Großfeuer

Brandenburg im Ausnahmezustand: Wenn die Wälder brennen

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Jens Anker und Alexander Dinger
Der Waldbrand bei Klausdorf erleuchtet in der Nacht den Himmel und war kilometerweit zu sehen

Der Waldbrand bei Klausdorf erleuchtet in der Nacht den Himmel und war kilometerweit zu sehen

Foto: Patrick Pleul / dpa

Drei Ortsteile von Treuenbrietzen mussten wegen des Waldbrandes rund 50 Kilometer südwestlich von Berlin geräumt werden.

Treuenbrietzen.  Nein, so etwas hat Uwe Nöthe noch nicht gesehen. „Es flimmerten rote Schatten in den Baumkronen“, sagt der 63-Jährige. Er habe das Gefühl gehabt, dass nur noch ein Windstoß fehlte, bis die Flammen auf sein Grundstück und das Haus übergreifen werden. „Ich hatte wirklich Angst“, sagt Nöthe, der selbst jahrelang bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv war. Dann musste er zusammen mit seiner Frau auch schon die Taschen packen. Um 20.30 Uhr war am Donnerstag die Durchsage der Feuerwehr erfolgt, dass die 340 Bewohner in Fronsdorf noch eine halbe Stunde Zeit hätten, ihre Häuser zu verlassen. Nöthes kamen bei Freunden unter. Lust zum Feiern hatten sie an diesem Abend natürlich nicht. Das Ehepaar beging an diesem Tag seinen 38. Hochzeitstag.

Insgesamt drei Ortsteile von Treuenbrietzen mussten wegen des sich rasant ausbreitenden Waldbrandes rund 50 Kilometer südwestlich Berlins am Donnerstag vorübergehend geräumt werden. Neben Fronsdorf auch Klausdorf und Tiefenbrunnen, 540 Menschen waren betroffen. „Ich war vollkommen durch den Wind“, sagt auch Angelika Boderwin. „Als die Nachricht kam, dass wir evakuiert werden, habe ich mich erst einmal in die Küche gestellt und gekocht“, erzählt die 62 Jahre alte Köchin am nächsten Vormittag kopfschüttelnd. Es sollte Geschnetzeltes geben, mit Blumenkohl und Kartoffeln. „Als alles fertig war, mussten wir gehen.“

Das Nötigste wurde in zwei Wäschekörben verstaut

Angelika Boderwin und ihr Ehemann kamen bei ihrer Mutter unter. Das Nötigste – Fotoalben und wichtige Unterlagen – hatte ihr Mann zuvor in zwei Waschkörben verstaut. „Man weiß in so einem Moment ja nicht, was man mitnehmen soll“, sagt Angelika Boderwin. „In der Aufregung habe ich meine Sachen links herum angezogen.“

Am nächsten Mittag sind sie dann zur Notunterkunft in der Stadthalle Treuenbrietzen gegangen, um zu erfahren, wie es weitergeht. Die meisten Betroffenen hatten bei Freunden oder Verwandten übernachtet, nur etwa 20 Anwohner nahmen das Angebot an, in der Halle auf Turnmatten die Nacht zu verbringen. Sie wurden von zehn Notfallseelsorgern bis in den Morgen betreut. An Schlaf dachten sowieso die wenigsten. „Man nickt immer mal wieder kurz ein“, sagt Uwe Nöthe. „Wacht aber sofort wieder auf, weil man an dies oder das denkt.“ Im nächsten Monat geht der Busfahrer in Rente, da wollte er sich dann nur noch um die Tiere auf seinem Hof kümmern. Er hält Schafe, Hühner und Ziegen. Sollte das alles den Flammen zum Opfer fallen? „Ich hatte echt Angst“, sagt Nöthe. Am Vormittag durfte er kurz auf den Hof und die Tiere versorgen, dann wartete auch er auf Neuigkeiten in der Stadthalle.

Um 11.57 Uhr kam die erlösende Nachricht von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und Treuenbrietzens Bürgermeister Michael Knape (parteilos). Sie eröffneten den Fronsdorfern, dass sie zurück in ihre Häusern konnten, weil der Brand zwar nicht gelöscht, aber weitgehend unter Kontrolle sei. Die Fronsdorfer nahmen es erleichtert und mit Applaus auf.

Für die 600 Einsatzkräfte der Feuerwehr ist der Kampf gegen die Flammen dagegen noch längst nicht zu Ende. „Der Brand wird uns noch Tage in Atem halten“, sagte Woidke. „Der größte Feind ist der Wind.“ Den ganzen Tag über wechselte er die Richtung und frischte böig auf. Vermeintlich gelöschte Abschnitte fingen wieder Feuer. Die Feuerwehr agierte im Ausnahmezustand. Nach fast 20 Stunden im Einsatz wurden die Einsatzkräfte aus Elbe-Elster und Oberspree-Lausitz von Kollegen aus Lausitz-Oberspree und Havelland abgelöst. Am Abend übernahmen Feuerwehrleute aus Barnim und der Uckermark.

