Potsdam. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Wolf einem Förster eines Tages in die Arschbacke beißt.“ Robert Franck nimmt kein Blatt vor den Mund. „Hunde mag der Wolf auch nicht, empfindet sie als Eindringlinge. Also beim Spaziergang im Wald an die Leine mit Pfiffi.“ Die klaren Worte schätzen seine Zuhörer. „Die wollen ernst genommen werden mit ihren Sorgen“, sagt der Rheinsberger Wolfskundler. Der Disput zwischen Artenschützern, Jägern und Nutztierhaltern verschärft sich, seit die Wolfspopulation wächst, zugleich die Zahl der Risse steigt.
Erst in der Nacht zum Sonnabend schlug der Wolf vermutlich wieder zu: Im Wildpark Johannismühle (Baruth/Mark) stießen die Mitarbeiter in den Morgenstunden auf ein getötetes Damtier. Blutspuren und Fährten auf dem 135 Hektar großen Gelände. „Die Abdrücke im Schnee sind für uns ziemlich eindeutig“, sagt Wildparkchef Julian Dorsch der Berliner Morgenpost.
Wolfswochenenden des Experten finden viel Anklang
Die Brandenburger Politik sucht zwar nach Lösungen. Doch das genüge noch nicht. Zumindest darin sind sich die verschiedenen Interessengruppen einig. Franck ist einer der dienstältesten ehrenamtlichen Wolfsberater in Brandenburg. Seit 2007 dokumentiert er das Vorkommen des Raubtiers, studiert sein Verhalten, klärt über den Umgang auf. Die Wolfswochenenden, die Franck seit fünf Jahren immer im Januar und Februar im Resort Marina Wolfsbruch anbietet, sind gefragt.
Die Teilnehmer, die sich über den Wolf bei Vorträgen, Wolfsfütterungen im Zoo und Expeditionen an den Rand der Kyritz-Ruppiner Heide kundig machen wollen, kommen aus ganz Deutschland. Nicht mehr nur Weiderind- und Pferdehalter, Schäfer oder Jäger, sondern auch „normale Bürger“ kontaktieren ihn immer häufiger. Anfangs neugierig, was es bedeute, 150 Jahre nach Verschwinden des Isegrims wieder in einem „Wolfsland“ zu leben. Mittlerweile eher ängstlich. „Kann ich gefahrlos Pilze suchen, mit dem Pferd über die Heide reiten, im Wald joggen“, lauten die Fragen.
Rund 130 Wölfe sind in Brandenburg heimisch
Vorfälle wie in Rathenow, wo im Dezember ein Wolf mehrmals vor einer Kita gesichtet wurde, hätten Menschen verunsichert. Auch, wenn sich der „Problemwolf“ laut Umweltministerium dort seither nicht mehr blicken ließ, sondern „lediglich am südlichen Stadtrand“ beobachtet wurde.
22 Rudel und zwei Paare, also rund 130 Wölfe, sind laut Landesumweltamt aktuell in Brandenburg heimisch. Bei zwei Gebieten ist der Status noch unklar. 46 Rudel, 15 Paare und vier sesshafte Einzeltiere sind deutschlandweit nachgewiesen. Jährlich wächst die Zahl der Wölfe um mindestens 30 Prozent. „In zwei oder drei Jahren wird der Wolf Brandenburg flächendeckend besiedelt haben“, sagt Franck. Irgendwann werde der Wolf nicht mehr den höchsten EU-Schutzstatus genießen, dann werde eine Bestandsobergrenze festgelegt, ist Franck überzeugt. Was er gutheißt. Niemand wolle den Wolf wieder ausrotten, vor allem die Jäger nicht. „Aber wenn es Probleme gibt, muss man reagieren dürfen“, spricht er gerade Nutztierhaltern aus der Seele.
„Rückkehr des Wolfs ist eine Erfolgsgeschichte“
Für Christiane Schröder, Chefin des Brandenburger Naturschutzbundes (Nabu), ist der Schutz des Wolfes nicht verhandelbar, die Ausnahme sei eine „Entnahme“ von Problemwölfen. „Die Rückkehr des Wolfes ist eine Erfolgsgeschichte“ und bringe einige Vorteile: Seit Jahrzehnten sei in etlichen märkischen Wäldern wegen des viel zu hohen Wildtierbestandes eine natürliche Waldverjüngung kaum mehr möglich. Was Jäger bislang nicht bewältigen konnten, schaffe sicher der Wolf. Mehr Forschung zum Wolfsverhalten sei nötig, „vor allem aber eine Debatte mit mehr Objektivität und weniger Gefühlen“.
