Im März 2001 fuhr ein Berliner Ingenieur in das nordhessische Dorf Rotenburg-Wüstefeld, ließ sich dort freiwillig mit Alkohol und Tabletten betäuben und bei zunächst vollem Bewusstsein zerstückeln. Sein Wunsch war es, Schmerzen zu erleiden. Der zweite Beteiligte – wegen Mordes zu Lebenslänglich verurteilt – wurde bekannt als der „Kannibale von Rotenburg“. An diesen Fall erinnert ein Schwurgerichtsprozess, der derzeit vor dem Landgericht Potsdam stattfindet. Auch hier ist der Täter angeklagt wegen Mordes und Störung der Totenruhe. Auch hier gab es vor dem schrecklichen Ende mit hoher Wahrscheinlichkeit eine für Außenstehende nur schwer nachvollziehbare Übereinkunft der Beteiligten.
Unstrittig scheint nach den Ermittlungen und den bisherigen Aussagen vor Gericht jedoch, dass dieses verabredete Spiel keinesfalls zum Tode führen sollte. Zumindest aus Sicht des Opfers, der 20-jährigen Maren G. (Name geändert), die in einem Dorf nahe Berlin wohnte und nebenberuflich als Model arbeitete. Ihre unbekleidete Leiche wurde am 28. Juli vergangenen Jahres in einem Ferienhaus im südöstlich von Potsdam gelegenen Ort Beelitz-Heilstätten gefunden. Am selben Tag konnte die Polizei auch den Mann fassen, der die junge Frau tags zuvor getötet hatte: Michael F. Der aus Mainz stammende, 38 Jahre alte Wissenschaftler kauerte unweit des Tatortes in einem Waldgebiet und informierte fassungslos per Handy Bekannte über ein Unglück, bei der eine Frau ums Leben gekommen sei.
Kennengelernt über das Internet
Maren G. und Michael F. hatten sich im März 2008 beim Chatten in Sado-Maso-Internetforen kennengelernt. Maren habe praktisch ein Doppelleben geführt, berichtete ein 24-jähriger Student, ein ehemaliger Freund der jungen Frau, vor Gericht. Auf der einen Seite habe es für sie die Arbeit und die Familie gegeben; sie lebte noch bei den Eltern. Auf der anderen Seite habe sie sich den sogenannten Gothics zugehörig gefühlt; einer Subkultur, bei der die Faszination an Tod und Vergänglichkeit im Vordergrund steht und die Erregung durch Selbstinszenierungen gesteigert wird. Und noch eines hatte der Zeuge erwähnt: dass es in seiner nur wenige Monate dauernden sexuellen Beziehung mit Maren G. erotische Fesselspiele gegeben habe. Seine Freundin habe „Neues entdecken“ wollen.
Die Beschreibungen eines anderer Ex-Freundes gingen sogar noch weiter: Maren G. habe sie sich bei intimen Treffen gewünscht, nicht nur gefesselt, sondern auch gewürgt zu werden, sagte er. Sie sei oft „traurig und verletzt“, manchmal gar „todessehnsüchtig“ gewesen.
Diese sado-masochistischen Neigungen deckten sich offenkundig mit den sexuellen Vorlieben von Michael F., dem es gelang, die 18 Jahre jüngere Frau per Internet in seinen Bann zu ziehen. So war vor Gericht auch von einem Ring die Rede, den Michael F. zwischen den morbiden Gebäuden der ehemaligen Beelitzer Lungenklinik für Maren G. versteckt haben soll. Ein Ring, der in der Sado-Maso-Szene eine besondere Bedeutung hat: Übernimmt ihn der Empfänger, ist er gleichzeitig auch einverstanden damit, Untergebener oder gar Eigentum des Verschenkenden zu sein, also die devote Rolle in aller Konsequenz anzunehmen. Maren G. soll von dieser Bedeutung gewusst und den Ring dennoch getragen haben. Anschließend, behauptet zumindest Michael F., soll der Internetkontakt zwischen ihnen noch intensiver geworden sein. Und dabei sei schließlich gedanklich das Szenario entstanden, das ungewollt mit dem Tod der Maren G. geendet habe. Das erste persönliche Treffen wurde für Ende Juli verabredet.
Die Staatsanwaltschaft wirft Michael F. vor, die junge Frau bei diesem Treffen in Beelitz-Heilstätten getötet und sich anschließend an ihr sexuell vergangen zu haben. Anlass für die Eskalation der Gewalt soll möglicherweise die Weigerung von Maren G. gewesen sein, mit Michael F. sexuell zu verkehren, weil sie zum Tatzeitpunkt unter einer Blasenentzündung gelitten habe. Für diese Version spreche auch, dass F. seinem Opfer zunächst sehr kräftig mit einer Bratpfanne gegen den Kopf geschlagen habe.
Michael F. bestreitet eine geplante Tötung. Er konnte in seiner Erklärung vor dem Schwurgericht auch den Einsatz dieser Pfanne erklären: Er und Maren G., sagte er, hätten sich am Abend vor der Tat in dem Ferienhaus Steaks gebraten. Dabei sei herumgeulkt worden, man müsste einer bestimmten Person zu Steigerung ihrer Intelligenz mal mit dieser Pfanne auf den Hinterkopf schlagen. In diesem Zusammenhang habe Maren G. geäußert, er könne sie ja am nächsten Morgen, wenn das geplante Sex-Spiel beginne, mit dieser Pfanne wecken.
Und genau so sei es dann auch geschehen, sagte Michael F. Anschließend habe er die Frau verabredungsgemäß etwa 30 bis 40 Sekunden gewürgt, habe ihr Nachthemd aufgeschnitten und mit ihr, immer noch streng nach Absprache, Sex gehabt. Als er von ihr abließ, habe sie reglos neben ihm gelegen. Und es habe dann geraume Zeit gedauert, bis er wirklich begriffen habe, dass sie tot sei.
Videoclips mit Tötungen von Frauen
Michael F.s Verteidiger Matthias Schöneburg hält diese Schilderungen für nachvollziehbar. „Die Sache ist aus dem Ruder gelaufen“, sagt er. Dafür spreche auch „das Verhalten meines Mandanten nach der Tat“. Michael F. habe das Examen und die Promotion mit Bestnoten abgelegt. „Wenn ein Mann mit dieser Intelligenz mordet“, so Schöneberg, „wäre er mit Sicherheit in der Lage, einen Mord zu vertuschen.“
Doch es gibt auch einiges, was für einen Mord spricht, mit dessen Folgen Michael F. – bei aller Intelligenz – am Ende vielleicht selber nicht mehr klar kommen konnte. So wurden in seiner Mainzer Wohnung Hunderte Videoclips mit nachgestellten Misshandlungen von Frauen gefunden. Szenen, in denen der dominante Mann die devote Frau am Ende tötet. Das alles wird in diesem Prozess, für den noch 16 Verhandlungstage angesetzt sind, thematisiert werden. Die Möglichkeit einer Verurteilung reicht von Mord bis zur fahrlässigen Tötung.