Brandenburg/Havel. Die Überlastung der Brandenburger Gerichte wird auch für die Anwaltschaft im Land zunehmend zu einem Problem. „Ich würde gerne meinem verfassungsmäßigen Auftrag als Rechtsanwalt und damit selbstständigem Organ der Rechtspflege nachkommen, aber Verfahrenslaufzeiten von mehreren Jahren erschweren die Arbeit zunehmend“, sagte der Vorstandsvorsitzende des Versorgungswerkes der Rechtsanwälte in Brandenburg, Jens Frick. Nirgendwo dauere ein Verfahren vor dem Zivil-, Straf-, Sozial- oder Verwaltungsgericht so lange wie in Brandenburg.
So hätten sich bei den Verwaltungsgerichten die Laufzeiten der Verfahren von früher eineinhalb bis drei Jahren insbesondere durch die Asylverfahren inzwischen auf dreieinhalb bis fünf Jahre erhöht. Dasselbe gelte für die Sozialgerichte, die häufig wegen fehlerhafter Bescheide der Jobcenter mit Hartz-IV-Klagen überlastet seien. Frei werdende Stellen würden an den Gerichten lange nicht besetzt, und Ersatz für Langzeiterkrankte gebe es nicht, klagte Frick. „Als Folge werden auch Mitarbeiter krank, die die Mehrarbeit schultern müssen.“
Die Folge sei: „Viele Bürger glauben inzwischen nicht mehr, dass ihnen in einem Rechtsstreit geholfen wird“, sagte der Anwalt. Zumindest erlebt Frick schon jetzt, dass ihm Mandanten, die säumige Kunden haben, sagten: „Wenn ich den juristisch korrekten Weg gehe und den Schuldner verklage, dauert das Verfahren mindestens fünf Jahre, und bis dahin hat der sowieso kein Geld mehr“, schilderte Frick. „Die sagen: Da bezahl ich doch lieber drei Leute aus Russland. Die arbeiten schneller und Erfolg versprechender.“ Und was fast noch schlimmer sei, so Frick: „Die Wahrscheinlichkeit – etwa für einen Betrüger – aufzufliegen ist angesichts der überlasteten Gerichte einigermaßen gering.“
Ein Anwalt klagte 12.000 Mal vor dem Sozialgericht
Diese Erfahrung kann auch der Vorsitzende Richter des Anwaltsgerichtes bei der Brandenburger Rechtsanwaltskammer, Thomas Jürgens, bezogen auf den eigenen Berufsstand bestätigen. „Die Unterbesetzung der Gerichte führt dazu, dass die Beschäftigung mit schwarzen Schafen in unserem Berufsstand an der Rechtsanwaltskammer und dem Anwaltsgericht hängen bleibt“, klagte Jürgens.
Als Beispiel nannte er einen Rechtsanwalt aus Calau, gegen den das Anwaltsgericht im Dezember 2017 ein Berufsverbot verhängt hatte. Der Anwalt hatte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme das Sozialgericht Cottbus in drei Jahren mit mehr als 12.000 Klagen ohne jegliche Begründung etwa gegen Hartz-IV-Bescheide überzogen. Die vorausgegangenen Widersprüche seien vom Büro des Anwalts großteils in einem Verfahren mit vorgefertigten Stempeln ebenfalls ohne Begründung eingereicht worden. Zudem hatte er die Richter laut dem Beschluss des Anwaltsgerichtes mehrfach übel beleidigt. Die Entscheidungen des Anwaltsgerichtes seien wegen eines Formfehlers allerdings in der nächsten Instanz aufgehoben worden.
Dabei hat die Staatsanwaltschaft Cottbus gegen ebenjenen Rechtsanwalt seit 2013 mehr als 40 Anklagen wegen Betrugs, Urkundenfälschung, Beleidigung und anderer Delikte erhoben. Das Landgericht Cottbus hat allerdings noch kein Verfahren angesetzt.
Dies bestätigte auch der Sprecher des Cottbuser Landgerichtes, Frank Merker. Die zuständige II. Strafkammer müsse als Wirtschaftskammer langwierige Verfahren führen und zudem auch Prozesse um Betrug und Raub übernehmen, sagte Merker. „Darunter sind häufig Angeklagte, die in Haft sitzen. Diese Verfahren müssen vorrangig behandelt werden, bevor die Angeklagten wegen überlanger Verfahrensdauer wieder aus der Haft entlassen werden müssen“, sagte der Sprecher. Daher hätte gegen den Rechtsanwalt noch kein Prozess angesetzt werden können.
Am Landgericht habe vor gut einem Jahr eine Zivilkammer geschlossen werden müssen, weil der Vorsitzende Richter in Ruhestand gegangen und nicht ersetzt worden sei, begründete Merker die überlange Verfahrensdauer. Die übrigen Zivilkammern hätten deren Fälle übernehmen müssen. „So gibt es dort auch keine Kapazitäten, Richter für andere Verfahren abzuordnen“, sagte Merker.
Betrügerische Tätigkeiten wie die beschriebene kosteten den Staat viel Geld, rechnete Frick vor. „Der Rechtsanwalt aus Calau hat seine sozialrechtliche Tätigkeit vermutlich auf Basis von Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe abgerechnet“, so Frick. „Beide Leistungen zahlt der Staat, also das Land Brandenburg.“ Pro Fall seien dies im Durchschnitt 250 Euro, schätzte er. Damit hätte der Anwalt bei 12.000 Fällen rund drei Millionen Euro eingenommen. „Hätte das Landgericht Cottbus schneller reagiert, hätte das Land Brandenburg vielleicht viel Geld gespart.“
So bleibe die Aufgabe, einem solchen Rechtsanwalt seine Zulassung zu entziehen, weiter am Anwaltsgericht hängen, sagte Jürgens. Und so lange könne der Jurist ungehindert weiter arbeiten. Ein weiteres Verfahren gegen ihn sei zwar bereits eröffnet worden, hatte sich jedoch zunächst immer wieder wegen Befangenheitsanträgen verzögert. Zudem habe der Anwalt seinen Sitz mittlerweile nach Mecklenburg-Vorpommern verlegt.