungsmarkt hat uns in die Hände gespielt“, sagt Heitmann. Wenn alles fertig ist, sollen 250 bis 300 Menschen in Hobrechtsfelde leben – bei Kaltmieten zwischen fünf und sieben Euro pro Quadratmeter in den sanierten Wohnungen und 9,50 Euro in den Neubauten. Heitmann ist überzeugt: „Wir haben hier alles richtig gemacht.“ Immerhin ist die „Bremer Höhe“ im vorigen Jahr mit dem von Frank-Walter Steinmeier 2015 ins Leben gerufenen Brandenburger Freiheitspreis ausgezeichnet worden – für ihr vorbildliches Engagement „im Spannungsfeld von wirtschaftlicher Freiheit, Gewinnorientierung und sozialer Verantwortung“.