Potsdam. Tom Hanks schwärmt von den Filmstudios Babelsberg, auch andere Hollywood-Größen lieben die Drehs in der traditionsreichen brandenburgischen Traumfabrik. Der Filmpark Babelsberg zieht jedes Jahr mehr als 300.000 Besucher an. Vom Hollywood-Flair ist in der Karl-Liebknecht-Straße, der Einkaufstraße des berühmten Potsdamer Ortsteils aber wenig zu spüren. Friseure wechseln sich mit Bäckerläden ab. Shoppen – fast Fehlanzeige. Der Schuster am Ende der Straße hingegen hat so viel zu tun, dass er sein Geschäft bis Mitte April zugemacht hat. „Babelsberg ist das Dorf zwischen Berlin und Potsdam“, beschreibt Daniel Zander das Lebensgefühl der Menschen im Kiez.
Restaurant in der fünften Generation
Zusammen mit seiner Schwester Stefanie führt er in einer Seitenstraße der „Karl-Liebknecht“ das Restaurant Otto Hiemke. In fünfter Generation. Die ehemalige Kneipe ist seit 1896 in Familienbesitz. Bei Hiemke treffen sich die Skat-Stammtische aus DDR-Zeiten, hier trinkt Brandenburgs Ex-Ministerpräsident Matthias Platzeck gerne sein Bier. Er wohnt seit Jahrzehnten um die Ecke.
Babelsberg ist eine Welt für sich. Kein Wunder, dass eine kürzlich veröffentlichte Umfrage im Auftrag der Stadt ergeben hat, dass sich die Babelsberger mehr als andere Potsdamer mit ihrem Stadtteil identifizieren. So sehr, dass sie Mühe haben, sich überhaupt als Potsdamer zu fühlen. „In die Stadt“ fahren viele meist nur, wenn es nötig ist. Manche zieht es sogar häufiger nach Berlin. „Es ist auch heute noch so: Die Havel trennt Babelsberg von Potsdam“, sagt Hiemke-Chef Zander. Er bringt es auf den Punkt: „Der Babelsberger ist Babelsberger und nicht Potsdamer.“
Preise von Grundstücken und Mieten sind stark gestiegen
Der Babelsberger hat sogar eine eigene Hymne. Geschrieben hat „Babelsberch 14482“ der Texter und Komponist Hubert Woite, bekannt als „Schabulke“. Er widmete das Lied seinem Heimatort und „seiner“ Wollestraße im Weber-Viertel. Die Gruppe „Trio Ungefair“ mit ihm an der Spitze nahm es 1999 auf. „Hinterm Haus, da ham wa noch’n Jarten. Mit Öppel, Petersilie und Jestrüpp“, heißt es in der Hymne. Gesungen wird sie vor allem mit Inbrunst im „Karli“, dem Fußballstadion von Babelsberg 03. Das Karl-Liebkecht-Stadion ist das zweite Zuhause vieler Babelsberger. Ein Klub mit linkem Image, vergleichbar mit „St. Pauli“. Mit „Welcome United“ haben die Fans 2015 die erste Flüchtlingsmannschaft gegründet, die am Regionalligabetrieb teilnimmt. Mittlerweile unterstützt auch Til Schweiger das Vorzeigeprojekt.
In dem Viertel geht es gerne tolerant zu. Auch wenn immer weniger Ur-Babelsberger hier ihren Platz haben. Denn die Grundstücks- und Mietpreise sind auch fernab der Wasserlagen am Griebnitzsee in den vergangenen Jahren stark gestiegen. „Die Mieten liegen zwischen acht und zehn Euro kalt“, sagt Jan Kickinger vom Sanierungsträger Stadtkontor. Von den heruntergekommenen Häusern in DDR-Zeiten ist mittlerweile fast nichts mehr zu sehen. „In den vergangenen 23 Jahren sind rund 60 Millionen Euro an Fördermittel nach Babelsberg Nord und Süd geflossen“, so Kickinger. Dies schob geschätzt private Investitionen in Höhe von rund 360 Millionen Euro an.“
Stadtteil ist bei Zugezogenen beliebt
Vor allem bei Zugezogenen ist der Stadtteil beliebt. Wolfhard Kirsch, Stadtverordneter und Bauträger in Babelsberg sagt: „Wir erzielen heute ohne Steuervorteile höhere Verkaufspreise als früher mit Steuervorteilen.“ Zwischen 2600 und 2800 Euro pro Quadratmeter seien mittlerweile für ein vor zehn Jahren saniertes Haus zu bezahlen. Die Quadratmeterpreise für den Neubau lägen zwischen 3500 und über 4000 Euro.
