Potsdamer Verkehrsbetriebe

Test mit autonom fahrender Straßenbahn in Potsdam startet

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Thomas Fülling
The world's first autonomous tram Combino is presented by Siemens Mobility during a media presentation in Potsdam, Germany, September 17, 2018. REUTERS/Fabrizio Bensch

The world's first autonomous tram Combino is presented by Siemens Mobility during a media presentation in Potsdam, Germany, September 17, 2018. REUTERS/Fabrizio Bensch

Foto: FABRIZIO BENSCH / REUTERS

Siemens teste eine Tram mit Laseraugen, die erste autonom fahrende Straßenbahn der Welt. Noch fährt aber ein Fahrer mit.

Potsdam.  So mancher Potsdamer wird sich in den letzten Wochen gefragt haben, was das für eine seltsame Straßenbahn ist, die da durch die Stadt fährt. Die Tram im Grün-Weiß des heimischen Verkehrsbetriebs bimmelt wie eine normale Bahn, hält auch an jeder Haltestelle, nur die Türen bleiben zu: Ein- oder Aussteigen nicht möglich.

Am Montag wurde das Geheimnis gelüftet

In Potsdam wird die laut Hersteller Siemens „erste autonom fahrende Straßenbahn der Welt“ erprobt. Am Montag wurde das Projekt erstmals einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt. Anlass ist die Bahntechnikmesse Innotrans 2018, die am heutigen Dienstag in Berlin auf dem Messegelände am Funkturm eröffnet wird.

Der Potsdamer Verkehrsbetrieb ViP stellte für das Projekt eine seiner 54 Bahnen zur Verfügung. Teststrecke ist ein sechs Kilometer langer Streckenabschnitt, über den ganz regulär Trams der Linien 92 und 96 fahren. „Wir sind stolz, dass die weltweit erste autonom fahrende Straßenbahn gerade hier in Potsdam getestet wird“, sagte Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) vor dem Start einer gemeinsamen Probefahrt. Der öffentliche Nahverkehr spiele in der Stadt eine große Rolle, da liege es nahe, die neue Technik hier in der Stadt auszuprobieren. Er hoffe, dass von Potsdam ein großer Innovationsschub ausgehen werde.

Straßenbahn mit viel Hightech

Der Testzug ist keine komplett neu entwickelte Tram, sondern eine Straßenbahn vom Siemens-Typ Combino, die bereits seit 1996 – also seit mehr als 20 Jahren – in der Stadt unterwegs ist. Für den Test wurde die Bahn, die den Namen der Partnerstadt Perugia trägt, jedoch mit viel Hightech ausgerüstet, darunter allein neun Kameras und drei Radar- und Laser-Systeme. Sie sind faktisch die „Augen“ der Bahn, mit der sie Signale, Haltestellen und Weichen, aber auch Menschen und Autos, die ihr möglicherweise im Wege stehen, erkennen kann. Vergleichbar ist die Technik mit den Assistenzsystemen, die heute bereits in vielen modernen Autos eingebaut werden.

Allerdings: Unterwegs ist „Perugia“ in Potsdam nie ganz allein. In der Fahrerkabine sitzt weiterhin ein versierter Fahrer, der jederzeit in das Geschehen eingreifen und eine Notbremsung vornehmen könne. Zwar könne die Bahn eigentlich ohne jedes menschliche Zutun fahren, doch im realen Straßenverkehr sei dies aufgrund der geltenden gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht möglich, so einer der Siemens-Ingenieure. Auch die Mitnahme von Fahrgästen sei aus diesen Gründen bislang noch nicht zulässig.

Sichere Notbremsung vor Kinderwagen auf dem Gleis

Grundsätzlich gelten Bahnen aufgrund ihrer Bewegung auf fest montierten Schienenwegen als geradezu prädestiniert für das Fahren ohne Fahrer. Bislang fokussierte sich die Entwicklung aber vor allem auf U-Bahn- und Metro-Systeme sowie Bahnen, die als Zubringer etwa an Flughäfen eingesetzt werden. So gibt es bereits seit Längerem U-Bahnlinien in Paris, Kopenhagen oder Nürnberg, die fahrerlos betrieben werden. Autonomer Straßenbahnbetrieb gilt hingegen als Neuland. Der Bereich war bisher außen vor, weil die Trambahnen oft im ganz normalen Straßenverkehr fahren müssen. Und der ist oft nicht berechenbar.

Wie weit die Entwicklung auf diesen Gebiet aber schon ist, machte die Testfahrt der „Combino“-Bahn am Montag deutlich. Die stoppte bei ihrer Fahrt auf der Teststrecke vom ViP-Betriebshof an der Fritz-Zubeil-Straße bis zur Wendeschleife an der Gaußstraße nicht nur zentimetergenau an allen Signalen und Haltestellen, sondern auch vor einem Kinderwagen (ohne Kind darin), den eine Siemens-Mitarbeiterin auf die Gleise geschoben hat. „Die Bahn kann rund 100 Meter weit vorausschauen, ihr Bremsweg beträgt maximal 80 Meter – da ist genügend Puffer, um auf Hindernisse zu reagieren“, sagte einer der Ingenieure. Kurz darauf die nächste Vollbremsung. EinAutofahrer hatte, obwohl die Ampel ihm Rot zeigte, schnell noch die Gleise überquert.

Dass schon in ein paar Jahren alle Trams ohne Fahrer fahren, müssen die Potsdamer nicht befürchten. „Bis dahin dürfte es insbesondere wegen der Rahmenbedingungen noch ein langer Weg sein“, sagte Christoph Klaes, Leiter des Siemens-Straßenbahngeschäfts. Für Oliver Glaser, Technik-Geschäftsführer des Potsdamer Verkehrsbetriebs, bringt der Test dennoch wichtige Erkenntnisse. „Zum einen planen wir die Beschaffung von bis zu 20 neuen Bahnen. Da wollen wir sehen, welche Assistenzsysteme das Fahren sicherer machen können.“ Zum anderen gebe es auf dem ViP-Betriebsgelände viel Rangierverkehr. Der, so Glaser, könnte in Zukunft zumindest teilweise automatisiert abgewickelt werden.

Innotrans-Messe

Am heutigen Dienstag startet in Berlin die Innotrans 2018. Die Schau gilt als weltweit wichtigste Fachmesse der Schienenfahrzeug-Branche. Zunehmend werden aber auch Lösungen für alle Bereiche der Mobilität vorgestellt.

Auf dem Messegelände am Funkturm präsentieren sich 3062 Aussteller aus 61 Ländern – ein neuer Rekord. Zu sehen sind laut Messe-Chef Christian Göke mehr als 400 Innovationen, darunter 146 Weltneuheiten wie die neue S-Bahn für Berlin. Bis Freitag ist die Messe dem Fachpublikum vorbehalten. Sonnabend und Sonntag ist das Freigelände für alle geöffnet (10 bis 18 Uhr, Eintritt 3 Euro, Kinder bis 14 Jahre frei).