Das Umweltbundesamt ist an der Festlegung der Flugrouten für den neuen Hauptstadtflughafen BER in Schönefeld beteiligt. Es überprüft, wie der Fluglärm für möglichst viele Menschen reduziert werden kann. Mit dem Präsidenten Jochen Flasbarth sprachen Christine Richter und Katrin Schoelkopf.
Morgenpost Online: Herr Flasbarth, die Deutsche Flugsicherung hat jetzt die Flugrouten für den BER vorgelegt. Was sagen Sie zu den Routen?
Jochen Flasbarth: Das Umweltbundesamt ist in die Prüfung einbezogen, weil wir Aussagen zur Lärmbelastung der Menschen treffen können. Wir werden die Flugrouten – und das ist ja ein ganzes Bündel an Routen – jetzt drei Monate lang intensiv prüfen. Das ist ein sehr aufwendiger Prozess, weil es ja nicht um eine oder zwei Routen sondern um die vollständige Neugestaltung des Flugraums Berlin-Brandenburg geht.
Morgenpost Online: Was werden Sie denn prüfen? Und nach welchen Kriterien?
Jochen Flasbarth: Es geht schlicht und einfach um den Lärm. Lärmschutz ist ein sehr hohes Gut. Lärm ist nichts, was nur ein bisschen nervt – wie ich es gelegentlich schon mal von Menschen, die nicht vom Lärm betroffen sind, höre. Lärm, Verkehrslärm insgesamt, führt zu erheblichen Gesundheitsbelastungen. Und Lärm ist eine der Umweltbelastungen, die in Deutschland in ihrer Wirkung am meisten unterschätzt wird. Wir werden die Flugrouten deshalb danach bewerten, wie die Lärmbelastung für möglichst viele Menschen reduziert werden kann. Wir beginnen dort, wo die Berliner und Brandenburger am stärksten belastet sind. Zunächst schauen wir, wo die Menschen leben, die nicht mehr tolerierbarem Lärm ausgesetzt sind.
Morgenpost Online: Was ist nicht mehr tolerierbar?
Jochen Flasbarth: Das sind Dauerschallpegel, die tagsüber oberhalb von 60 Dezibel und nachts über 55 Dezibel liegen. Diese Gebiete sind höchst belastet. Wir versuchen als erstes, deren Belastung zu mindern. Anschließend werden wir uns die weiteren Routen nahe oder außerhalb der Lärmzentren ansehen.
Morgenpost Online: Was heißt mindern? Bedeutet das, dass die Maschinen dann anders fliegen müssen?
Jochen Flasbarth: Ja. Das ist natürlich im konkreten Fall, nehmen wir Blankenfelde/Mahlow, aufgrund der Nähe zum Flughafen praktisch unmöglich. Möglicherweise entwickeln unsere Experten geniale Ideen. Aber als ich die Karte mit den Vorschlägen der Deutschen Flugsicherung gesehen habe, ist mir klar geworden, dass grundsätzlich andere Routen schwierig werden. Ich verspreche aber den Berliner und Brandenburgern, dass wir sehr intensiv prüfen werden, ob es Ausgestaltungen der Flugrouten gibt, bei denen die Lärmbelastung geringer ist.
Morgenpost Online: Das war bei dem ersten und umstrittenen Routenvorschlag der Deutschen Flugsicherung für Blankenfelde/Mahlow aus dem September ja der Fall. Kann es sein, dass Sie zu diesen Vorschlägen zurückkehren?
Jochen Flasbarth: Unsere Prüfungen sind ergebnisoffen und grundsätzlich ist alles möglich. Wir haben die DFS über das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung gebeten, uns zu allen einzelnen Routen mindestens zwei Varianten vorzulegen. In den nächsten Tagen werden wir die Unterlagen bekommen. Auf dieser Basis werden wir dann prüfen. Ich schließe deshalb auch Änderungen an den Routen nicht aus. Es darf bei der Lage des Flughafens aber auch niemand Wunder erwarten.
Morgenpost Online: In den vergangenen Monaten gab es viele Demonstrationen gegen die Flugrouten über Lichtenrade oder den Wannsee. Jetzt liegen die abschließenden Vorschläge der DFS vor, nun soll der Müggelsee in 1150 Meter Höhe überflogen werden. Wird der Osten benachteiligt?
Jochen Flasbarth: Zunächst einmal muss man feststellen: Die meisten Betroffenen leben – allein wegen der Windrichtung – im Westen. Zu 70 Prozent kommt der Wind aus dem Westen, also heben die Flugzeuge nach Westen ab. Ostwind haben wir an rund 30 Prozent der Tage im Jahr. Natürlich leben rund um den Müggelsee Menschen, viele Berliner verbringen dort ihre Freizeit. Wir werden deshalb zuallererst prüfen, ob die Menschen, die dort wohnen und schlafen, ihre Ruhe haben werden. Auch ein Naherholungsgebiet ist natürlich ein wichtiges Schutzgut.
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Morgenpost Online: Der Müggelsee wird in 1150 Meter überflogen. Ist der Lärm so zu hören, dass man sagen kann, er ist für den Menschen unzumutbar?
