Vorsicht im hohen Gras

Giftspinne Ammen-Dornfinger breitet sich in Berlin aus

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Gudrun Mallwitz
Der aus dem Mittelmeerraum stammende und giftige Ammen-Dornfinger (Spinne) breitet sich in Falkensee aus

Der aus dem Mittelmeerraum stammende und giftige Ammen-Dornfinger (Spinne) breitet sich in Falkensee aus

Foto: Christian Kielmann

Vorsicht im hohen Gras: Ein Biss des Ammen-Dornfinger kann zu Schüttelfrost, Erbrechen und Kreislaufproblemen führen.

Falkensee.  „Wenn Sie bisher Angst vor Kreuzspinnen hatten, vergessen Sie es“, sagt der Diplom-Biologe Carsten Scheibe. „Sie ist für den Menschen nicht giftig, und könnte außerdem mit ihren Zähnchen nicht durch die Haut dringen.“ Ganz im Gegensatz zur Spinne, die sich im brandenburgischen Falkensee hinter Spandau zunehmend ausbreitet und auch ihren Weg in Richtung Hauptstadt finden könnte.

„Ein Biss des Ammen-Dornfingers ist nicht zu unterschätzen“, sagt Scheibe. „Die Folge können geschwollene Lymphknoten, Schüttelfrost, Schwindel, Erbrechen und Kreislaufprobleme sein.“ Neben allergischen Überreaktionen sei es auch schon zu Blutvergiftungen gekommen. „Im besten Fall fühlt es sich wie ein Wespenstich an“, so beschrieben laut Scheibe Falkenseer, die von der Spinne gebissen wurden. „Ein Betroffener auf Facebook schilderte die Folgen so: „Es war, als hätte jemand eine glühende Zigarette an meinen Arm gehalten.“

Der Ammen-Dornfinger ist eigentlich im Mittelmeer-Raum zuhause. Doch durch das milde Klima auch im Winter fühlt er sich auch bei uns inzwischen heimisch. Doch nicht überall ist er in großer Zahl zu finden. „In Falkensee breitet sich diese Giftspinne rasant aus“, sagt der Biologe. „Also Vorsicht im hohen Gras.“

Kugelige weiße Gespinste finden sich auf den Gräsern

Vor drei Jahren hatte Carsten Scheibe die aus Südeuropa eingewanderte Spinne erstmals entdeckt. „Ich war mit dem Hund spazieren“, erzählt er, „da fielen mir in der Wiese am Rohrbecker Weg kugelige weiße Gespinste auf den Gräsern auf.“ Der Biologe zog daran, da krabbelte eine Spinne hervor. Mit ihrem signalroten Kopf und einem gelben bis olivgrünen Hinterleib und orangefarbener Brust kannte der Experte sie nicht. Sie hat lange knallrote Kieferkrallen, die zur Spitze hin schwarz sind.

„Als Krabbeltier-Fan war ich gleich fasziniert“, sagt Scheibe, „und fotografierte die ungewöhnliche Spinne.“ Im Internet wurde er rasch fündig. Das Ergebnis: Der Ammen-Dornfinger ist neben der Wasserspinne die einzige mitteleuropäische Spinne, deren Biss für den Menschen medizinisch relevante Folgen haben kann. Denn sowohl Männchen als auch Weibchen können mit ihrem Giftbiss die menschliche Haut durchdringen. Bei fast allen anderen einheimischen Spinnenarten sind die Giftklauen dafür zu kurz oder zu fragil. „Spaziergänger und Hundebesitzer müssen wissen: Der Ammen-Dornfinger ist ziemlich aggressiv, wenn man ihn stört“, sagt Scheibe. „Die gewaltigen Gifthauer stechen problemlos sogar durch eine Jeans hindurch.“

Den Tag verbringen die bis zu 1,5 Zentimenter großen Giftspinnen in ihren Ruhenestern, die sich an den Spitzen der Gräser weben. Nur nachts sind die Tiere aktiv. Dann suchen sie nach Nahrung. Nach Grashüpfern zum Beispiel.

„Ab August, September fertigen die Weibchen oben auf den Gräsern Brutnester an. Dabei binden sie gleich mehrere Pflanzen zusammen“, so der Biologe. „Diese Brutnester sind kaum zu übersehen, zumal sie Hühnerei- bis faustgroß sein können.“ Die Mutterspinne bewache die Eier und später die geschlüpften Spinnen wie eine Amme. Daher rühre auch ihr Name.

Spinne hat keine bedeutsamen natürlichen Feinde

Es sei wahrscheinlich, dass sich die Spinne weiter ausbreitet, prognostiziert der Experte. „Der Ammen-Dornfinger hat keine bedeutsamen natürlichen Feinde“, sagt er. An manchen Stellen in Falkensee seien zehn Tiere auf einen Quadratmeter zu finden. „Sie leben in den Wiesen zum Beispiel am Rohrbecker Weg oder gegenüber des eCom-Lagerzentrums an der Straße der Einheit.“ Auch gegenüber der Kita in der Essener Straße habe er sich schon gesichtet.

Carsten Scheibe will die Falkenseer darauf hinweisen, dass sie im hohen Gras auf sich, die Kinder und Hunde aufpassen sollen. Er betont aber auch: „Es gibt keinen Grund zur Panik.“ Selbst wenn es zum Biss kommt: Nach 24 bis 30 Stunden seien die Symptome meist vollständig abgeklungen. Berichte über dauerhaftere Schädigungen oder gar Todesfälle gibt es nicht. Bei den Ärzten in Falkensee sind offenbar bislang keine Patienten wegen eines Spinnenbisses vorstellig geworden. Zumindest konnte dies keine Praxis auf Anfrage der Berliner Morgenpost bestätigen.

Im Rathaus ist die Giftspinne kein großes Thema. „Wir haben das zur Kenntnis genommen“, sagt Falkensees Bürgermeister Heiko Müller (SPD) auf Anfrage. „Dieser Spinnentyp verbreitet sich in Deutschland auch anderswo. Wir sehen keinen Handlungsbedarf.“

Diplom-Biologe Scheibe beschäftigt sich übrigens nur in seiner Freizeit mit Spinnen & Co. Der 49-Jährige arbeitet hauptberuflich als Journalist. „Meine Leidenschaft für die kleinen Tierchen ist geblieben“, sagt er. „Ich mag alles, was die meisten eklig finden.“ Seine 17-jährige Tochter Alisa und sein 19-jähriger Sohn Linus konnte der gebürtige Zehlendorfer für Käfer und Spinnen bislang nicht begeistern. „Von denen höre ich meist nur ein „Igitt, Papa mach das weg.“ Er selbst sei schon als Dreijähriger zu seinen Eltern mit der Spinnenbüchse ins Bett gekrabbelt.

Ob es in Berlin auch den Ammen-Dornenfinger gibt? „Da muss ich glatt mal schauen“, meint Carsten Scheibe. „Das kann gut sein, überall dort, wo hohes Gras wächst.“ Diese Aussage unterstreicht auch der Naturschutzbund NABU. Da sich die Tiere mit dem Wind treiben ließen und im Berliner Umland bereits gesichtet wurden, sei es nicht überraschend, wenn die Spinne auch im Stadtgebiet entdeckt würde.