Justizvollzugsanstalt

JVA Heidering: Anke Stein ist die Chefin von 650 Gefangenen

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Ulrich Kraetzer
Anke Stein ist Leiterin der JVA Heidering mit 650 Häftlingen

Anke Stein ist Leiterin der JVA Heidering mit 650 Häftlingen

Foto: euroluftbild.de/BSF Swissphoto/Susanne Kappe

Anke Stein leitet die Justizvollzugsanstalt Heidering. Eine Besuchergruppe aus Unternehmern informierte sich über den Gefängnisalltag.

„Wenn ich eine bessere Idee hätte, wäre ich sofort dafür, die Gefängnisse und die Freiheitsstrafen abzuschaffen. Ich habe aber keine bessere Idee.“ Diese Sätze sagt Anke Stein. Sie ist die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Heidering, in der fast 650 gefangene Männer ihre Haftstrafen absitzen. Freiheitsstrafen sollten Veränderungen bewirken und Perspektiven auf ein künftiges straffreies Leben in der Gesellschaft eröffnen. „Wenn das gelingt, hilft Freiheitsstrafe dem Einzelnen und der Allgemeinheit“, sagt Stein.

Es ist eine Parallelwelt, in der eine Besuchergruppe eintaucht. Für einen Tag im Gefängnis. Mit dabei sind Politiker, Führungskräfte aus Banken, IT-Unternehmen, ein ehemaliger Schulleiter und ein Imam. Bernhard Heider, der Geschäftsführer vom Netzwerk Leadership Berlin, das den Besuchstag in der JVA organisiert hat, sagt: „Wir wollen Menschen, die Verantwortung tragen, mit Menschen und Lebenswelten in Kontakt bringen, die sie in ihrem normalen Berufsalltag sonst eher nicht kennenlernen, damit sie sich eine differenzierte Meinung bilden können.“

Das sind die nüchternen Fakten zu dem Ort des Besuchs: Die JVA Heidering, gelegen in Brandenburg, gebaut und genutzt von Berlin. Geschlossener Männervollzug. 647 Haftplätze, übersichtliche „Wohneinheiten“ mit Gemeinschaftsküche, Einzelhafträume mit je zehn Quadratmeter, Toilette und Waschbecken abgetrennt. Außenanlage mit mehreren Sportplätzen, eine 800 Quadratmeter große Mehrzweckhalle. Transparent wirkende Sicherheitszäune statt blickdichter Mauern, viel Glas, eher wenige Gitterstäbe. Unzählige Freizeitangebote, eine Bibliothek und ein anstaltseigener von den Gefangenen betriebener Radiosender.

Sportplätze, Mehrzweckhalle – aber kein Luxus-Knast

Ein „Luxus-Knast“? So jedenfalls bezeichneten einige Zeitungen die JVA Heidering, als sie am 2. Januar 2013 eröffnet wurde. Anke Stein sagt: „Glauben Sie mir, es gibt auch bei uns keinen einzigen Gefangenen, der sagt, ich möchte hier möglichst lange bleiben.“

Die Besucher sind von der aufgeräumten und klaren, zugleich aber warmen Architektur des Hauses in den ersten Minuten des Rundgangs dennoch erkennbar beeindruckt und scheinen fast zu vergessen, dass sie in einem Gefängnis sind.

In der Turnhalle sollen einige Gefangene, die im anstaltsinternen Schulunterricht ihren Abschluss nachholen, erzählen, wie das Leben im Knast so ist. Straftäter, die wegen schweren Diebstahls oder schwerer Körperverletzung verurteilt wurden, wegen Urkundenfälschung und Insolvenzverschleppung. An einem der Tische für die Kleingruppen sitzen Luigi und James, die eigentlich anders heißen, die wir mit Rücksicht auf ihren weiteren Werdegang nach ihrer Entlassung hier aber so nennen wollen. Luigi: Jogginghose, Kapuzenpulli, schwarze Mütze; Mutter aus Italien, Vater aus einem arabischen Land. In Deutschland lebt er seit 2012 und merkte, dass er mit dem Verkauf illegaler Drogen hier deutlich mehr verdienen konnte als bei seinem früheren Job in einem Callcenter. „Wenn du dealst und viel Geld machst, willst du immer mehr“, sagt er. „Und du denkst, du wirst nie erwischt und fühlst dich wie der Größte.“ Bei seiner Festnahme fand die Polizei mehr als vier Kilogramm Drogen. Nun muss Luigi rund drei Jahre in der JVA Heidering verbringen.

Bei James war es ähnlich. Der Ghanaer lebt seit zehn Jahren in Deutschland. Und auch er dürfte angesichts der Verurteilung zu einer mehrjährigen Haftstrafe mehr als nur ein Paar Gramm Haschisch zum Eigenbedarf bei sich geführt haben. 2018 soll er entlassen werden. Wenn er mit seinen zwei Kindern, beide im Grundschulalter, telefoniert, erzählt er ihnen, dass er zurück nach Ghana gegangen sei, um dort zu arbeiten. „Wo ihr Papa wirklich ist, sollen sie nicht erfahren“, sagt er. Der Tagesablauf in der JVA: 6.15 Uhr Wecken, von 7 bis 15 Uhr Schule oder Arbeit, mittags Ausgabe der „Warmverpflegung“ für den Mittag und der „Kaltverpflegung“ für den Abend. Dann wieder arbeiten. Anschließend Freizeit mit Möglichkeiten im Freien. „Nachtverschluss“ um 21.30 Uhr. „Weggesperrt von der ganzen Welt“, sagt James. Luigi meint: „Keiner kann uns diese Zeit zurückgeben.“ Diese Fremdbestimmung. Das sei das Schlimmste.

Gibt es Drogen im Gefängnis? Gewalt und Gangs, die sich gegenseitig bekriegen? Ja, es gebe illegalen Schmuggel, manchmal auch Schlägereien, wenn ein Gefangener dem anderen seine Schulden, in Form von Zigaretten oder anderen Ersatzwährungen, nicht zurückzahle, berichten die Gefangenen. Echte Eskalationen gebe es fast nie.

In Werkhalle 3 ist gerade Feierabend. Die Gefangenen schauen die Besucher an. Sie sitzen auf Tischen und Stühlen, in kleinen Gruppen, hier die Türken, da die Deutschen, dort die Russen und Osteuropäer. Natürlich gebe es unter den Gefangenen auch Hierarchien, sagt der Leiter einer Teilanstalt, Christian Reschke. Gewalttäter stünden in der Hierarchie ganz oben. Sexualstraftäter ganz unten. „Wenn der Präsident von den „Hells Angels“ auftaucht, dann machen alle einen Knicks“, sagt Reschke.