Der frühere SED-Partei- und DDR-Staatschef Egon Krenz hat eine andere Bewertung der DDR-Geschichte gefordert. 20 Jahre nach dem Mauerfall seien frühere DDR-Bürger noch immer politisch ausgegrenzt und sozial benachteiligt, sagte Krenz vor mehreren hundert früheren DDR-Grenzsoldaten in Petershagen.

Marschmusik zur Erbsensuppe, donnernder Applaus für Egon Krenz, vertrauliches Schulterklopfen, Verleihung von Ehrenzeichen an die „lieben Freunde und Genossen“ - die gealterten Ex-DDR-Grenzsoldaten blieben sich bei ihrem Herbsttreffen im brandenburgischen Petershagen bei Berlin am Sonnabend treu. Und wie ihr einstiger SED-Generalsekretär Egon Krenz in einer knapp zweistündigen Rede mit den „Herrschenden in der Bundesrepublik“ 20 Jahre nach dem Mauerfall abrechnete, sprach vielen offensichtlich aus der Seele.

Da passte es einfach nicht, dass Bürgermeister Olaf Borchardt die „Arbeitsgruppe Grenze“ in einer Turnhalle seines Ortes „nicht willkommen“ hieß. Unter Buh-Rufen räumte der parteilose Kommunalpolitiker das Feld. „Hier sitzen jene, die dafür gesorgt haben, dass aus einer Fehlinformation keine Katastrophe wurde“, schmetterte der 72-jährige Krenz mehreren hundert Ex-Militärs in der Turnhalle entgegen und erntete dankbaren Beifall. Günter Schabowski habe am 9. November 1989 die Öffnung der Grenze zerstreut und zu früh verkündet. Leicht hätte es bei dem Massenansturm auf die Grenzübergänge ein Blutbad geben können. „Die Grenztruppen haben dafür gesorgt, dass Sekt fließen konnte und kein Blut.“

Dass es friedlich blieb, sei eine „weltpolitische Leistung“, urteilte Krenz. Auch er habe alles dafür getan. Krenz nahm für sich in Anspruch, stellvertretend für die Ostdeutschen zu sprechen: Es fehle der Respekt gegenüber den DDR- Bürgern. Ihre Lebensleistung sei nicht anerkannt, Ost-Biografien dürften nicht in den Schmutz gezogen werden. Es sei eine „Hetzparole“, wenn die DDR als zweite deutsche Diktatur bezeichnet wird – das sei „Volksverhetzung, die bestraft gehört“.

Krenz, der wegen seiner Mitverantwortung für die tödlichen Schüsse auf DDR-Flüchtlinge zu sechseinhalb Jahren Haftstrafe verurteilt worden war, sprach von einer unwürdige Abrechnung mit der DDR. Krenz saß fast vier Jahre ab, die Reststrafe war Ende 2003 zur Bewährung ausgesetzt worden. Fleißig signierte der einstige SED-Politiker am Samstag auch sein Buch „Gefängnis-Notizen“. Laut Urteil darf Krenz nicht mehr für politische Ämter kandidieren, aus der Nachfolgepartei PDS war er ausgeschlossen worden.

Nun hat Krenz an Bundespräsident Horst Köhler geschrieben und eine „sachliche und wahrheitsgetreue“ Bewertung nicht nur der DDR- Geschichte gefordert – sondern beider deutscher Staaten. Viele Ostdeutsche werden nach Ansicht des einstigen DDR-Staatschefs nach wie vor politisch ausgegrenzt, sozial benachteiligt und juristisch ungleich behandelt. Durch die Ungleichbehandlung „wird nicht zusammengeführt, was nach Willy Brandt zusammengehört“, so Krenz.

„Mit Groll gegen niemanden, mit Nächstenliebe gegen alle...“, bemühte der einstige SED-Spitzenfunktionär auch noch den US- Präsidenten Abraham Lincoln aus dem Jahr 1865. „Ich setze in diesem Zusammenhang auf Ihre staatsmännische Klugheit“, so schrieb der in der DDR Privilegierte an das deutsche Staatsoberhaupt. Zudem habe die Leipziger Rede von Köhler gezeigt, dass die bisherige Art des Umgangs mit der DDR-Vergangenheit gescheitert sei. Die früheren Grenzer gehören zur Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung mit weit mehr als 1000 Mitgliedern. In dem Verein rechtfertigen frühere Stasi-Leute und Funktionäre ihre Vergangenheit.

Am Samstag kämpften die alten Genossen auch sprachlich an allen Fronten: Gegen „Rache und Gehässigkeit der heutigen Machthaber“, gegen Hetzkampagnen und Lügen über die DDR und für die Kraft ihrer Solidarität.