Brandenburg

Zu Besuch in der AfD-Hochburg Frankfurt (Oder)

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Gudrun Mallwitz
Schwarz-rot-goldene Lampions auf einem Balkon in Frankfurt an der Oder – im Plattenbaugebiet Neuberesinchen

Schwarz-rot-goldene Lampions auf einem Balkon in Frankfurt an der Oder – im Plattenbaugebiet Neuberesinchen

Foto: Sergej Glanze / Glanze/Berliner Morgenpost

In Brandenburg würde jeder Fünfte bei der Bundestagswahl für die AfD stimmen. Ein Besuch in der Hochburg Frankfurt (Oder).

Frankfurt (Oder).  Die AfD sitzt schon seit einem Jahr nicht mehr im Zen­trum der Stadt. Da, wo es vor den rund 6500 Studenten der Europa-Universität Viadrina aus über 80 Ländern nur so wuselt und einem auf der Straße internationales Sprachgewirr entgegenschlägt. Wo das polnische Slubice mit der Partnerstadt Frankfurt über eine 251 Meter lange Stadtbrücke eng verbunden ist. Die rechtspopulistische „Alternative für Deutschland“ ist vor einem Jahr umgezogen. In ein ehemaliges Ladengeschäft, ab vom Schuss. Und doch in die Nähe der potenziellen Wähler.

Das Plattenbaugebiet Neuberesinchen ist nur einige Hundert Meter entfernt, schräg gegenüber liegt das Landesbehördenzentrum – mit dem Finanzamt, dem Landesbetrieb Straßenwesen und dem Amtsgericht. „Unsere Wähler kommen aus allen Schichten“, sagt Wilko Möller, der Vorsitzende des AfD-Stadtverbandes, beruflich Beamter bei der Bundespolizei. „Sie wollen nur nicht gern in der Öffentlichkeit mit uns gesehen werden.“

Der verschämte Wähler und sein Unmut über die etablierte Politik. Auf ihm baut sich der zunehmende Erfolg der umstrittenen Partei auf. In Brandenburg würde bei der Bundestagswahl inzwischen jeder Fünfte AfD wählen. Nach der jüngsten Forsa-Meinungsumfrage liegt die Partei mit 20 Prozent vor der auf Landesebene seit 1990 regierenden SPD. Diese käme auf 19 Prozent. Frankfurt gilt seit den Kommunal- und Bundestagswahlen 2014 als AfD-Hochburg. Schon damals wollte jeder Fünfte die AfD im Bundestag sehen.

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Deshalb will hier, 110 Kilometer von Potsdam entfernt, AfD-Landes- und Fraktionschef Alexander Gauland kandidieren. Am Sonnabend kam die AfD zur Aufstellung ihrer Landesliste für den Bundestag zusammen. Der Bundes-Parteivize rechnet sich im Osten Brandenburgs eine Chance aus, den Wahlkreis im September direkt zu gewinnen. In Frankfurt liegen der AfD die Themen buchstäblich vor den Füßen.

Diebesbanden ziehen durch Stadt und umliegende Dörfer

Die noch knapp 59.000 Einwohner zählende Stadt hat seit dem Fall der Mauer fast 30.000 Bewohner verloren, immer wieder haben sich die Hoffnungen auf die dauerhafte Ansiedelung der Solarindustrie zerschlagen. Diebesbanden ziehen seit dem Wegfall der ständigen Grenzkontrollen 2007 durch die Stadt und die umliegenden Dörfer. In den Wohngebieten nistet die Angst. Die Firmen haben sich teilweise regelrecht verbarrikadiert. Denn nichts scheint mehr sicher vor den Dieben. Die Menschen sind misstrauisch. Bei unserem Besuch im Plattenbaugebiet unweit des AfD-Büros will kaum einer mit uns reden. An einem Balkon im Erdgeschoss eines tristen Mehrgeschossers hängen schwarz-rot-goldene Lampions. Eine junge Frau steht vor einer Eingangstür. Sie raucht eine Zigarette und liest in einem Roman. Sie sagt, sie warte auf ihre Fahrgemeinschaft zum Callcenter. „Solange man Arbeit hat, ist alles okay“, sagt sie. Derzeit mache sie sich nur Sorgen, weil nun neben dem Call-center Flüchtlinge einquartiert werden sollen. „Ich habe oft bis 23.30 Uhr Dienst, da ist mir das schon unheimlich.“

Um die 450 Flüchtlinge sind derzeit in Frankfurt untergebracht. Selbst AfD-Chef Möller sagt zu uns: „Da gibt es keine besonderen Vorkommnisse.“ Seine Partei sei aber dagegen, dass sie bevorzugt in Wohnungen leben sollen. Das kurbele nur die „Sozialhilfeindustrie“ an und koste der Stadt unnötig Geld, so Möller. Noch jemand ist bereit zu einem kurzen Gespräch. Ein Mann, der uns mit einem Essenstopf entgegenkommt. Er ist auf dem Weg zu seiner Mutti im Block nebenan, wie er sagt. Mit seiner Frau lebt er noch nicht lange in der Straße. Vom 10. Stock aus kann er hinüber­schauen zu dem Ort, an dem er lange arbeitete. Als Schließer. Die JVA wurde Ende 2013 aufgelöst. Der Plattenbau, in dem der Mann mit seiner Familie jahrzehntelang wohnte, steht nicht mehr. „Wir mussten da raus.“ Zwei Drittel der Gebäude sind in den vergangenen Jahren in dem Viertel abgerissen worden. Sie wurden nicht mehr gebraucht.

