DDR-Aufarbeitung

„Ehemalige Spitzel gehen nur selten offen damit um“

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Jens Anker
Maria Nooke, Brandenburgs neue Stasi-Beauftragte

Maria Nooke, Brandenburgs neue Stasi-Beauftragte

Foto: Massimo Rodari

Brandenburgs neue Stasibeauftragte Maria Nooke im Gespräch über über Schuld und Empathie.

Potsdam.  Der Brandenburger Landtag hat Maria Nooke (58) gerade zur Stasibeauftragten gewählt. Sie war bislang stellvertretende Direktorin der Stiftung Berliner Mauer. Die Soziologin ist mit dem Bürgerrechtler und CDU-Politiker Günter Nooke verheiratet.

Frau Nooke, wo wird der Schwerpunkt Ihrer Arbeit liegen?

Maria Nooke: In Brandenburg gibt es eine Beauftragte für die Folgen der kommunistischen Diktatur, das heißt, das Aufgabenfeld wurde hier weiter gefasst als in den anderen ostdeutschen Bundesländern. Es geht nicht nur darum, die Hinterlassenschaft der Staatssicherheit und die Folgen für die Betroffenen aufzuarbeiten, sondern insgesamt die Strukturen des SED-Regimes und der sowjetischen Besatzungszone nach 1945 mitsamt den sowjetischen Speziallagern. Die Hauptaufgabe ist zuerst, diejenigen, die in der DDR Unrecht erlitten haben, in Fragen der Akteneinsicht, der Rehabilitierung und der Entschädigung zu unterstützen. Es geht auch darum, öffentliche Stellen zu beraten, wenn es um die Beschäftigung stasibelasteter Mitarbeiter geht. Ein weiterer Aspekt ist auch die Aufklärung über die Mechanismen der Diktatur.

Deutschland ist jetzt fast so lange wiedervereinigt, wie es getrennt war. Auf welchem Stand sehen Sie die Aufarbeitung?

Ich glaube, dass in den letzten Jahren gerade in Brandenburg viel passiert ist. Meine Vorgängerin Ulrike Poppe hat sieben Jahre lang eine wichtige Arbeit geleistet. Es zeigt sich immer wieder, dass auch 28 Jahre nach dem Fall der Mauer die Geschichte noch sehr brisant ist. Vieles ist schon an die Öffentlichkeit gekommen, aber für viele steht dahinter ein persönliches Schicksal, und sie hatten noch nicht den Mut, Akteneinsicht oder Rehabilitierung zu beantragen. Da gilt es zu helfen. Ganz wesentlich für die Gegenwart ist es, die Kommunikation zwischen den Generationen zu fördern. Immer mehr Menschen haben keine eigenen Erfahrungen mit dem Leben in der DDR. Deshalb gilt es, Bildungsangebote für alle Generationen anzubieten. Die Jugendlichen müssen wir über die Schulen erreichen, Fortbildung von Lehrern ist deshalb wichtig.

Offene Augen für die Probleme, die Menschen in der DDR hatten

Glauben Sie, dass die Aufarbeitung des DDR-Unrechts irgendwann einmal beendet sein wird?

Die DDR hat die Biografien der Menschen ja sehr geprägt. So etwas legt man nicht nach ein paar Jahren ab. Natürlich wirken die Mechanismen nach, und natürlich stellen nächste Generationen Fragen. Ich glaube nicht, dass es einen Abschluss geben wird, sondern es geht darum, dass wir offen damit umgehen und die Probleme der Gegenwart souverän angehen.

Welche Erfahrungen aus Ihrer Arbeit bei der Stiftung Berliner Mauer nehmen Sie mit in Ihr neues Amt?

Meine Arbeit in der Stiftung hat mir die Augen geöffnet für die Probleme, die Menschen in der DDR hatten und was es für sie bedeutet hat, wenn sie versucht haben, sich ihr zu entziehen. Das Thema Flucht, Teilung und Tod ist ganz wesentlich. Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, die selbst betroffen waren, die in Haft saßen, deren Angehörige an der Mauer erschossen wurden, und ich weiß, welche Erinnerungen sie noch heute quälen und wie sehr sie ihr Leben prägen. Das ist ein Erfahrungsschatz, den ich in die neue Aufgabe mitbringe. Ich kann bei den Menschen sein und für ihre Situation Empathie entwickeln.

Was bedeutet es für die Betroffenen, wenn das Erlebte von damals immer noch ihr Leben mitbestimmt?

Es hat natürlich sehr unterschiedliche Auswirkungen. Wenn jemand aus politischen Gründen seinen Job verloren hat, hat es langwierige Auswirkungen bis hin zur Rente. Es sind gravierende biografische Brüche. Wenn man in der DDR kein Abitur ablegen konnte und nicht das Glück hatte, so jung zu sein, dass man es nach 1989 nachholen konnte, dann hatte das natürlich Auswirkungen auf das ganze Leben. Das darf man nicht vergessen. Menschen, die in Haft saßen, leiden teilweise noch heute an den gesundheitlichen oder psychischen Folgen. Das sind Dinge, die in der Öffentlichkeit nicht so wahrgenommen werden und die Betroffenen zusätzlich belasten.

Der Schatten des Unrechtsstaats reicht also bis in die Gegenwart?

Natürlich.

Berlin ist Hauptstadt der Zeitgeschichte

Ist das der Grund dafür, dass viele Opfer heute noch mit sich ringen, in die Stasiunterlagen zu sehen?

Es ist ja nicht einfach, damit leben zu müssen, wenn Freunde oder Verwandte einen vielleicht bespitzelt haben. Es stellen sich Fragen des Vertrauens und wie man danach miteinander zurechtkommt. Es kommt leider selten vor, dass jemand, der bespitzelt hat, heute offen damit umgeht und sich dafür entschuldigt. In der Regel gibt es nur Abwehrstrategien. Da kenne ich viele Beispiele, wie Beziehungen zerbrachen oder Kontakte abgebrochen wurden. Für die Angehörigen der Mauertoten ist das ganz besonders schrecklich und traumatisch, weil sie damals nicht darüber sprechen zu durften. Die Staatssicherheit hat die Ermittlungen selbst übernommen und den Angehörigen die Chance genommen, sich von den Todesopfern zu verabschieden. Viele wissen bis heute nicht einmal, wo der Sohn oder der Vater bestattet wurde.

Sie kommen aus Brandenburg, haben aber lange in Berlin gearbeitet. Gibt es Unterschiede, wie das DDR-Unrecht aufgearbeitet wird?

Berlin ist natürlich ein Hotspot der Aufarbeitung, Hauptstadt der Zeitgeschichte. Hier gibt es sehr viele Einrichtungen und Gedenkstätten. In Berlin wird viel in Bezug auf die DDR- und die NS-Aufarbeitung getan. Ob die Aufarbeitung besser gelungen ist, wage ich nicht zu beurteilen. In Brandenburg ist da öffentlich sehr viel weniger passiert. Ich habe gehört, es gibt ein Interesse, mehr darüber zu erfahren. Viele wissen gar nicht, dass es eine Anlaufstelle für ihre Probleme gibt.

Erinnern Sie sich daran, wann Sie zum ersten Mal von der Stasi gehört haben?

Da war ich noch Kind. Ich bin so aufgewachsen, dass ich wusste, dass die Stasi meinen Vater im Fokus hatte. Wir haben immer in dem Wissen gelebt, dass unser Telefon abgehört wurde. Das gehörte zum Alltag.