Neben den Reichen und Prominenten, die heute am Griebnitzsee in prachtvollen Villen von ehemaligen Ufa-Filmstars und Industriellen leben, wohnt in Babelsberg eine breite Mittelschicht. Die etwa 23.000 Bewohner schätzen die gute Anbindung – und den fast dörflichen Charakter.
Rein statistisch ist der Babelsberger knapp 40 Jahre alt. „Klassisch ist die junge Familie mit zwei Kindern“, sagt der Unternehmensberater Stephan Goericke. Der 43-Jährige pendelt mit seiner Frau und den beiden Kindern zwischen seinem Heimatort und Boston. Was ihm an seinem Babelsberg ganz besonders gefällt? „Es gibt gute Schulen und Kitas, die Kinder können noch vor dem Haus spielen.“ Er mag auch die Mischung und Atmosphäre. „Der Babelsberger ist wunderbar unprätentiös. Er hat es sich gut eingerichtet zwischen Reich und Schön in Potsdam und Arm und Sexy in Berlin“, sagt Goericke. Seine Beobachtung: „Gegenüber Prominenz ist er ziemlich gleichgültig. Selbst wenn ihm George Clooney über den Weg läuft.“ Im Babelsberger Park sitzen sie einträchtig nebeneinander. Die Studenten, Ur-Babelsberger und Wohlhabenden – und schauen die Havel hinüber zur Glienicker Brücke und der Silhouette Potsdams.
Beim Thema Uferweg hört die Babelsberger Gelassenheit auf
Wer besonderen Wert darauf legt, gesehen zu werden, geht zum Italiener „Piazza Toscana“ direkt am Griebnitzsee. „Professore“, rufen die Kellner auffallend oft zur Begrüßung, so dass jeder es hören kann. Gleich nebenan erstreckt sich der Campus der Universität Potsdam und das Hasso-Plattner-Institut. Aber auch viele Medienschaffende essen hier gerne ihre Pizza. Mehr als 120 Unternehmen mit über 3.000 Beschäftigten sind in der Medienstadt Babelsberg angesiedelt, darunter Kino- und TV-Produzenten, Animations-, Stunt- und Special-Effects-Firmen. Auch der RBB gehört zu Babelsberg – der Sender hat seinen Sitz an der Marlene-Dietrich-Allee.
Die viel besprochene Babelsberger Gelassenheit hört nur bei einem Thema auf: dem emotionsgeladenen Streit um den Uferweg am Griebnitzsee. Seit 2009 Anwohner weite Teile des Wegs gesperrt haben, kämpfen Bürger und die Stadt Potsdam um den freien Zugang für alle. Geplant ist ein öffentlicher Uferweg. Die Villenbesitzer direkt am See hingegen wollen ihren Zugang für sich behalten. Sie fürchten auch einen Wertverlust für ihre Grundstücke. Schlichtungsgespräche brachten bislang keinen Erfolg, im schlimmsten Fall könnte widerspenstigen Anwohnern ein Enteignungsverfahren drohen.
Unterschiede zwischen den Kundinnen
Zwischen den vielen Bäckereien und Friseuren hat vor einem Jahr die gebürtige Babelsbergerin Sarah Clausen-Gundelach ihr Geschäft eröffnet. Ein Waxing-Studio. „Als ich aufmachte, waren viele skeptisch, was das denn für ein pinker Laden ist“, erzählt sie. Doch das habe sich gelegt. „Es läuft super.“
Den Besucher empfangen knallig pinke Sessel vor einer weiß-rosa-farbenen Tapete. Zweimal die Woche begrüßt einen die Chefin selbst. Die restlichen Tage ist sie im „Lass Waxen“ nahe der Potsdamer Fußgängerzone. Tatsächlich fallen ihr Unterschiede zwischen den Potsdamer Kunden hier und dort auf. „In der Innenstadt wählen die Kundinnen meist hippe Nagellackfarben wie blau, grün oder pink“, sagt sie, „in Babelsberg sind zurückhaltende Töne wie Nude oder das klassische Rot gefragt.“
Vielleicht gibt es ihn ja wirklich noch zwischen Traumfabrik, Potsdam und Berlin: den bodenständigen Babelsberger. Und das trotz des hohen Promi-Faktors.