Vor 20 Jahren zogen die sowjetischen Streitkräfte aus Deutschland ab. Doch das Erbe des Militärs ist schwierig – bis heute. Eine Spurensuche in Brandenburg.

Das Gelb der Häuser leuchtet zwischen Kiefern in der Sonne, die Balkone zieren bunte Geranien – und im Vorgarten steht ein Luftschutzturm, während im benachbarten Wald Bunkerreste bizarr hervorragen. Es sind die wenigen sichtbaren Zeugen der rund 80-jährigen Militärgeschichte im brandenburgischen Wünsdorf, der einst „verbotenen Stadt“ etwa 40 Kilometer südlich von Berlin. Abgeschottet vom DDR-Alltag lebten dort mehrere Zehntausend Soldaten im Hauptquartier der sowjetischen Streitkräfte. Mit ihrem Abzug vor 20 Jahren begann ein neues Kapitel – und die Suche des Ortes nach einer Identität.

„Schade, dass fast alles vernichtet wurde, was an die Besatzungszeit erinnert hat“, sagt Werner Borchert, Geschäftsführer der Bücherstadt-Tourismus GmbH. Wünsdorf versucht, aus seiner Geschichte Kapital zu schlagen. „Bücher und Bunker sind für uns Synonyme für Frieden und einen sinnvollen Umgang mit Gegenwart und Geschichte“, erklärt der frühere Journalist.

Die Idee der Bücherstadt mit Antiquariaten und Kulturveranstaltungen entstand vor mehr als 40 Jahren in Wales. 1998 wurde sie von Wünsdorf übernommen. Sie sollte die verlassene Militärstadt wieder spannend machen.

Euphorie nach dem Mauerfall

Touristen interessieren sich vor allem für die unterirdischen Bunkeranlagen in dem Areal namens „Waldstadt“. Sie sind größer als zwei Fußballfelder. Jährlich zieht es bis zu 30.000 Menschen aus ganz Europa in die einstige Fernmeldezentrale, die im Zweiten Weltkrieg zu den größten Nachrichtenknotenpunkten gehörte, so Borchert. Im Zuge des Jahrestags 100 Jahre Erster Weltkrieg sei das Interesse derzeit besonders groß.

Borchert würde gern noch mehr Originale aus der Militärgeschichte zeigen. Doch nach der Wiedervereinigung ging es in Wünsdorf um Konversion – die Umgestaltung von Militärgelände zur zivilen Nutzung. 10.000 Menschen sollten angesiedelt werden und 2500 Arbeitsplätze entstehen. Regierungsbeamte aus Berlin sollten in das Heidedorf ziehen und in gut einer halben Stunde mit der Bahn in die Hauptstadt fahren können. „Man war schon in einer gewissen Euphorie“, schildert Fred Hasselmann, Sprecher der Stadt Zossen (Teltow-Fläming), zu der Wünsdorf gehört.

Fast ein halbes Jahrhundert waren russische Streitkräfte im Osten Deutschlands stationiert. Nach dem Mauerfall mussten mehr als eine halbe Million Menschen in die Heimat zurückkehren. Fotos von damals zeigen traurige Gesichter und bange Blicke. 1994 wurden die letzten Soldaten verabschiedet.

Zurück blieben rund 1500 Liegenschaften mit einer Fläche von 290.000 Hektar. Vor allem Brandenburg war betroffen: 1989 wurden acht Prozent der Landesfläche militärisch genutzt. 1992 gab es noch 15 Flugplätze, 21 Truppenübungsplätze und 15 größere Schießplätze. Allein in Wünsdorf wurden laut Behörden mehr als 100.000 Stück Munition geborgen.

90 Prozent der Flächen zivil genutzt

Landesweit werden inzwischen mehr als 90 Prozent der früheren militärischen Flächen zivil genutzt: Vor allem Solar- und Windenergie-Parks sind entstanden. Aber auch Naturlandschaften wie im ehemaligen Truppenübungsplatz „Bombodrom“ Wittstock in Nordbrandenburg.

„Von einst rund 100.000 Hektar Fläche sind noch etwa 11.600 Hektar übrig“, berichtet der Sprecher des brandenburgischen Finanzministeriums, Thomas Vieweg. 161 militärische Liegenschaften verwaltet das Land noch. Deren Umwandlung gestaltet sich kompliziert.

In Wünsdorf haben heute in den Militärgebäuden unter anderem die Polizei, die Denkmalpflege und das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen ihren Sitz. Mehr als 1400 Wohnungen wurden saniert, berichtet der Historiker Gerhard Kaiser in seinem Buch „Vom Sperrgebiet zur Waldstadt“. Doch fast die Hälfte der Gebäude stehen leer. Arbeitsplätze gibt es etwa 1000. „Die meisten Menschen pendeln nach Berlin oder arbeiten in Ludwigsfelde“, berichtet Borchert.

Zossen will Unternehmen mit niedrigen Gewerbesteuern anlocken. Seit 2003 gilt ein Hebesatz von 200 Prozent. Bundesweit lag er 2010 laut Deutschem Industrie- und Handelskammertag bei durchschnittlich 435 Prozent. Der Haushalt sei ausgeglichen, jährlich würden etwa zehn Millionen Euro in die Infrastruktur der Gemeinde mit knapp 18.000 Einwohnern investiert, wirbt Stadtsprecher Hasselmann.

Mit Blick auf den neuen Hauptstadtflughafen in Schönefeld hofft die Region auf positive Auswirkungen. Vor der verschobenen BER-Eröffnung hätten viele „Lärmflüchtlinge“ die Musterwohnungen besichtigt, berichtet Borchert. Die Immobilienpreise zögen allmählich an. „Wenn der BER eröffnet, haben wir hier Zuzug“, glaubt er.