Die können geschädigte Nutztierhalter allerdings nur schwer unterdrücken. „Wir brauchen nicht mehr Wölfe in Brandenburg“, sagt Reinhard Jung, Geschäftsführer des Brandenburger Bauernbundes und selbst Mutterkuhhalter. Seine Forderung: „Wölfe, die sich einer Siedlung oder Herde auf weniger als einen Kilometer nähern, müssen geschossen werden. Wolfsvorkommen sollten auf Schutzgebiete begrenzt werden.“
174 Nutztiere fielen 2016 wohl einem Wolf zum Opfer
Die Zahl der Wolfsrisse steigt. 2016 fielen 174 Nutztiere mit hoher Wahrscheinlichkeit einem Wolfsangriff zum Opfer, darunter allein 143 Schafe. 2015 waren es noch 97 Nutztiere, davon 74 Schafe. Nutztierhalter bekamen vom Land zwischen Januar und November 2016 rund 40.600 Euro an Schadensersatz, im Jahr zuvor waren es 11.500 Euro. Als Reaktion auf die Schadensmeldungen 2016 würden die Haushaltsmittel für 2017 aufgestockt, teilt das Umweltministerium mit. Und verweist auf das vor wenigen Tagen vorgestellte „Erweiterte Wolfs- und Herdenschutzmanagement“.
Geld fließt auch für Präventionsmaßnahmen wie Herdenschutzzäune und -hunde. Von 2008 bis Ende 2015 zahlte das Land 600.000 Euro für vorbeugende Maßnahmen. 15 Förderanträge mit einem Volumen von 200.000 Euro bewilligte es im vorigen Jahr. Geld, das bislang aus dem mit EU-Mitteln gespeisten Programm „Natürliches Erbe“ stammte. Doch EU-Förderung bedeute enormen bürokratischen Aufwand für die Antragsteller, kritisiert Knut Kucznik, Chef des Schafzuchtverbandes Berlin-Brandenburg. „Meine Kollegen, die 2016 Anträge zur Förderung von Hunden oder Zäunen gestellt haben, erhielten alle eine Bewilligung, nur kein einziger bislang das Geld.“ Die meisten hätten erst einmal in die eigene Tasche gegriffen.
Schäfer sprechen von existenzgefährdenden Kosten
Für viele Schäfer gehe es um ihre wirtschaftliche Existenz – zumal es für den Unterhalt der Zäune und Hunde überhaupt keine Unterstützung gebe. „Der Wolf ist nicht die Gefahr, sondern die Kosten, die aus dem Ruder laufen.“ Man werde nicht länger stillhalten, sich „lautstark wehren“, kündigt er an. Die Bürokratie kritisiert auch Nabu-Chefin Schröder scharf. Klagen, die „teilweise berechtigt“ seien, sagt Joachim Wersin-Sielaff, Sprecher im Umweltministerium. Darauf habe man reagiert. Künftig sollen die Modalitäten bei der Förderung von Präventionsmaßnahmen einfacher sein. „Wir werden diese ausschließlich aus Landesmitteln finanzieren“, erklärt Wersin-Sielaff. Wie schon 2016 stünden auch in diesem Jahr 200.000 Euro dafür zur Verfügung.
Mit zwei hauptamtlichen Wolfsbeauftragten, deren Stellen in diesem Monat ausgeschrieben werden, will das Land weitere Hilfe bieten. Zudem soll im Wildpark Schorfheide (Barnim) ein Wolfs- und Herdenschutzzentrum gebaut und 2018 eröffnet werden. Das Thema Wolf dürfte in Verbänden weiter intensiv diskutiert werden: Denn der seit 2013 geltende Brandenburger Wolfsmanagementplan läuft 2017 aus. Der neue Plan wird erarbeitet. Matthias Schannwell, Chef des Landjagdverbands, ist skeptisch: „Es sind ja etliche Forderungen aus dem aktuellen Managementplan noch nicht mal umgesetzt worden.“ Eine Kritik, die Bauern, Schäfer und Tierschützer teilen.