Nach Urteil zu Nachtflügen

Schallschutz um Flughafen BER wird ausgebaut

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Joachim Fahrun

Nach den abgeschmetterten Klagen gegen das Nachtflugverbot am Flughafen BER hat die Landesregierung den Anwohnern nun Unterstützung versprochen. Die unterlegenen Kläger halten die Richter für befangen und wollen weiterkämpfen.

Am Tag nach dem Urteil war Besänftigung angesagt, denn die Politiker in Brandenburg und Berlin wollen es sich nicht verscherzen mit den erregten Gegnern eines Nachtflugbetriebes auf dem neuen Flughafen BER in Schönefeld. Das Bundesverwaltungsgericht hatte am Donnerstag das Fliegen auch in den Nachtrandzeiten erlaubt. Die Kläger denken darüber nach, vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen. Außerdem streben sie ein Volksbegehren an.

Die Brandenburgische Landesregierung will Probleme bei der Bewilligung von Schallschutz abstellen. „Es geht offensichtlich darum, dass unterschiedliche Ingenieurbüros unterschiedliche Kriterien angelegt haben“, sagte Infrastrukturstaatssekretär Rainer Bretschneider (SPD) am Freitag im RBB-Inforadio. „So etwas darf nicht sein.“

Das Gericht hatte zwar das Begehren von klagenden Bürgern und Gemeinden nach einem kompletten Nachtflugverbot zwischen 22 und 5 Uhr abgelehnt. Ein Ergebnis des Verfahrens ist aber, dass die Flughafengesellschaft zusagen musste, das Schallschutzgebiet neu zu fassen und auszuweiten.

„Wie Bettler behandelt“

Am Rande der Urteilsverkündung im Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hatten am Donnerstag Anwohner berichtet, sie würden wie Bettler behandelt. Wegen jeder Hilfe – seien es Schallschutzfenster oder Lüfter – müssten die Betroffenen streiten. Bretschneider sprach am Freitag von Einzelfällen, die so nicht passieren dürften. „Die Bürger in der Region müssen das Gefühl haben, dass sie anständig und sachgerecht behandelt werden.“

Der Flughafen geht davon aus, dass die Kosten für den passiven Lärmschutz über die bisher vorgesehenen 140 Millionen Euro hinaus steigen werden. Die zusätzlichen Lasten würden sich aber im Rahmen halten. Eine genaue Abschätzung sei aber noch nicht möglich. Acht Monate vor der geplanten Eröffnung des Flughafens am 3. Juni 2012 haben erst 16.000 der 25.500 Berechtigten Anträge auf Lärmschutzmaßnahmen eingereicht.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der auch Chef des Flughafen-Aufsichtsrates ist, hatte die Flughafengesellschaft aufgefordert, im Alltagsbetrieb des neuen Airports darauf zu achten, dass wirklich die für die Anwohner schonendsten Varianten möglicher An- und Abflüge genutzt werden.

Brandenburgs Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke) sprach von einem „Bündnis am Boden“, das nötig sei, die Bürger wieder für das Infrastrukturprojekt einzunehmen. Der Minister wies Bedenken der Flughafen-Anrainer zurück, der Ausbau sei über die bereits genehmigten beiden Satelliten-Terminals hinaus vorgesehen. „Eine dritte Landebahn steht nicht zur Debatte“, sagte Christoffers.

Den Zorn der unterlegenen Kläger können die Politiker mit ihren Aussagen aber nicht besänftigen. Sie werfen dem Vorsitzenden Richter Rüdiger Rubel Befangenheit vor. Der Bürgermeister von Blankenfelde-Mahlow, Ortwin Baier (SPD), schrieb am Freitag in einer Pressemitteilung über Rubels Urteil: „Wenn er dann auch noch den Schutz der Nachtruhe hinter die Verkehrsinteressen zurücktreten lässt, dann flammt in meinen Augen ein „böser Schein„ der Befangenheit auf.“

Rubel – früher Verwaltungsrichter in Hessen und noch heute Honorarprofessor an der Universität Gießen – sei für sein Amt vom damaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) vorgeschlagen worden. Es sei bekannt, dass Koch „eine nicht gerade ablehnende Haltung zur Luftverkehrswirtschaft hat“. „Eine zumindest moralische Verbundenheit ist hier nicht gänzlich auszuschließen.“

Blankenfelde-Mahlow hatte gemeinsam mit Eichwalde, Großbeeren und Schulzendorf sowie Anwohnern erfolglos versucht, am höchsten Verwaltungsgericht ein Nachtflugverbot für den künftigen Hauptstadtflughafen durchzusetzen.