Im Einkaufspark „Hep“ nebenan sitzen sie beim Bäcker beim Kaffee, im Ein-Euro-Laden ist weitaus mehr los als im Reisebüro. Wer hier wohnt, kommt so schnell nicht raus. Vor allem die Älteren blieben zurück und diejenigen, die sich nicht viel leisten können. Viele, die hier leben, fühlen sich abgehängt von der Gesellschaft. Sie wählten früher die Linken. Trotz starker Verluste stellen diese immer noch die Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung, doch auch sie haben viele Wähler an die AfD verloren. Der parteilose Bürgermeister Martin Wilke regiert – unterstützt durch ein Wählerbündnis aus SPD, CDU, FDP – seit 2010 die hoch verschuldete Stadt. Nach dem Willen der rot-roten Regierung soll sie ab 2019 mit dem Kreis Oder-Spree verschmolzen werden.

In einer Einfamilienhaus-Gegend begegnen wir später einem, der „die AfD wählen würde, wenn er überhaupt noch wählen gehen würde“. Uns fällt ein rotes Motorboot auf, das ungesichert am Straßenrand liegt. Höchst ungewöhnlich in dieser Region. Wir sind neugierig und klingeln. Ein Mann kommt aus dem Haus. Volle Körperspannung, durchtrainiert. Er trägt eine schwarze Lederhose. Das Haar hat er zum Pferdeschwanz gebunden. „Ja, das ist mein Boot“, sagt er. „Ich habe kein Problem mit Dieben. Die trauen sich bei mir nicht“ Und deutet auf sein unverschlossenes Auto am Straßenrand. Der Mann ist laut eigener Beschreibung Personenschützer, bildet aus. Er hat eine Detektei mit Sitz in Polen. Auf seiner Visitenkarte offieriert er Schießausbildung. Er sagt: „Mit mir legt sich keiner an.“ Auf seiner Brust hat der frühere Fremdenlegionär den Adler auf der Weltkugel eintätowiert, darüber das Eiserne Kreuz. Zu ihm kämen die Leute, wenn sie nicht mehr weiterwissen und die Polizei nichts ausrichtet. Er werde als Abschreckung geordert, betont er.

AfD hat in Frankfurt zurzeit nur 30 Mitglieder

Zurück ins Büro des AfD-Stadtverbandschefs Möller. Er erzählt uns dort zusammen mit Ingolf Schneider, der sich um die Geschäftsstelle kümmert, warum Deutschland und Frankfurt die AfD brauchen. Die beiden machen einen selbstbewussten Eindruck. „Wir gelten zwar als die Schmuddelpartei“, sagt Möller. „Doch heimlich machen viele Leute in der Wahlkabine dann doch bei uns ihr Kreuzchen.“ Für Möller und Schneider sind rassistische Ausfälle wie die von Björn Höcke kein Problem. NPDler hätten aber keine Chance, der Partei beizutreten.„Höcke repräsentiert einen Flügel der Partei, das darf aber nicht zur Mehrheitsmeinung führen“, sagt Schneider.

Möller war Dienstgruppenleiter der Bundespolizei im Bundeskanzleramt. Es gab Beschwerden, wegen seines Engagements bei der AfD. Ab 1. Februar ist der fünffache Vater in Frankfurt als Ermittlungsbeamter eingesetzt. Die AfD hat in der Oderstadt 30 der 1030 Mitglieder landesweit. Und seit einem Streit nur noch zwei Stadtverordnete. Die fünfköpfige Fraktion fiel auseinander. Früher war Möller in der FDP, Schneider hat „2013 noch Frau Merkel gewählt“. Die beiden sind sich ziemlich sicher, dass die AfD unter Gauland den Wahlkreis gewinnt. Gegen den Linke-Abgeordneten Thomas Nord und den Diplom-Meteorologen Franz Berger, SPD. Für die CDU tritt Martin Patzelt an. Der Ex-Oberbürgermeister hatte den Wahlkreis direkt gewonnen. Bundesweit bekannt wurde er, weil er die Bevölkerung aufforderte, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. Wie er es selbst tat. Er erhielt dafür sogar Todesdrohungen. Patzelt sagt: „Wir dürfen die AfD nicht ignorieren, sondern müssen uns mit ihr auseinandersetzen.“ Denn die Partei stelle durchaus die richtigen Fragen. Sie gebe aber die falschen Antworten.