Die Rauchwolke reichte bis nach Berlin

Auch Feuerwehren aus Sachsen-Anhalt und Berlin unterstützten die Brandenburger Kollegen und boten weitere Hilfe an. „Es ist völlig normal, dass wir in einer solchen Situation unseren Kolleginnen und Kollegen solidarisch mit Hilfe zur Seite stehen“, hieß es in einer Erklärung der Berliner Innenverwaltung. Die Hauptstädter schickten Wasserwerfer in das Brandgebiet. Bundeswehr und Bundespolizei bekämpften die Flammen zusätzlich mit Löschhubschraubern, die Brandenburger Polizei schickte zusätzlich einen Hubschrauber mit Infrarotkamera in das Gebiet, um wieder aufkeimende Brände aufzuspüren.

Der bislang größte Waldbrand Brandenburgs auf einer Fläche von insgesamt 400 Hektar hatte auch Auswirkungen bis nach Berlin. Rauchschwaden zogen in der Nacht zu Freitag und am Morgen sogar über weite Teile der Stadt, teilweise waren ganze Straßenzüge verraucht. Zahlreiche Notrufe gingen bei der Berliner Feuerwehr deshalb ein. „Was das Anrufaufkommen angeht, war das fast eine Silvesternacht“, sagte der Sprecher der Feuerwehr. Es habe aber in Berlin keine unmittelbare Gefahr bestanden. „Je weiter weg man vom Brandort ist, desto mehr sind die giftigen Rauchgase verdünnt“, so der Sprecher. „Es ging in Berlin vor allem um die Geruchsbelästigung.“

Die in Berlin durch den Waldbrand entstandene Luftbelastung war nach Behördenangaben nur kurzzeitig hoch. „Es ist nicht gesundheitsschädigend gewesen“, sagte Derk Ehlert aus der Umweltverwaltung am Freitag. Der Rauch sei zwar in der Nacht in mehreren Teilen der Stadt messbar gewesen, in den frühen Morgenstunden seien die Werte bei Rußpartikeln und Feinstaub jedoch bereits wieder stark abgefallen.

Vor dem Großfeuer bei Treuenbrietzen hat es in diesem Jahr in Brandenburg bereits 405 weitere Waldbrände gegeben. Dabei seien fast 700 Hektar Flächen geschädigt worden, teilte das Umweltministerium mit. 2017 habe es insgesamt nur 138 Waldbrände in Brandenburg gegeben. Eine Verringerung des Brandrisikos sei nicht in Sicht.

Das bedeutet auch für Brandenburgs Waldbrandschützer weiter höchste Alarmbereitschaft. Der Landesbetrieb Forst kontrolliert alle Waldflächen mit dem modernsten verfügbaren Kameraüberwachungssystem „Fire Watch“. 107 Sensoren sind landesweit verteilt, scannen die Waldgebiete über den Baumkronen und registrierten dabei jede Rauchentwicklung. Auch der Brand bei Treuenbrietzen wurde früh erkannt. Wegen der Explosionsgefahr konnte die Feuerwehr die Flammen nicht direkt bekämpfen, sodass er sich rasant ausbreitete. „Es entwickelte sich ein Vollfeuer bis in die Baumkronen hinein, das ist eine ganz schwierige Lage“, sagte Brandenburgs Waldbrandschutzbeauftragter, Raimund Engel.

Brandenburg ist das waldreichste Bundesland

Brandenburg ist das waldreichste Bundesland Deutschlands. Es verfügt über 1,1 Millionen Hektar Wald. 70 Prozent davon sind Kiefern, die besonders anfällig für Brandgefahren sind. Das Harz und die Nadeln fungieren als eine Art Brandbeschleuniger, wenn sie in Flammen geraten. Der hohe Kiefernanteil hat historische Gründe. Schon im 18. Jahrhundert war der Holzbedarf groß, weshalb die im Mittelalter noch vorherrschenden Eichen und Buchen durch die schnell wachsenden Kiefern ersetzt wurden. Das setzte sich im 19. und 20. Jahrhundert fort, vor allem um die Kriegswirtschaft mit Brennholz zu versorgen.

Durch die längeren Trockenperioden steigt nun auch die Zahl der Waldbrände. Die Brände fallen in Brandenburg häufig größer aus als andernorts, weil in einem Ring um Berlin vor allem auf ehemaligen Truppenübungsplätzen noch häufig Munition aus dem Zweiten Weltkrieg oder von sowjetischen Besatzungstruppen lagert. Die Feuerwehr kann die Brände deshalb oft wegen der Explosionsgefahr nicht direkt, sondern nur aus der Ferne oder der Luft bekämpfen. Das ist beim aktuellen Brand bei Treuenbrietzen der Fall und war Ende Juli auch beim Großbrand in der Lieberoser Heide so.

Um die Waldbrandgefahr zu senken, verfolgt Brandenburg ein ehrgeiziges Umforstungsprojekt. Bereits in den vergangenen 25 Jahren wurden 500 Millionen Euro in den Umbau des Waldes investiert. In den kommenden 25 Jahren soll es noch einmal so viel Geld sein. Alte Fichtenwälder werden durch Laubbäume aufgeforstet. Das senkt nicht nur die Brandgefahr, sondern hilft auch, Schädlinge abzuhalten und den Grundwasserspiegel anzuheben. Das ist bislang auf 84.000 Quadratmetern Waldfläche geschehen. In den kommenden Jahren soll die Fläche mindestens verdoppelt werden. Der Umbau wird das Land noch Jahrzehnte beschäftigen.

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