Die Lärmgegner wollen aber trotz dieses höchstinstanzlichen Urteils nicht aufgeben. Es scheint ihnen unzumutbar, dass zwischen 22 und 24 sowie zwischen fünf und sechs Uhr maximal 103 Flüge in BER starten oder landen, in einer durchschnittlichen Nacht sollen es 77 sein dürfen.

Lars Lempio von der Bürgerinitiative Unser Großbeeren sagte, man werde die Volksinitiative für ein absolutes Nachtflugverbot vorantreiben. Die erste Hürde sei im Land Brandenburg bereits mit 40.000 Unterschriften genommen, 20.000 waren gefordert. Die Vorbereitung für die zweite Stufe, das Volksbegehren, wird gerade getroffen. Hier sind 80.000 Unterschriften gefordert. „Wir bleiben standhaft“, hieß es. Die Proteste gehen weiter. Am Montag wird wieder in Friedrichshagen demonstriert, am 19. November wollen die Bürger zum Kanzleramt ziehen.

Die Vorsitzende des Bürgervereins Brandenburg Berlin (BVBB), Astrid Bothe, sagte, jetzt werde ernsthaft geprüft, wie sich gegen das Urteil eine Klage vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof begründen lasse. Kläger-Anwalt Frank Boermann wollte noch keine konkreten Aussagen machen. Zunächst müsse er die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und studieren.

Die Kläger sehen in der Nachtflugregelung ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Es gibt Juristen, die diese Sicht im Grundsatz teilen.

Der Rostocker Jurist Felix Ekardt geht davon aus, dass die dem Leipziger Urteil zugrunde liegende Abwägung zum Lärmschutz von Mindeststandards ausgehe, von Grenzwerten, die nicht überschritten werden dürfen. „Das Bundesverwaltungsgericht verkenne jedoch, „dass das behördliche Ermessen jenseits der Mindeststandards den Schranken des Grundrechts auf Leben und Gesundheit unterliegt – und dass dieses engere Grenzen zieht, als in Deutschland traditionell vermutet wird“, schreibt der Professor.

Fluglärm bleibt nicht folgenlos

Auch Fluglärm, der höheren Blutdruck verursachen kann, werde nicht bei allen Betroffenen dauerhaft folgenlos bleiben, selbst wenn die Grenzwerte eingehalten würden, schreibt Ekardt. Den langfristig Geschädigten könne man wohl kaum sagen, sie seien „nicht beeinträchtigt“. Diese explizite Abwägungsentscheidung sei für eine Reihe von Menschen, wie immer im Umweltrecht, langfristig tödlich. „Anders als bei der EU-Kommission mag das aber in Deutschland niemand offen zugeben.“

Problematisch sei ferner, dass die vom Gericht herangezogenen Grenzwerte im Wesentlichen auf den „Durchschnittsmenschen“ abstellten, also den 40-Jährigen gesunden Mann. Alte, Pflegebedürftige, Kranke, Kinder und Schwangere in ihren speziellen Belastungslagen dürften grundrechtlich ausgeblendet werden.

Asylbewerber am Airport

300 Flüchtlinge: Das Bundesamt für Migration rechnet künftig mit bis zu 300 Asylbewerbern jährlich, die über den neuen Flughafen BER in Schönefeld einreisen wollen.

30 Plätze sollen in einem neuen Gebäude mit Schlaf- und Wohnräumen geschaffen werden, teilte Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD) mit. Geplant seien zudem Freizeiträume, Spielzimmer und Gebetsraum.

Proteste: Die Flüchtlingsräte Berlin und Brandenburg und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein protestieren unterdessen dagegen. In einer Mitteilung sprachen sie sich am Freitag gegen ein „Asylgefängnis“ aus. „Wir fordern Berlin und Brandenburg sowie die Bundesregierung auf, auf Bau und Betrieb einer Haftanstalt für Asylbewerber auf dem Flughafen Willy Brandt zu verzichten.“