Michael Mielke
So krass lagen Strafanträge selten auseinander, wenn beide Parteien davon ausgehen, dass sich ein Angeklagter schuldig gemacht hat: Die Staatsanwaltschaft beantragte am Donnerstag für den 56-jährigen Frank E. zehn Jahre Haft, sein Verteidiger plädierte auf drei Jahre. Das Potsdamer Landgericht entschied am Ende auf viereinhalb Jahre.
Der Angeklagte habe sich im Zeitraum von 2000 bis Juni 2012 in zwölf Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen und in diesem Zusammenhang auch des Missbrauchs von Schutzbefohlenen schuldig gemacht, hieß es in der Urteilsbegründung des Vorsitzenden Jörg Tiemann. Es sei dem Angeklagten darum gegangen, die Unerfahrenheit seiner Opfer auszunutzen. Mit den Taten habe er seine eigenen sexuellen Bedürfnisse befriedigt.
Alltagssituationen ausgenutzt
Frank E. hatte vor Entdeckung der Missbrauchstaten einen guten Ruf, weit über das 300-Seelen-Dorf Reckahn (Potsdam-Mittelmark) hinaus. Er führte mit seiner Frau einen Pferdehof, betrieb eine kleine Gärtnerei, verkaufte am Wochenende seine Produkte an einen Marktstand. Und er war Vorsitzender des Fahrvereins Kloster Lehnin.
Im Juli 2012 sollte mal wieder die von Frank E. organisierte Landesmeisterschaft der Einspänner stattfinden. Das war seit Jahren schon das lokale Ereignis. Für das Jahr 2012 fiel es aus. Denn ein paar Tage zuvor wurde Frank E. auf seinem Pferdehof festgenommen, nachdem er sich über Jahre hinweg immer wieder an Jungen verging.
Geschehen war der Missbrauch in der Folge von ganz normalen Alltagssituationen. Die Jungen begleiteten Frank E. bei Kutschfahrten, halfen auf seinem Pferdehof oder am Wochenende bei seinem Blumenstand. Frank E. verwickelte sie in Gespräche über Sexualität; fragte, ob sie eine Freundin haben und ob sie onanieren.
Und im Laufe des Gespräches begann er sie zu begrapschen. Es soll auch zu Oralverkehr gekommen sein –- an den sich Frank E. vor Gericht anfangs angeblich nicht erinnern konnte. Einen Prozesstag später gab er zu Protokoll, dass auch das geschehen sei.
Vier dieser Jungen mussten in diesem Prozess als Zeugen erscheinen. Sie belasteten Frank E., korrigierten aber auch die Angaben des Anklagesatzes, wo davon ausgegangen wurde, dass einige von ihnen zum Zeitpunkt des Missbrauchs weitaus jünger waren. So war der Jüngste zur Tatzeit nicht neun, sondern zwölf Jahre alt. Das entsprach auch genau dem Beuteschema des Angeklagten, der sich nach eigenen Angaben „nur für pubertierende Jungen interessierte“.
Keine Gewalt angewendet
Richter Tiemanns Urteilsbegründung zufolge bestätigten die Zeugen auch, dass es – anders als angeklagt – keine sexuelle Nötigung gegeben habe. Der Angeklagte habe sofort von ihm abgelassen, als er sich wehrte, hatte einer der Jungen ausgesagt. Auch bei keinem anderen war von irgendwelcher Gewalt die Rede.
„Das kann nichts entschuldigen und das alles ist für die missbrauchten Jungen immer noch schlimm genug“, sagte Anwalt Schöneburg. „Aber es wäre ja doch ein ganz anderer Fall, wenn mein Mandant gewalttätig geworden wäre oder seinen Opfern gedroht hätte, ihnen würde etwas Schlimmes passieren, wenn sie den Eltern oder in der Schule von dem Missbrauch etwas erzählen.“
Frank E. selbst hatte das gar nicht in Erwägung gezogen. Die Taten gehörten offenbar ganz selbstverständlich zu seinem Leben. Dass es kriminelle Handlungen waren, an deren Folgen seine Opfer vielleicht ihr Leben lang leiden müssen, habe er „völlig ausgeblendet“, sagte er. „Ich habe mir eingebildet, dass ihnen das auch gefällt“, sagte er.
Beendet wurde das Treiben des Pferdehofbesitzers erst durch die Aussage eines Mädchens. Die 15-Jährige hatte sich durch aufdringliche, zotige Fragen nach ihrer Sexualität belästigt gefühlt. Sie erzählte davon empört ihren Eltern. Die wurden hellhörig und gingen zur Polizei. In der Folge wurden andere Jugendliche, die sich oft auf dem Pferdehof aufhielten, nach dem Treiben des späteren Angeklagten befragt. Unter ihnen die Jungen, die von Frank E. missbraucht wurden.
Frank E. wird auch nach diesem Urteil in Haft bleiben. Zwar wäre es möglich, ihn zunächst auf freien Fuß zu setzen, davon nahm die Kammer jedoch Abstand. „Was Sie getan haben, das passiert nicht einfach so“, sagte Richter Tiemann.
Weiterhin gefährlich
Frank E. hatte sich während des Prozesses reumütig gezeigt, seinen sexuellen Hang aber auch zu bagatellisieren versucht. So hatte er gesagt, dass er keine Sexualtherapie benötige. „Ich bin zu 100 Prozent überzeugt, dass so etwas nicht mehr stattfindet, eher würde ich mir die Finger abhacken“, beteuerte er.
Und erst, als er den skeptischen Blick von Richter Tiemann bemerkte, fügte er noch hinzu: „Wenn man es wünscht, würde ich natürlich daran teilnehmen.“ Er solle dafür am besten schon die Zeit in der Haft nutzen, sagte Tiemann bei seiner Urteilsbegründung. „Wir sehen Sie im Moment als wiederholungsgefährdet.“
Viereinhalb Jahre Haft, so Richter Tiemann, sehe das Gericht jedoch als schuldangemessen. Und der Richter fügte mit einem Blick auf die beiden jungen Staatsanwältinnen hinzu: „Das Strafmaß richtet sich nach der individuellen Schuld des Angeklagten und nicht nach dem Medieninteresse.“ Der Antrag der Anklägerinnen sei „weit überzogen“.