Berliner Speckgürtel

Boomtown Bernau - eine Kleinstadt kommt groß heraus

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Jens Anker
Das Steintor in Bernau

Das Steintor in Bernau

Foto: picture-alliance/ ZB / dpa-Zentralbild

Die Stadt im Norden von Berlin wächst rasant. Der Bürgermeister sieht den Zuzug als Chance. Ein Besuch vor Ort.

Bernau.  Wer eine Vorstellung vom Wachstum im Speckgürtel bekommen will, sollte sich mit der S-Bahn auf den Weg nach Bernau machen. Lange stand die Nebenstelle des alten Heeresbekleidungshauptamtes leer, jetzt entstehen hier 640 Wohnungen. Vorn am Gebäudekomplex sind sie schon so gut wie bezugsfertig, hinten erinnert das Haus noch eher an einen Rohbau. Mit 1,3 Kilometer Länge ist der Gebäudekomplex nach dem Flughafen Tempelhof in Berlin eines der größten zusammenhängenden Bauwerke im Osten Deutschland.

Die Anlage liegt idyllisch im Grünen, gleich nebenan entsteht ein neuer riesiger Stadtpark auf 19 Hektar Fläche, der S-Bahnhof Bernau ist nicht weit. Ein Park&Ride-Platz neben dem S-Bahnhof ist in Planung, ein Bus soll zusätzlich dorthin fahren. „Jedes Jahr ziehen 400 Menschen nach Bernau, die meisten aus Berlin“, sagt Bürgermeister André Stahl (Linke). Die Stadt wächst, und der Bürgermeister sieht den Zuzug als Chance. Während sich andere Städte und Gemeinden im Umland vom Moloch Berlin abgrenzen wollen, setzt Bernau gerade auf die Nähe zur Metropole. „Bernau bei Berlin“ steht auf den Ortseingangsschildern.

Wenn es darum geht, die Vorteile seiner Stadt deutlich zu machen, dann redet sich Bürgermeister Stahl regelrecht in Wallung. „Es gibt drei Argumente für Bernau: die Lage, die Lage und die Lage“, sagt er. Bernau sei als Stadt wahrnehmbar. Eine schöne alte Stadtmauer umschließt den Kern fast vollständig. Anders als umliegende Gemeinden, wie Zepernick oder Panketal, verfügt Bernau über ein intaktes Stadtzentrum. „Viele, die in der Vergangenheit nach Berlin gezogen sind, kommen ja aus der Provinz“, sagt Stahl. „Für die verliert die Großstadt ihren Reiz, wenn sie eine Familie gründen.“ Zwar ist die Berliner Innenstadt mit der S-Bahn nur eine gute halbe Stunde entfernt. „Aber durch den Internethandel muss man ja nicht mehr zum Einkaufen an den Kudamm fahren“, wirbt Stahl weiter. Er selbst ist dabei quasi mit gutem Beispiel vorangegangen. Seine Ehefrau stammt aus Berlin.

Der Bau von 2500 städtischen Wohnungen ist geplant

„Bislang wurde Brandenburg vor allem als Ziel für den Bau von Einfamilienhäusern betrachtet“, sagt der Bürgermeister bei einer Fahrt durch die Stadt. „Mittlerweile ist das Land aber auch als Mietwohnungsmarkt spannend.“ Deswegen setzt Bernau an vielen Stellen auf Geschossbau statt auf Ein- oder Zweifamilienhäuser. Der Bau von 2500 städtischen Wohnungen bis 2020 ist in Planung, dazu kommen 1200 Genossenschaftswohnungen. Die Zahl könnte sich noch verändern, nämlich dann, wenn der Investor der Nebenstelle der ehemaligen Kleiderkammer auch das Hauptgebäude übernimmt. Der Komplex liegt am Ortseingang Bernaus. Dort ist Platz für weitere 2500 Wohnungen.

Bürgermeister Stahl verweist bei der Rundfahrt aber auch auf die Infrastruktur. 100 Millionen Euro werden aktuell in das Gebiet rund um das Krankenhaus investiert. Für 26 Millionen Euro wird das Klinikum selbst saniert und 75 neue Betten eingerichtet. Das Krankenhaus verfügt bereits über ein Zentrum zur Epilepsieforschung. In der Nähe werden zudem eine evangelische und eine staatliche Grundschule neu gebaut sowie eine zweizügige Oberschule und ein Jugendzentrum errichtet.

Auch das sei ein Grund, aus Berlin in den Norden zu ziehen, sagt Stahl. Während im Umland lauter neue Kitas und Schulen entstehen, plage sich Berlin mit baufälligen Altbauten herum. „Auch das spielt für junge Familien bei der Wohnortwahl eine Rolle“, sagt Stahl. Neben dieser Gruppe zielt der Bürgermeister auch auf ältere Menschen ab, die aus anderen Teilen Deutschlands im Alter näher bei ihren Kindern in Berlin leben möchten. Gerade erst hat Stahl den 40.000. Einwohner begrüßt. Der 58 Jahre alte Jost Heyne zog im Sommer aus Pankow nach Bernau. Die Stadt sei ihm seit Jahren vertraut, deswegen fühle er sich bereits wie zu Hause, sagt der Neu-Bernauer.

Bernau wächst seit dem Fall der Mauer stetig. Bei der Kommunalreform Anfang der 2000er-Jahre kamen vier Nachbargemeinden hinzu, sodass die Einwohnerzahl zunächst auf 35.000 stieg. Der Zuzug ist kontinuierlich, findet aber in Wellen statt – zwischen 2006 und 2012 betrug das Plus insgesamt nur rund 1000 Einwohner. Seitdem zieht das Wachstum wieder an.

Inzwischen hat die Gruppe den Hungerturm am Steintor erreicht. Stahl blickt zufrieden über die Dächer und zeigt auf eine weitere Baustelle: Auch ein neues Rathaus bekommt die Stadt. Stahls Vorgänger hat den Plan entwerfen lassen, er setzt ihn um. Künftig sollen die verschiedenen Verwaltungsteile in einem Gebäude vereint arbeiten.

Mit dem Wachstum Bernaus allein will sich der agile Bürgermeister aber nicht zufriedengeben. In der Ferne ist die alte Bundesschule zu erkennen. Im vergangenen Jahr wurde sie zum Weltkulturerbe ernannt. Sie wurde von Hannes Meyer und Hans Wittwer konzipiert, 1930 fertiggestellt und gehört zur berühmten Bauhausarchitektur. Künftig will Stahl die Ströme der Architekturtouristen von Berlin nach Bernau umleiten. Das sei doch viel einfacher, als umständlich nach Dessau zu reisen, sagt Stahl. Um die Attraktivität zu steigern, ist hier ein Besucherzentrum geplant, das sich mit der Geschichte und der Bedeutung des Bernauer Weltkulturerbes beschäftigen soll. Die Ernennung zum Weltkulturerbe kam im vergangenen Jahr gerade recht, um bei den Planungen für das 100-jährige Bauhaus-Jubiläum im kommenden Jahr dabei zu sein. Bürgermeister Stahl stellt am kommenden Freitag das Programm für die Feierlichkeiten vor. Es läuft für Bernau, keine Frage.