Jochen Flasbarth: Bei 1200 Metern ist eine Beeinträchtigung gegeben. Das kann man gar nicht bestreiten. Die Menschen nehmen den Lärm wahr. Und wenn man sich erholen will, stört der Lärm natürlich.
Morgenpost Online: Wie wichtig ist die Stellungnahme des Umweltbundesamtes bei der abschließenden Festlegung der Routen?
Jochen Flasbarth: Ich bin mir sicher, dass unsere Stellungnahme bei der abschließenden Bewertung sehr, sehr ernst genommen wird. Das weiß ich aus Gesprächen mit dem Präsidenten des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung. Es ist nicht so, dass wir unsere Stellungnahme abgeben und die dann in der Schublade verschwindet. Das Bundesaufsichtsamt nimmt die Sache wirklich ernst – auch, weil es häufig Klagen gegen die Lärmbelastung bei Flughäfen gibt.
Morgenpost Online: Sie haben die nächtliche Lärmbelastung durch den Flugverkehr vom BER erwähnt. Von der Bevölkerung wird ja jetzt ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr gefordert. Wie sehen Sie das?
Jochen Flasbarth: Das Umweltbundesamt empfiehlt an allen städtischen und stadtnahen Flughafenstandorten ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr. Das gilt auch für Berlin. Ich fände es wirklich schwer verständlich, wenn es bei der geplanten Nachtflugregelung am künftigen Flughafen BER bliebe – mit Flugverkehr auch in der Zeit von 22 bis 24 Uhr und von 5 bis 6 Uhr. Denn das bedeutet, dass es weniger Nachtruhe gibt als mit dem jetzigen Flughafen Tegel. Dort gilt ein Nachtflugverbot von 23 bis 6 Uhr. Zur Nachtruhe können wir aber nur Empfehlungen an die Politik geben – dies ist nicht Teil unserer förmlichen Beteiligung.
Morgenpost Online: Sie wissen aber auch, dass der BER ein Drehkreuz werden soll und dass etliche Flugverbindungen in den Randzeiten bis 24 Uhr und ab 5 Uhr vorgesehen sind.
Jochen Flasbarth: Die Diskussion zwischen einem internationalen Drehkreuz auf der einen Seite und einem Provinzflughafen auf der anderen Seite finde ich befremdlich. Der BER wird ein wichtiger Flughafen sein, der Hauptstadt-Flughafen, den braucht die Hauptstadt und den kriegt sie auch. Natürlich wird es auch einige Flüge geben, bei denen wir aus einem größeren Einzugsgebiet Fluggäste nach Berlin holen, um sie hier umsteigen zu lassen. Insofern kann man sagen, das hat Drehkreuzcharakter. Aber das entscheidende Drehkreuz in Deutschland ist und bleibt Frankfurt. Und dann folgt München, weit vor Berlin.
Morgenpost Online: Sie werden jetzt drei Monate lang prüfen und dann Ihre Stellungnahme abgeben. Schätzen Sie doch einmal ein, ob es noch viele Veränderungen bei der jetzt vorliegenden BER-Flugroutenplanung geben wird?
Jochen Flasbarth: Das kann ich wirklich nicht sagen, weil wir damit die Seriosität der eigenen Stellungnahme in Frage stellen würden. Es gibt aber ein paar Punkte, die sind sehr wichtig. So muss eine Flugroute auch wirklich verlässlich festgelegt werden. Im wirklichen Flugbetrieb ist es doch so, dass ab 1500 Metern Höhe auch von den Flugrouten abgewichen werden kann. Das führt dazu, dass wir einen ganzen Lärmteppich bekommen. Wir werden also prüfen, ob die Routen planmäßig auch eingehalten werden oder ob ein Lärmteppich für noch mehr Menschen absehbar ist.
Morgenpost Online: Sie bestehen also auf streng festgelegten Routen?
Jochen Flasbarth: Ich plädiere für Verlässlichkeit und Transparenz. Wir werden in Ruhe prüfen, ob es richtiger ist, den Flugverkehr auf einer Route zu bündeln oder doch über einem Gebiet zu streuen. In ersterem Fall werden möglicherweise weniger Menschen, diese dann aber den ganzen Tag mit Lärm belastet. Im zweiten Fall könnten mehr Menschen am Tag, aber alle insgesamt von weniger Lärm betroffen sein. Ich schließe deshalb jetzt nicht aus, dass die Streuung auch eine gute Möglichkeit ist. Aber auch das muss man auf drei, vier Routen konzentrieren. Wildwuchs halte ich für falsch.
>>> Was Berliner über die Flugrouten wissen müssen
Morgenpost Online: Die Berliner und Brandenburger waren in den vergangenen Monaten sehr wütend, weil die Flugrouten auf einmal ganz anders verlaufen sollten als angekündigt. Hätten Sie sich gewünscht, dass man den Menschen eher gesagt hätte, was auf sie zukommt?
Jochen Flasbarth: Ja. Wenn man die Uhr zurückdrehen könnte, dann hätte man die Transparenz schon beim Planfeststellungsverfahren oder sogar noch früher herstellen müssen. Das hat doch die Empörung ausgelöst, weil die Menschen im September auf einmal erfuhren, dass die Welt anders wird als sie es aufgrund des Planungsprozesses annehmen mussten. Man muss die Wahrheit sagen – von Anfang an.